Stermann: Herzeliebez
„Das hier ist ein Aufenthaltsraum. Hier dürfen Sie sich nicht aufhalten!“ So lautet mein Lieblingssatz des Spätsommers 2010. Ausgesprochen wurde das Aufenthaltsraumaufenthaltsverbot von einem Ostberliner Greis, der dort ein Jugendradio leitet. So etwas wie ein Berufsjugendlicher, nur dass er eigentlich schon im Pensionsalter war, also eher ein Pensionsjugendlicher. „Arsch mit Ohren“, sagten meine Berliner Bekannten und „allet nich so chic?“ Nein, bei dem war wirklich nicht alles so chic. Vielleicht war er im Sommer mit dem Ostalgie-Skoda in Peking oder dem Mille-Miglia-Wartburg auf der G-110- Landstraße zwischen Huai’an und Xinghe, auf dem Peking-Tibet-Expressway. Und wurde vielleicht unfreiwillig Teilnehmer eines unangenehmen Weltrekords. Dort gab es einen 100 Kilometer langen Verkehrsstau, der sich erst nach 10 Tagen auflöste. Alles nicht so chic. Haben Sie das schon mal im Radio gehört? „Ein Ö-Driver meldet uns zwischen St. Pölten und Wörgl einen Stau.“
Die Polizei spricht von etwa 10 Tagen Wartezeit.“ Würden Sie gern 10 Tage im Auto sitzen und gezwungen sein, Ö3 zu hören? Oder Ö1? 10 Tage durchgehend im Stau im Autoradio Ö1 hören und man fühlt sich ein wenig wie Natascha Kampusch damals. Vielleicht spricht man danach auch in diesem wundersamen Walter von der Vogelweide- Deutsch, wie die Kampusch, das herzeliebez vrouwelin. Wieso Kampusch wie Vogelweide spricht? Ich weiß es nicht, aber ich hörte sie das Verb „frug“ benutzen. Und da dachte ich mir: Wow, die ist im Keller zur Mittelhochdeutschen geworden. Da ist alles im Leben irgendwie nicht mal parterre, man hört Ö1 und schwupps, „saz uf eime steine und dahte bein mit beine“. Strache würde Vogelweide ausweisen lassen. Sprachtest nicht bestanden. Kein Wiener Blut. Anyway, um mich von der Vogelweidschen Sprache abzugrenzen, (übrigens: Strache ist tschechisch und heißt „Angst“. Ich kenne niemanden, den diese Information wundert) Vogelweide ist sowas wie die Jelinek des Mittelalters oder der Thomas Bernhard oder wen auch immer Sie für einen bedeutenden Autor halten. Walter von der Vogelweide war der bedeutendste Lyriker seiner Zeit. Die Kampusch und ich, wir beide können Vogelweide vorwärts und rückwärts auswendig und unbändig aufsagen. „Da dahte ich mir vil ange/wie man zer werlte sollte leben/deheinen rat kond ich gegeben,/ wie man driu dine erwurbe,/der keinez niht verdurbe.“ Schon klar, Natäschchen, das übersetz ich jetzt nur für die anderen, du kannst inzwischen mittelhochdeutsche Miniaturen verfassen. Also, der gute Walter v.d.V. überlegte sich vergebens, wie man drei Dinge erwürbe, dass keins davon verdürbe.
Mit anderen Worten, so dass auch Strache es kapiert: Alles wird gschissen. Egal, was du hast, es macht dich nicht glücklich. Da hast du ein tolles Auto, kannst aber nicht weiterfahren und stehst 10 Tage im Stau. Da gibt’s einen tollen Aufenhaltsraum, aber da darf man sich nicht aufhalten. Das waren jetzt 2 Dinge. Vogelweide sprach aber von 3 Dingen. Gut, ein drittes Beispiel, das zeigt, dass das Leben auch Popstars mit dem Arsch ins Gesicht fährt. Keith Richards hat an vielen Orten dieser Welt ein Haus. Alle diese Häuser sind gesichert. Man kommt nur mit einem Code hinein. Aber der arme reiche Popstar kann sich nicht alle Codes merken. Darum gibt es einen Mitarbeiter, dessen einzige Aufgabe es ist, alle Codes griffbereit zu haben. Aber weil das alles sehr nervig ist, zieht Richards es vor, auch in Städten, in denen er ein Haus besitzt, lieber ins Hotel zu gehen. Wie man drei Dinge erwürbe, dass keins davon verdürbe. Nach 10 Tagen floss der Verkehr auf dem Peking-Tibet-Expressway wieder, wenngleich etwas zähflüssig.