AKUT
Gummizelle
ETWAS PESSIMISMUS GEFÄLLIG? DAS ARSCHLOCHJAHR 2016 WIRFT DIE ANGST WIE EIN FETTES STEAK AUF DEN GRILL. VOM VERZEHR WIRD ABGERATEN.
TEXT & FOTO: MANFRED KLIMEK
2016, DIESES ARSCHLOCHJAHR, räumt ordentlich auf. Pop, Architektur, Politik: Überall geht Gevatter Tod die Runde, der große Schnitter, und macht mit seiner Sense die Arbeit, die sein Berufsbild vorschreibt. Er holt die Leute derart verschärfend, als hätte da etwas herumgelegen, das seiner Erledigung bedurfte; als müssten die Klugen, Guten, Hilfreichen und Erfahrenen rechtzeitig das Zeitliche segnen und den kommenden Toten Vorhut sein. 2016 ist das Arschlochjahr, das man schon 2014 und 2015 erwartet hätte; ein „Black Swan Year“ womöglich, jene zwölf Monate, die das Chaos eintreten lassen, die Epoche der Dunkelheit. 1914 und 1939 waren die letzten schwarzen Schwäne, deren Flügelschlag die ganze Welt erzittern ließ. Ganz schön lange her. Höchste Zeit, denkt der Bogenschütze des Geschichte-Zeitpfeils, das dunkle Gefieder wieder mal global hochsteigen zu lassen. Als Drache. Ohne Schnur.
Die Dunkelheit, sie legt sich immer irgendwo über irgendwelche Regionen. Über Afrika beispielsweise fast pausenlos, über Kambodscha einst nur ganze fünf Jahrelang genug, um Millionen Menschen das Leben zu kosten. Diesmal aber sind wieder alle dran. Weil Globalisierung ist. Egal wie sehr man sich die Nation zurückbastelt. Es gibt keine Wiederkehr des Alten.
Und keine Zäune, die etwas sichern könnten. Aufhalten, ja. Doch der schwarze Schwan fliegt über sie hinweg. Es ist nicht die Globalisierung alleine, die den schwarzen Schwan so hoch steigen ließ, dass er nun lange Schatten wirft; es sind zwei andere Faktoren, die das eigentliche Black Swan Year zu erkennen geben: 1979, als das Heute begann, das uns nun einholt.
1979 übernahm Baroness Margaret Hilda Thatcher, geborene Roberts, die Macht in Großbritannien. Dass sie der konservativen Unionspartei – umgangssprachlich Tories genannt – vorstand, tut hier wenig zur Sache; Thatcher machte sich das Vehikel einfach untertan und führte die Partei mit harter Hand zu Macht und Machtrausch. Großbritannien war damals ein kaputtes Land, Streikwellen putschten die ungeliebte sozialistische Regierung in den Abfallkübel der Geschichte. Thatcher musste – so wie hierzulande HC Strache – nicht viel machen, sie gelangte von alleine an die Macht, das Volk hatte das Chaos satt. So konnte Thatcher dem Volk auch ihren Lieblingssatz andienen: „There is no such thing as society“ – ein unfassbar genialer Wurf, der ihr Zerstörungs- und Aufbauwerk präzise androhte; eine Aufkündigung aller Vereinbarungen, die sie gemeinsam mit dem 1981 gewählten US-Präsidenten Ronald Reagan durchzusetzen begann. Thatcher und Reagan waren keine Regierungschefs irgendwelcher Länder, sie waren Botschafter einer neuen Ideologie, die in den Dreißigerjahren kreiert worden war, sie waren Geburtshelfer des Neoliberalismus, der heute für all das Schlechte herhalten muss, das man dem Kapitalismus gerne nachsagt.
Doch ist es nicht der Neoliberalismus, der den schwarzen Schwan steigen lässt – und deswegen ist es auch Unsinn, ihn immer als Auslöser der Misere an den Pranger zu stellen. Es ist vielmehr der ankerlose Finanzmarktkapitalismus, eine Kretingeburt des Neoliberalismus. Er bedroht unsere Welt im Innersten, weil er das macht, was selbst die bösesten Kapitalisten nicht geschafft haben: eine winzige Minderheit sehr reich machen, und den Rest zu Sklaven, die mit Screen & Sex hypnotisiert werden. Der Finanzmarktkapitalismus hat es geschafft, die uneintreibbaren Schulden armer Menschen zu Produkten zu bündeln, die man der wohlhabenden Mittelschicht andrehen konnte, um diese selbst zu armen Menschen zu machen. Das war ein Raubzug ohne Beispiel, der die Welt 2008 an den Rand des Finanzkollaps brachte, der nur deswegen nicht eintrat, weil der Steuerzahler die Schulden dieses Gesindels auffing und damit wieder die Reichen noch reicher machte. Wenn wir das anklagen wollen, dann machen wir uns nur lächerlich, denn wir haben alle zugesehen und eine Rettung beklatscht, die nur Ouvertüre des nun kommenden Untergangs war. Das alles war 1979 schon ein fester Plan, denn Geld war nicht mehr an Gold gebunden, es durfte von der Leine und dynamisch wirken. All jene, die an das Gute des Kapitalismus glaubten, haben ihren Glauben in jenen Tagen verloren. All jene, die das heute noch tun, sind heillose Narren.
Wie bedrohlich die Situation gerade ist, kann man daran merken, dass die EZB ernsthaft daran denkt, jedem EU-Bürger dreitausend Euro zu schenken, damit das Volk die tote Konjunktur belebt. Welche Unruhen das nun wieder auslösen würde, kann sich jeder denken, der Kreditnehmer ist. Aber offenbar ist die Lage so ernst, dass man selbst Unruhen in Kauf nimmt. Die Wirklichkeit also: Der Raubzug ist abgeschlossen, nun kann man das System getrost fallenlassen. Es ist vorbei. Doch 1979 war noch für eine zweite Zeitenwende gut. Im Iran wurde der verhasste Schah gestürzt, eine Marionette Washingtons und Langleys. Ihm folgte ein verbitterter, weißbärtiger Mann namens Khomeini, der in Teheran aus einer Air-France-Maschine stieg und fortan das Gesicht des neuen Islam prägte, des politischen Islam, der überall einen Gottesstaat errichten will und die Religion zum Instrument des Terrors werden lässt. Es tut zuerst wenig zur Sache, dass Khomeini ein Schiit war (wenn man so will, die „Anglikaner“ des Islam), denn die der Schia verfeindeten sunnitischen Wahhabiten Arabiens (vor allem die Saudis) machen beim Hängen und Köpfen ihrer Gegner eine gleich gute Figur. Der törichte Westen jedoch ermunterte die hartgesottenen Taliban in Afghanistan, gegen die Sowjets aufzustehen – Geister, die man rief und nicht mehr loswurde.
Der Rest der Geschichte ist bekannt. Der Islam ist unter Kontrolle jener Personen, die ihn richtig lesen und seine Gewalttätigkeit korrekt interpretieren. Diese Personen folgten lange Zeit verschiedenen Einflüsterern, machten sich dann selbstständig und finden sich nun konzertiert im Islamischen Staat wieder, der absoluten Ausgeburt der Hölle, einem Terrorregime, das den Nazis nicht nachsteht.
Fazit: Eine müde, aussichtslose Finanzwelt und ein müder, aussichtsloser Islam, die gemeinsam Selbstmord begehen. Dazu noch die unbezahlten Rechnungen von drei untergegangenen Weltreichen: Österreich-Ungarn und die Sowjetunion (die Ukraine-Krise) und das Osmanische Reich (die Krise des Nahen Ostens). Weiters die nicht abreißende Flüchtlingsbewegung und ein erlah- mendes China, das mit seinen Nachbarn wegen vermuteter Bodenschätze einen Krieg riskiert. Das alles lässt den schwarzen Schwan steigen. Das alles lässt die Leute nach Änderungen rufen. Denn das, was ist, hat keine Zukunft mehr. Da muss man Angst von der Zukunft haben.