Stermann: Bejubelungen

WIENER-Kolumnist Dirk Stermann hat das Bedürfnis zu applaudieren. Über Weltrekorde, die es wert sind, gefeiert zu werden. Österreich liegt dabei ganz weit vorne. Aber warum?

Ich habe dieser Tage einen Österreich-Verherrlichungsroman geschrieben. „Sechs Österreicher unter den ersten Fünf“ heißt er und ist eine Bejubelung meiner Wahlheimat, auch wenn die Bejubelten es vielleicht gar nicht merken und sich unbejubelt vorkommen. Aber, Hand aufs Herz wie Krankl, als er noch Teamchef war, tatsächlich kommt Österreich in meinem Buch sehr gut weg. Deutlich besser als die Deutschen in Österreich, bis auf den Ich-Erzähler, der kommt eigentlich auch gut weg, vielleicht, weil es sich um mich selber handelt. „Sechs Österreicher unter den ersten Fünf“ lautete eine Überschrift im „Abendsport“. Ich habe seit Jahren daheim eine gelbe Postkarte mit diesem Satz hängen. Bis heute weiß ich nicht, wobei und wann Österreicher derart überlegen waren. Jeden Morgen starre ich diese Postkarte an und grüble.

Wie können sechs unter den ersten fünf sein? War ein siamesisches Zwillingspaar dabei? Wenn siamesische Zwillinge mitgemacht haben, war es dann nicht wahrscheinlich Behindertensport? Ein Kopf-an-Kopf-Rennen der siamesischen Zwillinge?Aber es ist nicht sehr wahrscheinlich, daß siamesische Zwillinge zusammen mit nicht siamesischen Zwillingen in einer Sportart antreten müssen. In praktisch jeder Sportart wären sie benachteiligt. Bis auf Schach, vielleicht. Können Sie sich vorstellen, wie man jeden Morgen dasitzt und grimmig in den Kaffee schaut und ärgerlich ins Müsli beißt, weil man den Satz nicht wirklich begreift? Vielleicht hatte ein Österreicher auch die doppelte Staatsbürgerschaft. Zweimal Österreich. Mutter Österreicherin, Vater Österreicher und er beantragt deshalb die doppelte Staatsbürgerschaft, alle anderen unter den ersten 5 haben den einfachen Reisepaß. Der eine aber hat den Doppeladler doppelt, also 4 Adler auf einem Paß. Unwahrscheinlich. Und: um welche Sportart geht’s? In welcher Sportart sind Österreicher derart überlegen? Natürlich könnten es auch nationale Meisterschaften gewesen sein. Ausschließlich Österreicher waren zugelassen, nona, waren also 5 Österreicher unter den ersten 6, von denen einer Siamese war oder Doppelösi.

Es gibt Länder, die in bestimmten Sportarten weit voraus sind. Taiwan beispielsweise im Gelsen-Töten. Die Taiwanesin Huang Yu-yen erschlug in einem Wettbewerb vier Millionen Gelsen, doppelt so viele wie die Zweitplatzierte. Zweiundsiebzig Teilnehmerinnen gab es. Zweiundsiebzig Taiwanesinnen unter den ersten Zweiundsiebzig. Amerikaner können sehr gut sehr viele Hot Dogs essen. Im täglichen Alltag und auch, wenns drauf ankommt. Das Internationale Hot-Dog-Wettessen wird seit 1916 jedes Jahr am 4.Juli in Coney Island ausgetragen. Am Independence Day erringt derjenige den Sieg, der innerhalb von zwölf Minuten die meisten Hot Dogs essen kann. In mehreren öffentlichen Vorausscheidungsessen müssen die Kandidaten sich fürs große Wettfressfinale qualifizieren. Dem Sieger winkt der offizielle Weltmeistertitel: der „Gelbe Senfgürtel“.

2007 feierten die Amis beim 92.Wettbewerb Joey Chestnut, der mit 66 gegen 63 Hot Dogs den Titel nach einem Jahrzehnt in die USA zurückholte und einen neuen Weltrekord aufstellte. Sein japanischer Hautgegner litt allerdings in diesem Jahr an einer Kiefergelenksarthritis und einem kurz zuvor gezogenen Weisheitszahn. Versuchen Sie mal mit Kiefergelenksarthritis 66 Hot Dogs zu essen. Inzwischen steigerte Chestnut den Weltrekord auf 68 Hot Dogs. Polen wiederum sind gute Pfahlsitzer. Daniel Baraniuk hält seit 2002 den Weltrekord. 196 Tage verbrachte er auf einer 0,25 Quadratmeter großen Plattform eines 2,5 m hohen Pfahls. Als Ausrüstung erhält jeder Teilnehmer beim Pfahlsitzen einen Schirm, eine Leselampe und einen Aschenbecher. Ein Finne gewann in 6 Minuten bei 110 Grad die Sauna WM. Sein russischer Rivale starb. Teilweise verbrannt schwitzte er sich tot. Daran denke ich jeden Morgen, wenn ich auf die gelbe Postkarte schaue. Sechs Österreicher unter den ersten Fünf. Wenn Sie Lust haben, lesen Sie den Roman. Er ist bei Ullstein erschienen und nicht in Weltrekordzeit geschrieben worden.