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Georg Birons 80er-Jahre

Alles Mögliche war damals möglich … wenn es cool und bunt war, neu und schnell, modisch und selbst­­bewusst: alte Hadern und New Wave, „Exit. Nur keine Panik“ und „Stirb langsam“, Kokain und Rumtopf, Schulterpolster und neon­pinke Leggings. Georg Biron erinnert sich ­exklusiv für den WIENER an ein rasantes Jahrzehnt.

Header Foto: Georg Biron

Pünktlich zu Silvester fing es an, das Jahr meiner Häutung. Schlangen häuten sich. Chamäleons und Krebse. Geckos, Vogelspinnen, Wasserschildkröten und Garnelen. Und auch die Künstler. Weil sie von Anfang an viel zu viel sind für sich selbst. Und für die Haut, in die man sie gesteckt hat. Die Künstler häuten sich vielleicht sogar noch öfter als die Schlangen und das andere Getier.

Ich schrieb damals auf einer mechanischen Schreibmaschine Texte für den „Playboy“ und lebte in einem alten heruntergekommenen Palais in einer kleinen Wohnung unter dem Dach. Ohne Wasser und mit Klo am Gang. Aber mitten in der Wiener Innenstadt. Es gab nur ein einziges Fenster und davor eine große Terrasse, mit Blick auf den Stadtpark. Hölzerne Obstkisten vom Naschmarkt waren meine Möbeln. Mein Bett: eine Matratze auf dem Fußboden. Der Vormieter hatte einen Tisch und vier Sesseln hier gelassen. Ich hatte keine Küche, aber ein Bügeleisen, das meine Herdplatte war. Meistens kochte ich Reis oder Nudeln und quetschte Senf, Mayonnaise und Ketchup aus großen Tuben, damit es nach etwas schmeckte. Auch Spiegeleier machte ich auf dem Bügeleisen. Sunny side up.

Um Mitternacht läutete die große Glocke des Stephansdoms im Fernsehen, und dann spielten sie wie jedes Jahr den Donauwalzer. Vor den Fenstern wurden Raketen in den Himmel geschos­sen. Unter mir auf dem Bett lag meine Gespielin Anna. Ich steckte zur Hälfte in ihr drinnen, bewegte mich nicht und schaute in ihre gierigen Augen. Wie Margot Kidder als Lois Lane in „Superman“ trug sie ein weißes Rüschen­kleid, das sie bis zu den Hüften hochgezogen hatte. Ihr schmaler Schoß drängte sich mir entgegen. Die fleischfressende Pflanze wollte gefüttert werden. Anna keuchte wie ein waidwun­des Tier. Noch konnte ich mich beherrschen, aber als sie zu kratzen, zu beißen und zu spucken begann, war es damit vorbei. Ich lieferte die Nährstoffe ab und zischte: „Ich hasse dich!“ Sie jammerte und seufzte und flennte: „Aber ich hasse dich doch auch!“

Das war das Ende. Anna faltete ihren Körper zusammen und packte ihre Reisetasche. Sie gab mir die Wohnungsschlüssel zurück. Ich sah sie nie wieder.

Meine Mutter sagte immer, was sie dachte, auch wenn ich sie nicht darum gebeten hatte. So las sie zum Beispiel in einem Magazin einen Text von mir und erzählte mir, was sie anders formuliert hätte. Außerdem fand sie, dass ich wieder einmal zum Friseur gehen sollte. Und selbstverständlich hatte sie auch zu Annas Abgang eine Meinung: „Ich bin froh, dass du die Schlampe los bist.“

Ich streifte meine Unschuld ab und betrat die Welt als Mösenfischer. Ich war 21, ich hatte einen wichtigen Literaturpreis verliehen bekommen. Ich fand, es war höchste Zeit für eine Veränderung. Ich entsorgte die grüne NATO-Jacke, die geflickte Bluejean, die ausgebleichten T-Shirts, die grünen Bundesheersocken und die ausgelatschten Adidas. Ich kaufte mir einen weißen Maßanzug von Cerruti, klassische schwarze Schnürschuhe von Galizio Torresi, die ich ohne Socken trug, und ein rotes Poloshirt von Lacoste, von dem ich das Krokodil entfernte.

Ich schaute in den Badezimmerspiegel und sah einen Kerl mit einem freundlichen Gesicht. Ein bissl spätpubertäre Schüchternheit konnte man auch noch entdecken. Ich beschloss, ein Bär von einem Mann zu werden, mit breiten Schultern und behaarter Brust. Ein solides verlässliches Kraftpaket. Ein Mann mit Haltung. Außerdem vögelte ich alles, was nicht bei Drei am Baum war. Ständig fragte ich mich: „Where’s the beef?“

Europa befreite sich von den Zwängen des Kommunismus. Ich trennte mich von der spießigen Moral meiner Erziehung und wur­de sexsüchtig. Ich brannte an beiden Enden. Ich warf mit mir rum.
Untertags führte ich in Cafés und Wirtshäusern lange Gespräche. Mit H. C. Artmann und Alfred Hrdlicka, Franz Hubmann und Kurti Kalb, Erni Mangold und Louise Martini, Udo Proksch und Erich Sokol, Adolf Frohner und Peter Turrini. Und. Und. Und. Am Abend traf ich den Schauspieler Hanno Pöschl in seinem Kleinen Café am Franzis­kanerplatz, den Dichter Heinz R. Unger in der Wunderbar in der Schönlaterngasse, den Kabarettisten Lukas Resetarits im Gasthaus Hermi in der Kumpfgasse, … und die Jazz-Gitti in ihrem Club auf der Seilerstätte. Nur im Café Hawelka war ich nie.

Ich begann, drei Mal pro Woche nachts als Barmann in Uzzi Försters Jazzklub Einhorn zu arbeiten. Es war wie in einer Zeitmaschine. Volle Kraft zurück! Ich füllte die Gläser mit Wein, Bier, Sekt oder Schnaps und legte Musik auf: Louis Armstrong und Glenn Miller, Chet Baker und Miles Davis, Charlie Parker und Dizzy Gillespie.

Es war das genaue Gegenteil der Szenerie, die in Niki Lists Film „Malaria“ gezeigt wurde, der mit ironischem Blick die bizarre Wiener Jugendszene porträtierte und dafür Preise bekam.

Nach meinem Dienst verbrach­te ich viele Stunden bei den androgynen schwarzen Nachtfal­tern der Wiener Szene. Alle total cool. Und oft auch wort­karg. Die Männer wollten keine Männer sein. Die Frauen wollten Männer sein. Jede Menge Wannabes. Move, Camera, Monte, Tangente, Queen Anne, Take Five, Jack Daniel‘s und U4 waren die Tempel, in denen ich mich rumtrieb.

Der Beginn der 1980er war ganz anders, als die 1970er aufgehört hatten.

Ich wollte kein Homeboy der Generation X sein und steif wie Brokkoli vor dem Fernseher oder in bekifften Arbeitskreisen sitzen. Das Kollektiv war nicht sexy. Angesagt waren Konsum, Egotrips und Selbstverwirklichung. Individualismus mit Stil. Eine neoliberale hedonistische Ich-­Gesellschaft formierte sich: Wenn jeder an sich denkt, ist an alle ­gedacht!

Wann immer ich nach München in die „Playboy“-Redaktion kam, brachte ich ein paar Exemplare vom „WIENER“ mit und wurde von den deutschen Kollegen über Wien und das Bermudadreieck ausgefragt. So was kannten die Deutschen nicht – und sie hätten es den Wienern nicht zugetraut.

Meine 1980er bestanden aus Sex und Reportagen. Sex und Reportagen. Sex und Reportagen.

Themen für Storys gab‘s genug: Der Einmarsch sowjetischer Truppen in Afghanistan sorgte für Empörung. • Überall in Europa entstanden grüne Parteien. • Die polnische Gewerkschaft Solidarnosz wurde in Danzig gegründet. • Das rechtsradikale Oktoberfest-Bombenattentat forderte 13 Tote und 221 Verletzte. • Der Erste Golfkrieg zwischen dem Iran und dem Irak begann. • Ronald Reagan wurde US-Präsident und heizte den Kalten Krieg an. • Der jugoslawische Präsident Tito starb. • Das Attentat auf Papst Johannes Paul II. schockierte die Katholiken. • AIDS machte sich breit. • Der Falklandkrieg begann. • Der „Stern“ veröffentlichte gefälschte Hitler-Tagebücher. • Österreichs Bundeskanzler Kreisky trat zurück. • Michail Gorbatschow wurde Generalsekretär der KPdSU und leitete das Ende der Sowjetunion ein. • Die USA flogen Luftangriffe gegen Gaddafis Libyen. • Der NASA-Weltraumflug STS-51-L endete nach 73 Sekunden und ging als „Challenger-Katastrophe“ in die Geschichte ein. • Die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl verursachte fast 4.000 Todesfälle. • Großdemon­strationen gegen US-Raketenstationierungen in Europa sorgten für Diskussionen. • Die Waldheim-Affäre sorgte in Österreich für politische Spannungen. • In China wurden monatelange Studentenproteste durch das Massaker auf dem „Platz des himmlischen Friedens“ gewaltsam beendet. • Ungarn öffnete den Eisernen Vorhang und ermöglichte die Flucht Tausender DDR-Bürger über Österreich in den Westen. • Fall der Berliner Mauer.

Die 80er Jahre machten Österreich zur „Skandalrepublik“. ­Anfang der 80er Jahre sah es gar nicht so schlecht aus auf der „Insel der Seligen“. Wohlstand, Beschäftigungsrekorde, soziale Sicherheit. Doch dann wurden die Arbeitsmarktprognosen düster, die Budgetdefizite stiegen an. Die Koalition von SPÖ und FPÖ wurde von Krisen erschüttert: der Konflikt um die Hainburger Au mit dem blutigen Polizeieinsatz, der Handschlag des FPÖ-Verteidigungsministers Friedhelm Frischenschlager mit dem ehemaligen SS-Sturmbannführer Walter Reder, begleitet von AKH, Noricum und Lucona. Durch den Pantscher-Glykol-Skandal brach der Weinexport völlig zusammen. Nach dem Waldheim-Wahlsieg trat Kanzler Sinowatz zurück, der Banker Franz Vranitzky übernahm die SPÖ.

In den 80ern schien alles möglich zu sein. Sex and Drugs and Rock‘n‘Roll sind das Eine. Geld verdienen das Andere. Und wer so richtig viel Geld verdienen will, kümmert sich nicht um Ethik und Moral – und auch nicht um staatliche Gesetze. Gesetze sind wie Spinnennetze, da verfangen sich meistens nur die kleinen Tiere.

Auch wenn es im neutralen Österreich verboten ist, Waffen Made in Austria an kriegführende Staaten zu liefern: Im Waffenhandel lassen sich Milliarden US-Dollar verdienen, wenn man die richtigen Kontakte hat und die Transporte verschleiern kann. In den 1980ern sind vor allem die Krisenherde im Mittleren und Nahen Osten gewinnbringende Märkte. Der Libanon, Palästina, Äthiopien. Das islamische Ayatollah-Regime im Iran und die westlich orientierte Saddam-Hussein-Diktatur im Irak führt einen erbitterten Krieg mit fast einer Million Toten. Halb Europa und die USA liefern Waffen und Giftgas. Auch Österreich möchte davon profitieren.

Die verstaatlichte Industrie ist wirtschaftlich im Sinkflug und sieht im Export von Waffen einen Ausweg aus der Krise, auch zur Erhaltung von ungefähr 15.000 Arbeitsplätzen.

„In den späten 1970er- und 1980er-Jahren ging die SPÖ-Alleinregierung mit dem Neu­tra­litätsgebot sehr nonchalant um. Man belieferte nahezu alle Staaten mit österreichischen Waffen“, erinnerte sich Petra Stuiber 2016 im „Standard“. „Die Ausfuhrbe­stimmungen für Kriegsmate­ri­al interpretierten die Behör­den praktischerweise so ‚neutralitätskonform‘, dass, wenn ein kriegsführender Staat beliefert wurde, auch der gegnerische Staat zum Zug kam. Wer beide Seiten bediene, könne ergo auch die Neutra­lität nicht verletzen, war eine Auslegung, die vor allem der mächtige Gewerkschaftsbundchef Anton Benya pflegte.“

Kanzler Kreisky segnete die Waffen-Deals persönlich ab und sagte laut Zeugen zu den Managern: „Machts es unter der Tuchent und lassts euch ned erwischen!“

Österreich positionierte sich in der Welt: Kreisky war der erste westeuropäische Regierungschef, der die DDR besuchte. Im Gegenzug führte die erste West-Reise des DDR-Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker nach Österreich, und er brachte einen millionenschweren Auftrag für die „Verstaatlichte“ mit.
Auch Asien wurde betreut: Außenminister Erwin Lanc war der erste westliche Minister, der nach dem Sturz des Schah den Mullahs im Iran die Ehre erwies.

Doch die großen Waffenhändler duldeten auf Dauer keine Konkurrenz.

Mit den Profiten finanzierten die „Kriegsgewinnler“ ihren Lebensstil. Alkohol, Drogen, Sex und Dekadenz. Von grenzenloser Gier und einem Gefühl der Unbesiegbarkeit getrieben, wagten sie und ihre Verbündeten immer riskantere Geschäfte. Schnell stellte sich heraus: Es war ein mörderisches Business. Und viele blieben dabei auf der Strecke.

Der ehemalige österreichische Verteidigungsminister Karl Ferdinand Freiherr von Lütgendorf, ein väterlicher Freund von Udo Proksch, war in Waffengeschäfte in der arabischen Welt involviert. Seine Leiche wurde 1981 in einem Geländefahrzeug auf einem Forstweg in Schwarzau im Gebirge in Niederösterreich gefunden. Lütgendorf hatte einen Schuss durch seine zusammengepressten Zähne kassiert. Er hielt einen nicht registrierten Smith-&-Wesson-Revolver ohne Fingerabdrücke in seiner linken Hand. Lütgendorf war Rechtshänder, also Selbstmord, ganz klar. Ohne Abschiedsbrief. Nicht einmal eine Obduktion gab es. Klappe zu, Affe tot.

1984 wurde im Libanon der Sicherheitsattaché an der österreichischen Botschaft in Beirut, Gerhard Loitzenbauer, in seiner roten Alfetta erschossen – anscheinend von Waffenhändlern, die ihn für einen Verräter hielten.

Als im Jahr 1985 der österrei­chische Botschafter in Griechenland, Herbert Amry, von illegalen Waffendeals der verstaatlichten österreichischen Industrie für den Iran erfuhr und die Bundesregierung in Wien informieren möchte (so als hätte man dort nichts davon gewusst), verab­redete er sich mit dem iranischen Waffenhändler Hadji Dai, der ihm brisante Geheimpapiere versprach. Kurze Zeit vor dem Treffen hatte Amry einen mysteriösen Herzinfarkt. Ruckzuck wurde der Leichnam eingeäschert. Posthum erhielt Amry den „Bruno-Kreisky-Preis für Verdienste um die Menschenrechte“.

Gerald Bull, der kanadische Konstrukteur der in Österreich gebauten Noricum-Super-Kanonen, die trotz Waffen-Embargos an die kriegsführenden Staaten Iran und Irak geliefert wurden, reiste von Wien nach Brüssel und wurde dort vor der Tür seiner Woh­nung vom israelischen Ge­heim­dienst mit fünf Schüssen ermordet.

Der österreichische Industriemanager Heribert Apfalter, der in die Noricum-Affäre über die Voest-Alpine AG involviert war, traf sich 1987 mit einem geheimnisvollen angeblichen Entlastungszeugen auf der Westautobahn in der Raststätte Strengberg und war wenig später tot. Auch er starb überraschend an einem Herzversagen.

Der schwedische Ministerpräsident Olof Palme, ein guter Freund von Bundeskanzler Kreisky, wurde nach einem Kinobesuch in Stockholm erschossen. Smith & Wesson, Kaliber .357 Magnum. Es steht heute fest, dass der Mord von Geheimdiensten unter der Führung der amerikanischen CIA und des britischen MI6 geplant und organisiert worden ist, weil sich Palme gegen Waffenhandel engagiert hatte. Weiters ist belegt, dass damals westliche Dienste mit Hilfe der Staatssicherheit in der DDR einen globalen Waffenhandel betrieben, dessen Spur auch zum deutschen Politiker Uwe Barschel führt, der im Hotel Beau-Rivage in Genf unter ungeklärten Umständen in der Badewanne zu Tode gekom­men ist. Laut Geheimdienstquel­len hatte Barschel intime Kenntnisse von der Verschiebung westlicher Waffentechnologie in die DDR und war darüber hinaus offizieller Vermittler der CIA in einem Raketen-Deal mit dem Iran, den US-Präsident Ronald Reagan persönlich genehmigt hat.

Udo Proksch war der Chef der Wiener Nobelkonditorei Demel. Er wickelte bereits in den 1960er-Jahren mit verlässlichen Genossen auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs äußerst profitable Technologie-Schmuggelgeschäfte ab: Mikroelektronik, Halbleiter, Festplatten, integrierte Schaltkreise, Kohlefaser-Produkte, Kunststoffverfahren, Laser- und Holografie-Technik sowie Konsumgüterelektronik. Deswegen sprachen in den 1980er-Jahren CIA-Agenten in ihren Europa-Dossiers von den „Vienna Techno Bandits“, die im Kalten Krieg, auch mit Kontaktpersonen in den USA, dem Westen großen Schaden zufügten. Von Waffenlieferungen war darin allerdings nicht die Rede.

Ich stellte mir damals viele Fragen, denn ich konnte und wollte nicht glauben, dass mein Freund Udo Proksch ein „Schifferlversenker“ war. Konnte man die Fracht der Lucona vor diesem Hintergrund als Teil des Kalten Kriegs zwischen Ost und West sehen, zwischen Kapitalismus und Kommunismus? War es Nachschub für eine der Krisenregionen dieser Welt? Oder ging es bei diesem Seetransport nach Hongkong darum, einen gutgläubigen Empfänger mit zweitklassiger Ware zu bescheißen? Oder ist alles nur einzig und allein eine großspurige Behaup­tung, mit dem skrupellosen Ziel, nahezu wertlosen Schrott im Ozean zu versenken und Millionen von der Bundesländer-Versicherung zu kassieren?

„Wir alle, wie wir da sind, miassen kapieren, dass die Politiker an verkehrten Brief ins Spiel schicken und dafür leider kane am Zager kriagn“, raunte mir der Taschner Pepi, ein Wiener Strizzi mit Herz, in der Neubauschenke in der Zieglergasse mit einem schiefen Lächeln zu. Ich traf ihn immer wieder in diversen Lokalen, seit mich der Soziologe Roland Girtler im Jahr 1983 mit ihm bekannt gemacht hatte. Und weil ich in meinem Archiv über alte Clippings gestolpert bin und weil wir alle – seien wir ehrlich – auch heute wieder ganz genau vermuten können, dass „die Politiker einen verkehrten Brief ins Spiel schicken“ (mit gezinkten Karten spielen) und keine Konsequenzen befürchten, muss ich plötzlich wieder an den Taschner Pepi denken, der mir bei unserem letzten Treffen in der Neubauschenke erzählt hat, dass er in Sachen Noricum-Affäre bei der Staatspolizei vorgeladen ist – und zwar als „Insider“, wegen der vermuteten Verstrickung der österreichischen Unterwelt in den internationalen Waffenhandel.
Zu dieser Aussage kam es aber nicht, weil der Taschner Pepi vorher gestorben ist …

„Aus der Idee Bruno Kreiskys, alle Lebensbereiche mit Demokratie zu durchfluten, wurde in den 1980ern eine Durchflutung aller Gesellschaftsbereiche mit Konsum“, sagte der ehemalige Verstaatlichten- und Finanzminister Ferdinand Lacina im ORF-Dreiteiler „Jahrzehnte in Rot-Weiß-Rot“. Und Ö3-Radiomoderator Robert Kratky fasste den damaligen Zeitgeist zusammen: „Die 80er waren das Jahrzehnt der Neonfarben und der Schulterpolster – mehr Schein als Sein!“

Franz Vranitzky, zunächst Finanzminister und ab 1986 Bundeskanzler erkannte in den 80ern „eines der spannendsten Jahrzehnte der Zweiten Republik.“ Und der Politologe Anton Pelinka hielt fest: „Es passierte Ungeheuerliches in einer Dramatik und Beschleunigung, wie ich sie vorher und nachher nicht erlebt habe. Am Ende des Jahrzehnts stand eine neue globale Ordnung.“

Die 1980er waren für mich wie eine rasante Achterbahnfahrt. Und eigentlich waren sie viel zu schnell vorbei. Aber pünktlich zu Silvester begannen die 1990er. Ich kam soeben vom blutigen Putsch in Rumänien nach Wien zurück und sah im Fernsehen die Bilder jubelnder Menschen an der Berliner Mauer. Und in Österreich ­dirigierte Zubin Mehta das 50. Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker. Der 1. Jänner 1990 war außerdem der Stichtag für die Einführung der weißen PKW-Kennzeichentafeln, gegen die „Krone“-Chef Hans Dichand und sein Freund, der Künstler Friedensreich Hundertwasser, jahrelang gekämpft hatten. Milli Vanilli belegten Platz 1 der Charts, und ich bekam am Nachmittag einen Anruf von Regisseur Peter Patzak. Er fragte mich, ob ich Lust hätte, für ihn ein Drehbuch zu schreiben.
Ich war 31 und schrieb immer noch regelmäßig für den „Playboy“. Allerdings nicht mehr mit einer mechanischen Schreibmaschine, sondern mit einem Apple Mac 512k. Ich lernte in der Schweiz eine Zirkusprinzessin kennen und fand, es war wieder einmal höchste Zeit für eine Veränderung.
Für eine Häutung …