Traces of You: Anoushka Shankar

Wir trafen die Tochter des legendären Sitar-Spielers Ravi Shankar zum Gespräch anlässlich ihres neuen Albums.

Auch wenn sie den Regen von ihrer Heimatstadt London gewöhnt ist: es ist nicht der freundlichste Tag, den sich Anoushka Shankar ausgesucht hat, um nach Wien zu kommen. Grau und verregnet gibt sich die Stadt, die Shankar allerdings am selben Abend wieder in Richtung London verlässt, der Besuch ist diesmal rein beruflicher Natur, herumstehende Kaffeetassen in ihrer Hotelsuite deuten auf einen längeren Promotag hin. Schließlich gilt es, ihr neues Album zu promoten, „Traces Of You“, nach „Traveller“ (2011) ihr bereits zweites Album für die Deutsche Grammophon.

Hat sich die Tochter des weltberühmten Sitarspielers Ravi Shankar auf dem Vorgänger noch der Verschmelzung der Sitar mit dem Flamenco gewidmet, ist „Traces Of You“ erneut eine von der Sitar als Reiseführer geleitete musikalische Weltreise zwischen den Hemisphären und Polen – am hervorstechendsten und medienwirksamsten jene drei Songs, die sie mit ihrer nicht minder berühmten Halbschwester väterlicherseits, Norah Jones (von ihr im Interview stets „my sister“ genannt) aufgenommen hat: darunter die erste Single, gleich wie das Album benannt, die auch problemlos als Norah Jones Song mit Sitar-Veredelung durchgehen könnte.

Während das Vorgängeralbum eher eine lose Sammlung an Songs war, sei „Traces of You“ auch thematisch ein in  sich geschlossenes Album, meinte Shankar im Vorfeld der Veröffentlichung, und auch die Entstehungsgeschichte des neuen Albums war grundlegend anders:

„Bei „Traveller“ war es in vielen Hinsichten sehr einfach, sobald wir die Grundidee hatten, nämlich indische Musik mit dem Flamenco zu verbinden, von da an ging alles sehr leicht. Ich wusste, wonach ich suchen sollte – und bei „Traces Of You“ hatte ich das nicht. Ich begann mir stattdessen, über Leute, die ich auf der Platte haben wollte, Gedanken zu machen: also fragte ich Nitin , ob er mit mir die Platte machen will. Ich liebe seine Musik wie auch seine Musikalität, und ich dachte, dass er der richtige wäre, mir beim Erkunden zu helfen – was das genau war, das ich erkunden wollte, wußte ich nicht. Er sagte zu, und so begannen wir mit der Arbeit. Es drehte sich in erster Linie um die Leute: wir arbeiten unter anderem mit Manu Delago an der Hang Drum, der ja Österreicher ist. Er und ich haben schon mal zusammengearbeitet. Und bezüglich meiner Schwester: Wenn es schon Gesang geben sollte am Album, dann wollte ich nur eine Person haben, die singt, die diese Reise einzigartig macht, und ich wollte sie. Das war der Anfangspunkt, und die Geschichte ergab sich dann beim Gehen. Wir wussten nicht, wo es enden würde“.

Es war eine turbulente persönliche Zeit, die zu „Traces of You“ führte, erzählt Anoushka Shankar: „Als ich mit dem Album begann, war ich eine noch recht junge  Mutter eines anderthalbjährigen Kindes, hatte gerade geheiratet, ich war gleichermaßen glücklich wie müde, es gab eine Menge Liebe in meinem Leben. Zur gleichen Zeit begann es aber mit meinem Vater gesundheitlich bergab zu gehen. Bald darauf ist er dann gestorben, aber ich hatte ja gerade ein Kind bekommen, und musste trotzdem jeden Tag mit einem Lächeln aufstehen, fröhlich sein. Mich haben wirklich einige sehr intensive Erlebnisse gleichzeitig überrumpelt, und dieses gemischte Erlebnis aus positiven und negativen Emotionen kreierte die Musik, als ich einfach losging. Wenn ich mir das Album anhöre, bemerke ich die lineare Entwicklung, die ich in diesem Jahr mitgemacht habe, auch wie Trauer zu Wut zu Hoffnung zu Frieden wurde. Manches fühlte sich sehr traurig an, aber im Kontext betrachtet, führte das im Endeffekt wieder zu etwas hellerem. Das ist wichtig“.

Über die Relevanz ihres Vaters, der im Dezember letzten Jahres 92-jährig verstarb, müssen nicht mehr viele Worte verloren werden. Mit Ravi Shankar verstarb ein Brückenbauer zwischen der indischen und der westlichen Musik, zwischen Ragas und Popsongs gewissermaßen, der nicht zuletzt auch durch seinen Einfluss auf die Beatles in die westliche Musikgeschichte einging. Dass das in besonders in Indien bei Puristen die Vermengung von traditioneller indischer Musik mit Pop nicht immer nur auf Gegenliebe stieß, bestreitet Anousha Shankar nicht, mittlerweile habe sich das aber geändert: „Ich glaube, dass die Antwort darauf viel dramatischer gewesen wäre, als mein Vater damit angefangen hat. Mittlerweile ist jede Art von Musik überall allgegenwärtig, du kannst nach New Delhi gehen und findest Hardcore-Metalheads, und du kannst nach Wien kommen und extreme Raga-Afficionados finden, die sich blendend auskennen“.

Apropos Wien: dahin kehrt Anoushka Shankar am 27. Mai zurück, um im Wiener Konzerthaus ihr neues Album zu präsentieren. Einige Male war sie bereits hier, hat auch Freunde hier, genießt den kulturellen Flair der Stadt. Nur heute, an diesem Promotag, da ist sie einfach nur in einem Hotelzimmer in irgendeiner Stadt.