Stermann:Wiener Punsch

Alkohol ist keine Lösung, aber ein Anfang. Deshalb kochte unser Kolumnist Punsch mit Barack Obama und Schlagersängerin Michelle.

Es klingt unglaubwürdig, aber ich habe meinen ersten Punsch mit Barack Obama in den 80erJahren gekocht und ausgetrunken. Ich war in Chicago, ein Stipendium des Landes Kärnten für überdurchschnittliche Verdienste um die Karawanken hatte mir den Aufenthalt ermöglicht. Ich studierte an der Humorhochschule Internationale Komik. Der Geldbetrag aus Kärnten war überschaubar und so lebte ich als Obdachloser in einem Papphaus beim Bahnhof. Aber ich hatte einen Laptop mit eigener Homepage. Immerhin, dachte ich, wenn ich meine Nachbarn betrachtete, die sich an brennenden Ölfässern wärmten und gar nichts hatten.

Nicht mal das brennende Fass, das musste man leasen. Barack – oder “Obi”, wie ich ihn nennen durfte – war Sozialarbeiter in Chicago. Gerade im Winter ist Chicago für Obdachlose eine ungemütliche Stadt, Temperaturen von unter 100 Grad sind keine Seltenheit, die gefühlte Kälte ist durch den scharfen Wind noch weit schlimmer. Haare brechen ab, Wimpern und Augenbrauen, manchem fällt vor Kälte die Nase ab, deshalb sieht man oft homeless people mit Mohrrüben im Gesicht. Nur einmal war es in Chicago in der kalten Jahreszeit erträglich: 1871, als am 31. Oktober die ganze Stadt abbrannte. Da konnte man sich kurz aufwärmen, aber sonst ist Chicago a living refrigerator, wie wir Auskenner sagen.

Übrigens wurde die gesamte abgebrannte Innenstadt in den Michigan-See geschüttet. Das wäre so, als würde in Wien der 1. Bezirk abbrennen und im Donaukanal entsorgt werden. Deswegen treiben im Michigan-See, der so groß ist wie die Adria, immer noch Lampenschirme, Sofas und Nachttöpfe. Aber auch Bücher und so ein Buch hab ich damals beim Schwimmen gefunden. Es war ein burgenländisches Punschrezeptbuch. Chicago ist ja die größte burgenländische Stadt der Welt, fast alle weißen Männer sehen exakt aus wie der sympathische Landeshauptmann Niessl. Überhaupt ist das Burgenland eines der freundlichsten Länder Europas. Mehrsprachige Ortstafeln gibt es hier überall, viele Burgenländer haben sogar mehrsprachige Namensschilder an der Tür. In bis zu 25 Sprachen. So weltoffen sind sie, die liebenswerten Burgenländer. Als Wiener sollte man immer wieder mal hinfahren. Ein Katzensprung in Kilometern, aber ein Luftsprung fürs Herz.

Von den 9,5 Mio. Einwohnern Chicagos haben fast 5 Mio. Vorfahren aus Eisenstadt oder Eisenstadt Umgebung. “Alkohol ist keine Lösung, aber ein Anfang” stand als Widmung in dem Buch, das ich aus dem Michigan-See gezogen hatte. Geschrieben hatte es ein gewisser Johannes Jovan Giovanni Gutdobrebuono. Im Vorwort schrieb der gute Gutdobrebuono, dass er ein alter Mann sei, sich lange überlegt habe, um was es im Leben wirklich gehe, und nach reiflicher Überlegung zu dem Schluss gekommen sei, dass ein guter Punsch der Sinn des Lebens sei. Lässt sich drüber streiten, ich weiß natürlich, andere würden Pilates sagen oder Schlitten fahren oder den Hund bürsten, aber der Mensch ist individuell. Das Buch heißt auch schlicht “Punsch” und es ist nur ein Rezept. Ich möchte es Ihnen unverfälscht wiedergeben: “Punsch” von Johannes Jovan Giovanni Gutdobrebuono: Zucker, Tee, Rotwein, Rum. Prost.

Dieses Buch zeigte ich meinem Sozialarbeiter Obi, weil ich wusste, dass er sich für Literatur interessiert. Er war begeistert; und die Schlagersängerin Michelle, die ja vor kurzem ihre Karriere beendet hat, war damals schon Baracks Freundin und schlug vor, in einem der brennenden Fässer den Punsch nachzukochen. Da Amerika das Land der unbegrenzten Möglichkeiten ist, besorgten Michelle und Obi 1 Tonne Zucker, 4 Hektoliter Tee, 1 Glas Rotwein und 1 Stamperl Rum. Ich überredete sie, das Verhältnis umzudrehen: 1 Stamperl Tee, 1 Hektoliter Rum, 1 Tonne Rotwein und 1 Glas Zucker.
Noch nie hat man so fröhliche Obdachlose im strengen Chicagoer Winter gesehen. Seit damals sind Obi und ich uns einig, wenn man uns nach dem Sinn des Lebens fragt. Der Punsch ist’s.