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Wiener Wa(a)gnis

Sarah Wetzlmayr

Wiener Wa(a)gnis

Bezirk: Innere Stadt
Datum: 07.04.2016
Uhrzeit: 10:01

Foto: Sandra Keplinger
Text: Sarah Wetzlmayr

Es gibt Dinge, die werden einfach so als gegeben hingenommen und prinzipiell nicht hinterfragt. Meistens fallen solche Sachen in die Kategorie „immer schon so g’wesn“ – und damit auch nicht weiter auf. In Wien sind es die weltweit wohl einzigartigen Gewichtswaagen, die eindeutig dieser Kategorie angehören – stille Überbleibsel aus der k. u. k. Monarchie, einer Zeit, in der die Menschen sich selbst zwar kaum, aber immerhin einen weniger paranoiden Umgang mit ihrem eigenen Körperbild pflegten. Die erste Chance, mögliche Gewichtsneurosen in aller Öffentlichkeit auszuleben, ergab sich 1888 bei der im Prater eröffneten großen „Jubiläums-Gewerbe-Ausstellung“ anlässlich des 40-jährigen Thronjubiläums von Kaiser Franz Joseph, dessen Frau Elisabeth, wie man weiß, ja auch eine sehr intensive Beziehung zu ihrem Gewicht unterhielt. Zunächst etwas unbeholfen näherte man sich damals dieser technischen Neuerung an und überspielte mögliche Unsicherheiten im Gebrauch geschickt mit Wiener Schmäh: „I bitt‘, i muss mich beschwern, i hab‘ da drei Kreuzer einithan und ’s kommt ka Schokolat‘ außa.“

Die Waagen haben sich also aus der Wiener Kaiserzeit ins heutige Stadtbild hinübergerettet. Ein wahrer Waagen-Boom setzte in der Zwischenkriegszeit ein und erreichte nach 1950 seinen Höhepunkt–man begann sich nämlich nach der Überwindung der größten Not erstmals mit Schlankheitsidealen auseinanderzusetzen. Anpassungsfähig sind diese wichtigen Wiener Stadtaccessoires außerdem – die Umstellung von drei Kreuzern auf einen Schilling und schließlich auf 20 Cent lief jedes Mal reibungslos ab. Warum die Waagen immer noch da sind, muss wohl jeder für sich selbst herausfinden, auf jeden Fall erinnern sie daran, im hektischen Großstadttrubel auch mal kurz innezuhalten, um sich einmal ganz sich selbst zu widmen. Weniger philosophisch und mehr praktisch gedacht könnte man auch einfach sein Handgepäck am Weg zum Flughafen darauf abwiegen. Und außerdem: Was bekommt man heutzutage noch für 20 Cent?