AKUT

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Kreislauf

Im April spielen a-ha, die norwegische Popformation, in Wien. Ich werde hingehen. Mein erstes Konzert als Teenager war a-ha, ich glaube 1986 in der Wiener Stadthalle. Also richtiges Konzert, die von der Familie kredenzten Blasmusikhappenings oder Konzerte mit nachgebauten Instrumenten aus dem Mittelalter zählen nicht. Ich war damals reif fürs Popkonzert, weil frisch aus der Latzhosen- und Zahnspangenzeit entwachsen, die Pferde waren nicht mehr meine besten Freunde und aus der Bravo hatte ich erfahren, dass die Menstruation nicht den sofortigen Tod bedeutet – zumindest nicht, wenn sie innerhalb von einer Woche wieder aufhört. Ausgehtechnisch war ich nicht sehr verwöhnt, was einerseits an dem Kaff lag,in dem ich zu  wohnen hatte, und andererseits trug meine Faulheit nicht zu besonderen Schulerfolgen bei, obwohl ich redlich versucht habe, sie durch quirlige Gesprächigkeit während des Unterrichts zu kompensieren. Man hielt mich daheim also kurz, in Buben und Rauchen maturiert es sich schlecht, witzelte man schlecht. Wiederholt. Nicht einmal den Rubikwürfel konnte ich lösen, so wie echt jeder. Man machte sich Sorgen.

Diesmal aber erlaubten die Eltern, dass ich da ausnahmsweise hingehe. Es dürfte der seltene Moment gewesen sein, in dem gerade keine Gefährdung in Mathe oder Rechnungswesen oder Handarbeiten, also irgendwas mit „braucht keine Sau nie und zwar niemals wieder“,  im Raum stand, oder zumindest wussten sie nichts davon. Musikmäßig waren a-ha jetzt eigentlich gar nicht so der Burner für mich damals. Ich würde ja gerne behaupten, ich wäre stattdessen auf The Cure gestanden, oder Depeche Mode oder OMD. Ich fürchte aber, es waren ABBA und die Beatles, ja, auch ich war eine Witwe von John Lennon. Der Leadsänger von a-ha sah gar nicht so schlecht aus, wobei ich aber leider den Keyboarder anzuschmachten hatte, meine Freundinnen und ich haben uns die Band vorher aufgeteilt. Äh, ja. Egal, Hauptsache raus aus der heimischen Kontrolle, dieser Stätte der Liebe und der Enge, die einen nicht weit genug aus der Haut fahren lassen hat können.Wenn sie nicht liest oder Musik hört, arbeitet die zweifache Mutter selbstständig als Kommunikationsmanagerin und freie Autorin.In der Konzerthalle sah man Karottenhosen oder Leggings, so weit das Auge reichte. Teenie in den 80ern gewesen zu sein bedeutete rückblickend gesehen, am Höhepunkt der guten Figur die unvorteilhaftesten Kleidungsstücke angehabt zu haben, die jemals entworfen worden sind. Auf den T-Shirts standen vermutlich Dinge wie I Love Limahl oder All You Need Is Nena – sie waren aber allesamt mit den sogenannten Netzleiberln überdeckt, womöglich in Neongelb, an den Achseln weit ausgeschnitten, um die neue, austreibende Behaarung mit Stolz präsentieren zu können. Ich kann es abkürzen, ich habe keine Erinnerung an das Konzert, außer dass es laut war und mir jemand einen Tschick durch die Legging, ja, Legging, gebrannt hat. Darüber hinaus fielen mir ein paar hübsche Jungs auf, die sich insofern auch mit mir beschäftigten, als sie heimlich die Schnürsenkel von meinem linken Schuh mit denen vom rechten Schuh verknotet haben, worauf ich knallend der Länge nach hinfiel – womit ich meine beachtliche Karriere als weiblicher Vollhonk und ewiger Tollpatsch fulminant gestartet hatte. Eine Nuance meines Lebens, die mich niemals ganz unbegleitet gelassen hat. Geschmust haben dann nur die Freundinnen.

Das weitere Leben entwickelte sich trotz dieses kleinen Pechmakels dann eigentlich ganz prächtig, zwar mit Durchfallen in der Schule, nach der Matura aber dann gleich mit einem Job bei einer Zeitung. Ich sah auf einmal ganz überraschend einigermaßen gut aus, Menschen interessierten sich für mich, ich stieg ins Musikbusiness ein, wurde sehr jung Geschäftsführerin, versemmelte meine Beziehungen der Reihe nach, aber alle mit interessanten Männern, bitte. Der angestrebte weitere Werdegang in Bezug auf totale Selbstverwirklichung und mehrere Weltreisen nahm aber dann ein paar eigenartige Kurven in ungeplante Richtungen. Und nun bin ich hier. Mit den Kindern in der kleinen Wohnung. Die Jobs haben sich eher wieder Richtung nur mehr Schreiben entwickelt, keine Einkäufe mehr am Bobo-Biomarkt. Im Postfach ist ein Flugblatt eines Modehauses. Karottenhosen und Leggings, so weit das Auge reicht. Da sind wir also wieder. Und ich werde auf das a-ha-Konzert 2016 gehen. Wieder weil Hauptsache raus aus der heimischen Kontrolle, dieser Stätte der Liebe und der Enge, die einen nicht weit genug aus der Haut fahren lassen kann, diesmal von der anderen Seite der Generationenhierarchie. Und soll man mir dort ruhig wieder die Schuhe, diesmal vielleicht unter neuen Karottenhosen, zusammenbinden. Ich werde hoch erhobenen Hauptes auf die Pappn fallen. Diesmal darf nämlich ich den Sänger anschmachten, also sofern er noch Haare hat. Ich weiß mich nun durchzusetzen. Und: Ich kann seit letzter Woche den Rubikwürfel. Alles gut.