CD-Kritik: Nine Inch Nails – Hesitation Marks

The Upward Spiral: Trent Reznor hat die Nine Inch Nails reanimiert und ein neues Album veröffentlicht: „Hesitation Marks“.

I am not who I used to be. Neunzehn Jahre nach seinem unbestrittenen großen Meisterwerk, „The Downward Spiral“, hat Trent Reznor das Autodestruktive längst aus seinem Leben weitestgehend substrahiert. Der Selbsthass, die Drogen (2001 starb er beinahe an einer Überdosis Heroin), der Alkohol: Geschichte. Mittlerweile hat Reznor seinen früher dünnen und blassen Körper in kalifornischen Fitnesscentern auf zeitweilige Hulk-Dimensionen gestählt, seine Lebensgefährtin Mariqueen Maandig geheiratet, ist Vater geworden und hat aufgrund des „The Social Network“-Soundtracks gemeinsam mit seinem Kollaborateur Atticus Ross auch einen Academy Award im Schrank stehen. Dass Johnny Cash 2002 seine finale Wiederkehr gerade mit Reznors „Hurt“ sakral in die Annalen einzementierte, tat sein Übriges.

Back in history: 1989 setzte er mit „Pretty Hate Machine“ das erste Nine Inch Nails-Album in die Welt, sechs Jahre später kam dann der Meilenstein „The Downward Spiral“ und damit wohl eines der essenziellen Alben der Rockgeschichte. Nach dem im Gegensatz zu „The Downward Spiral“ eher Soundscapes-lastigen „The Fragile“, kam ein merklicher Paradigmenwechsel in Reznors Schaffen: bestanden die Abstände zwischen zwei Nine Inch Nails-Alben bis dahin aus einer Zeitspanne von einem halben Jahrzehnt, ging es ab 2005 beinahe Schlag auf Schlag: „With Teeth“ (2005), „Year Zero“ (2007), „Ghosts I-IV“ (2008), „The Slip“ (2008). Dann, 2009, die Ankündigung, dass Reznor die Nine Inch Nails einmottet, ob entgültig oder erstmals war nicht klar, jedenfalls war er mit „How To Destroy Angels“, gemeinsam mit Mariqueen Maandig und Atticus Ross, recht bald mit einem neuen Projekt und einer EP in den Startlöchern, das Album folgte März diesen Jahres.

(c) Getty Images (Jason Merritt) (c) Getty Images (Jason Merritt)

Jetzt: „Hesitation Marks“. Das weiland bodenlose Fass der Dystopien und Ängste und das gegen diese Ansingen hat einen Boden bekommen, diese dunklen Orte hat Reznor längst hinter sich, und es gibt auch anlässlich eines neuen Nine Inch Nails-Album keinen Grund, das zu leugnen. Das autodestruktive Moment muss anno 2013 nicht mehr zelebriert oder erschauspielert werden, im Vergleich zu versuchten Relevanz-Reanimationsversuchen von anderen 1990er-Ikonen ist das hier kein eigentliches „Comeback“ sondern viel mehr ein weiterer Teil in der Entwicklung des Reznor-Kosmos.

Statt Autodestruktion gibt es auf „Hesitation Marks“ eher Autoreflexion: nicht nur das Cover samt Font erinnert an „The Downward Spiral“, auch das Musikalische, das Fragmentarische, die spontan brüchige Dynamik, ist wie ein freundlicher Hinweis quer über die Dekaden hin zu „The Downward Spiral“, nur eben von einem zwanzig Jahre älteren Reznor gesungen, der sich – gut für ihn – an einem naturgemäß ganz anderen Ort befindet. Altbewährtes im neuen Kontext könnte man vermuten, in Wirklichkeit ist „Hesitation Marks“ aber nur eine logische Weiterführung der Nine Inch Nails, die wieder ein Stück weiter weg von der Soundscapehaftigkeit der Mitt-2000er Jahre geht. Diese Weiterentwicklung ist bei aller Eingängigkeit auch eklektisch und oft fragmenthaft, schafft es über die ganze Strecke, den Fokus nicht aus den Augen zu lassen.

Reznor hat nichts von seiner Dringlichkeit, seiner Neugier und seiner Relevanz verloren. Nur hat sich mittlerweile eine Gelassenheit und manchmal sogar ein freundliches Augenzwinkern reingeschlichen. The Upward Spiral eben.