Stermann:Sie wollen wissen…

„Sie wollen wissen, warum ich Weihnachten heuer in einer üblen Kammesche gefeiert habe? – Na weil Schisiwi!“

Sie wollen wissen, warum ich Weihnachten heuer in einer üblen Kammesche gefeiert habe? Na weil Schisiwi. Ich bin nämlich draufgekommen, dass ich nicht weiß, warum Weihnachten gefeiert wird. Hat sich Gott da geteilt? Oder ist Herodes in den Himmel aufgestiegen? Peinlich. Die Geschenke nehm ich aber doch. Ich bin streng katholisch erzogen worden, das ganze Jahr über trink ich nur Weihwasser und Punsch. Bis zu meinem 10. Geburtstag hab ich mich ausschließlich von Hostien mit Nutella ernährt, auf meinem iPod war nur Orgelmusik, und gebenedeit war die Frucht jedes Leibes. Wahrscheinlich haben alle gedacht, dass jeder weiß, was an Weihnachten passiert ist. Manche Sachen werden als bekannt vorausgesetzt und nie mehr erklärt. Ein intelligenter Freund von mir hat bis zu seinem 40. Geburtstag ständig von “üblen Kammeschen” gesprochen, in denen er fürchterlich abgestürzt sei. Niemand fragte nach, weil ein jeder und eine jede dachte, der intelligente Herr mache wohl Sprachscherze. “Fantastische Kammesche! Da bin ich dann versumpert in einer Kammesche, herrlich!” Irgendwann sagte aber doch mal jemand zu ihm: “Meinst du Kaschemme?” Und da war die Überraschung groß. So erklär ich mir mein Weihnachtsproblem. Pfingsten ist auch ein Problem, das viele haben. Sagen Sie mal ganz schnell, was Pfingsten ist! Da tun Sie sich schwer, nicht? Ich war in einem orthodoxen Kindergarten, geleitet von Opus-Dei-Mitarbeitern, die sich und uns mit Dornengürteln kasteiten. Aber dass irgendeiner von diesen Brüdern mal gesagt hätte: Weihnachten, das war – weiß der Kuckuck, was. Ich weiß es ja nicht. Vielleicht, weil ich als Kind ins Punschfass gefallen bin.

Ich war vor kurzem in einer Kirche in Simmering. Neben der Kirche ist ein Friedhof, der eingeschlossen ist zwischen einem Kraftwerk oder einer Müllverbrennungsanlage und Eisenbahnschienen. Bei der Beerdigung donnerten Züge mehr oder weniger übers offene Grab, dem Pfarrer flog der Hut weg und man verstand kein Wort. Nach jedem Zug, der vorbeirast, müssen alle Kreuze wieder aufgestellt werden. Der Pfarrer sprach dazwischen über die Verstorbene und alle Menschen, die im Leben der Verstorbenen gestorben sind. Und der Pfarrer sagte: “Tja, es war ein Kommen und Gehen in ihrem Leben und jetzt ist sie auch gegangen.” Ich setzte mir meinen alten iPod auf und hörte lieber Orgelmusik.

In der Kirche reichten sich plötzlich alle Trauernden die Hände. Ich nahm meinen iPod ab und gab einer zerknitterten Frau die Hand, die mir völlig unbekannt war. Sie murmelte etwas Unverständliches, also murmelte ich etwas Unverständliches zurück. Dann drehten sich die von der Bank vor mir zu mir nach hinten und gaben mir auch die Hand. Wieder murmelten die etwas, was ich nicht verstand, und ich murmelte so etwas wie: “Schisiwi.” Es war ein nicht enden wollendes Händegeschüttele und Herumgenuschele. Alle anderen schienen zu wissen, was zu sagen war, aber mir hat kein Schwein was erklärt. Und während eines Trauergottesdienstes zu fragen: “Hä? Was sagen Sie, sprechen Sie doch bitte deutlicher, ich versteh kein Wort!”, erschien mir unpassend und eitel. Werd ich also auch nie herausfinden, was das “Schisiwi” tatsächlich hieß.

Die letzte Beerdigung, bei der ich war, da wurde ein schizophrener Verwandter beigesetzt, der seit dem 2. Weltkrieg in einem Heim lebte und aufgehört hatte zu sprechen. Der Pfarrer sagte: “Erinnern wir uns an sein erfülltes Leben, an all die schönen Dinge, die er zu Lebzeiten gesagt hat.” Ich hätte sagen können: “Er hat nicht gesprochen. Und sein Leben war auch nicht erfüllt.” Aber ich tat’s nicht, darum glaubt der Pfarrer wahrscheinlich heute noch, dass er da einen kreuzfidelen Partytypen beerdigt hat. Ich hab mir damals auch lieber den Kopfhörer aufgesetzt. Fällt Ihnen auf, dass ich jetzt “Kopfhörer aufgesetzt” geschrieben habe, ein paar Zeilen vorher aber noch “iPod aufsetzen”? Sehen Sie, ich stehe im Moment an einem Punschstand, während ich schreibe, und die nette Punschstanddame hat mir über die Schulter geschaut und zu mir gerade gesagt: “Man setzt keinen iPod auf, sondern nur den Kopfhörer. Das sähe ganz schön dämlich aus, wenn man sich den iPod aufsetzt!” Sehen Sie? Da hab ich was gelernt, weil jemand mir was erklärt hat, was eigentlich ganz logisch ist. Aber die hübsche junge Dame weiß leider auch nicht, was der Anlass für Weihnachten ist, obwohl sie in eine Nonnenschule gegangen ist und eine Nonnenuniversität besucht hat. Ist ja auch egal. Ich lass sie jetzt mithören. Jetzt teilen wir uns den iPod und die Kopfhörer, hören Orgelmusik und trinken leckeren Punsch dazu. Köpfchen an Köpfchen. Herrlich. Wenn das Weihnachten ist, soll’s mir recht sein.