Stermann:Frontal enthemmt

WIENER-Kolumnist Dirk Stermann über die Bedeutung eines ganz besonderen Teils unseres Denkstübchens und die dramatischen Auswirkungen bei seinem Verlust.

Machen Sie das nicht nach. Falls Sie es doch tun, bitte: ich hab Sie gewarnt! Ich bin nicht bereit, später irgendwelche nervtötenden Gespräche mit Ihnen führen zu müssen, unerquickliche, arschlochoide Gespräche, bei denen Sie sich darauf rausreden werden, dass Sie nichts dafür können, weil Sie ja ein Charakterschwein sind, was Sie mit unzähligen Attesten bestätigen werden.

Was Sie also nicht nachmachen sollen: wenn Ihnen bei einem Unfall der Schädel zerbricht und Ihr Gehirn hinaus will, greifen Sie es bitte nicht an. Wischen Sie es sich vor allem nicht unachtsam weg. Einmal über die Stirn gewischt und schon sind Sie ein Monster, ein gefühlloser Zombie, ohne jedes Verantwortungsgefühl, ohne Mitleid, ohne alles das, was uns Menschen von Frau Fekter unterscheidet. Frontotemporale Demenz führt zum Verlust ethischer Werte. Der präfrontale Cortex (PFC) ist der Teil direkt hinter der Stirn, der unter anderem dafür zuständig ist, die Folgen möglicher Handlungen vorauszusehen. Zum Beispiel, dass achtjährige Mädchen weinen, wenn Sie unter Waffengewalt aus dem Bett gerissen werden. Wer frontal enthemmt ist, dem sind fremde Tränen fremd.

Zum ersten Mal wurde die Bedeutung des Frontalhirns untersucht, als 1848 dem englischen Bahnarbeiter Phineas Gage bei einem Unfall eine Metallstange quer durch sein Gehirn schoss. Seine intellektuellen Fähigkeiten waren nach seiner Genesung nicht beeinträchtigt, doch seine Persönlichkeit hatte sich massiv verändert. Aus dem liebenswerten Phineas war ein impulsives, kindisches und unzuverlässiges Schwein geworden. Ein Seelenzombie war Herr Gage geworden. Ganz und gar im Würgegriff des Morbus Pick, der sich auch in Form von Triebhaftigkeit, Euphorie sowie generellen Enthemmungsphänomenen wie Witzelsucht und sexuellen Anzüglichkeiten und Handlungen zeigt. Ich habe Frau Fekter noch nicht kennengelernt und weiß deswegen nicht, ob sie Zote um Zote reißt und schamlos in den Schritt greift. Falls nicht, ist sie womöglich gar nicht das Opfer eines schrecklichen Unfalls, sondern ist wirklich so.

In der Wochenzeitung Freitag las ich einen Text zu Dieter Bohlen. Dort erfuhr ich etwas Interessantes: „Bohlen, auch Pfosten, ist die Bezeichnung für Schnittholz mit einer gewissen Mindeststärke und ausgeprägten Breite.“ Dieter Bohlen ist mit Frontotemporaler Demenz auf die Welt gekommen, aber dann noch einmal mit dem Kopf in eine Armada von Metallstangen geraten. Eventuell ist er dann noch mit seinem geplatzten Kopf gegen das blonde Lockenköpfchen unserer Innenministerin geknallt, woraufhin er sich das bisschen Hirn, das nach außen drängte, mit seinen norddeutschen Wurstfingern abwischte.
Nur so kann man es sich erklären, wenn ein 60-jähriger Mann sich über singende Kinder lustig macht. Da grinst der Morbus Pick bei jedem zweiten Satz aus Bohlens Blick.

Haben Sie jetzt auch Angst, vielleicht frontal enthemmt zu sein? Weil Sie schon mal bei einem Bohlen-Witz gegrinst haben? Sie können das ganz gut überprüfen. Schauen Sie mal in den Spiegel. Hängt Ihnen eine Eisenstange aus dem Kopf? Wenn ja, haben Sie ein echtes Problem. Wenn nein, sieht’s gut aus. Haben Sie laut gelacht, als Arigona und die Zwillinge abgeschoben wurden? Wenn ja, schauen Sie sicherheitshalber noch einmal nach, ob Ihnen wirklich keine Eisenstange aus dem Kopf hängt. Wenn Sie sich aber manchmal denken: „Mah, arm!“ Und dabei nicht ausschließlich sich selbst meinen, ist wahrscheinlich alles im Lot.