Die Vermessung des Daniel Kehlmann

Er ist selbstsicher, intelligent und gebildet. Er kann etwas, und er weiß das auch. Schreibt Thomas Glavinic über seinen Freund Daniel Kehlmann. Das Porträt zur Verfilmung des Bestsellers „Die Vermessung der Welt“.

Das erste Mal getroffen habe ich den schlaksigen Menschen, der eines Tages „Die Vermessung der Welt“ schreiben würde, im Jahr 1998 bei einer Lesung. Sie wurde eingeleitet von einem nicht untypischen Vertreter der österreichischen Germanistik, einem beleidigt-mürrisch auftretenden Mann, der in allem so wirkte, als sei er mit seinem Los äußerst unzufrieden und gebe all jenen daran die Schuld, die aus irgendeinem Grund wenigstens eine Spur von Öffentlichkeit und Erfolg erreichen. Uns gegenüber benahm er sich gönnerhaft-lässig, dem Publikum eröffnete er, dass das, was wir schrieben, ja nicht total schlecht sei, und den Rest der Zeit redete er über diverse literarische Projekte, die er betreute und die leider außer ihm niemand verstehe. Nach der Veranstaltung im Gasthaus änderte sich sein Verhalten auch nicht, nicht im Geringsten, im Gegenteil, seine Bedeutung schwoll von Bier zu Bier an. Ich hatte so etwas wie ihn noch nie gesehen und war ziemlich befremdet. Kehlmann bedeutete mir, dass so etwas rudelweise rumliefe, dass diese Rudel sich einer elitären Experimentalhermetik verschrieben hätten und alles, was so etwas wie Geschichten zu erzählen bereit war, literarisch zu verdammen pflegten. Er erzählte mir damals etwas, was ich noch nicht wusste und worunter wir beide noch sehr zu leiden haben würden.

Jedenfalls waren wir beide von jenem Abend an befreundet, er wohnte in Wien, ich noch ein paar Monate auf einem gottverlassenen Bauernhof in der Oststeiermark, ehe ich auch nach Wien übersiedelte. Wir telefonierten häufig, dabei erzählte er mir die meiste Zeit den Inhalt verschiedenster Simpsons-Folgen, wir debattierten Strategien für die Moorhuhn-Jagd (ich rede vom Computerspiel), ich berichtete ihm von Dingen, die er nicht kannte, und hatte große Freude daran, ihm auch die unangenehmen, unappetitlichen Details nicht zu ersparen, während er mir im Gegenzug mit Kant-Zitaten kam, die mich verwirrten. Über den Literaturbetrieb sprachen wir nicht oft. Es gab auch nicht viel darüber zu sagen.

Info

DANIEL KEHLMANN: Daniel Kehlmanns Familie übersiedelte 1981 von Deutschland nach Wien. Sein Mutter ist die Schauspielerin und Malerin Dagmar Mettler, sein Vater war der Regisseur Michael Kehlmann, dessen Verwandtschaft aus Wien stammte, durch den Holocaust aber nahezu ausgelöscht wurde. Daniel Kehlmanns Großvater Eduard schrieb zwei Romane. Am 13. Jänner 2012 wird Kehlmann 37 Jahre alt. Werk: Zum absoluten Literatur- Star wurde Kehlmann mit seinem Roman „Die Vermessung der Welt“, in dem die Forscher Alexander von Humboldt und Carl Friedrich Gauß aufeinander treffen. Zu seinen bekanntesten Werken zählen, neben der „Vermessung“, „Ich und Kaminiski“, „Mahlers Zeit“ und „Ruhm“. Als Gast-Dozent unterrichtet Kehlmann auch immer wieder an Universitäten.