AKUT

Pomale – nur keine unnötige Hast!

Fuhren wir nicht mal in den Süden, weil die faulen Spanier mit ihrem „¡Manana!“ – „Morgen!“ – nicht nur eine wohlklingende Zeitform meinten, sondern damit auch gleich eine Lebensform des entspannten Aufschiebens begründet hatten?

 

Und quälten wir uns nicht im Kadett über den Brenner, weil wir die zwei Wochen Urlaub bei jenen verbringen wollten, die uns mit ihrer entspannten und sorglosen Lässigkeit, die wir ihnen nicht zuletzt um ihre Hüften herum zuschrieben, so überlegen schienen, wohingegen wir mit unseren zusammengezwickten Ärschen …?

TEXT: MANFRED REBHANDL

Und hatten wir Wiener dieses Ideal der Faulheit italienischer „Vitelloni“, wie Fellini diese Müßiggänger in seinem gleichnamigen Film nannte, nicht auf unsere Weise sogar verfeinert und ergänzt, als wir dem italienischen „dolce far niente“ mit unserem „Pomale! Nur keine unnötige Hast!“ die schöne Schwester Gemütlichkeit zur Seite stellten? „There is no such thing as society“, meinte Margaret Thatcher in den 80er-Jahren des vorigen Jahrhunderts, und dreißig Jahre später proklamierte mit dem deutschen Kanzler ausgerechnet ein Genosse den endgültigen Abschied von „In der Ruhe liegt die Kraft“, als er meinte: „Es gibt kein Recht auf Faulheit in der Gesellschaft.“ Einzig das Individuum sollte fortan zählen, und dieses sollte möglichst flexibel, ständig erreichbar und mit höchstem Willen zur Selbstoptimierung ausgestattet sein. Konsumidioten werden auf diesem Weg herangezogen, die sich idealerweise nach dem Bachelor auch noch ohne viel nachzudenken in die Arbeit stürzen, bis hin zur völligen Erschöpfung. „Die Arbeit“, schrieb schon Nietzsche, „bekommt immer mehr alles gute Gewissen auf ihre Seite“, während der „Hang zur Freude anfängt, sich vor sich selbst zu schämen.“ Wie bei allem, was unser Leben heute prägt, sind wir also auch hier Opfer unserer katholisch-christlichen Prägung geworden, auf die wir uns gerade in diesen Tagen so viel einbilden. Die Faulheit gehört bei den Katholen nämlich zu den sieben Todsünden, und wir sollen ein schlechtes Gewissen haben, sobald wir uns von den ausgetretenen Pfaden des reinen Funktionierens entfernen, hinein in die tiefen Wälder, in denen es Abgründiges und Erhellendes, Beängstigendes und Mut Machendes zu entdecken gibt – uns selbst! Dass also Faulheit Sünde wäre, darauf kann wirklich auch nur jemand kommen, der von Gott nicht die geringste Ahnung hat.

Masturbation ist geistige Beschäftigung auf höchstem Niveau

„Müßiggang ist aller Laster Anfang“ war also der Stehsatz aller Eltern, die damit im Wesentlichen aber nur ihre Befürchtung zum Ausdruck brachten, wir könnten zu onanieren anfangen, sobald wir in unseren Zimmern alleine waren mit uns. Dabei bedeutet gerade Masturbation geistige Beschäftigung auf höchstem Niveau und fördert Kreativität und Fantasie, mal abgesehen vom körperlichen Wohlbefinden. Die Angst der Eltern (und aller anderen Autoritäten), wir Kinder könnten dem Müßiggang anheimfallen, war also nichts anderes als ihre Angst, wir könnten anfangen zu denken. Lieber wäre es allen, wenn unser Geist möglichst träge bliebe. Und warum sollen wir unser Hirn wirklich noch arbeiten lassen, lautet das verführerische Angebot, wenn doch eh alle möglichen Instanzen uns das Denken, das Nachdenken, das Sinnieren und Grübeln abnehmen, und wir dann nur noch zu „liken“ brauchen, was uns an vorgekauten Häppchen von anderen hingeworfen wird. Eine eigene Meinung haben? Mal Irrwege einschlagen und einen Schritt zurück machen, um sich selbst, sein Leben und Tun zu reflektieren, wie das die hohe Kunst der Muße vorschreibt, die uns ja einlädt, sich freiwillig, konzentriert und bewusst Zeit für uns selbst zu nehmen? Come on! Zukunftsforscher schwärmen schon heute vom Berufsbild des „Coaches“, der unser Leben in spätestens 50 Jahren dominieren wird, weil wir vor lauter Trägheit des Geistes den eigenen Arsch nicht mehr finden und selbst dafür Unterstützung brauchen werden. Womit wir bei den jungen Heranwachsenden wären, und bei den Kindern, deren Helikoptereltern ihnen alles abnehmen, was die Gehirnwindungen in Aufregung versetzen könnte, vom Entdecken des Schulweges bis hin zur Schlägerei in der Sandkiste. Vor allem und auf keinen Fall und absolut niemals darf den kleinen Wonneproppen langweilig werden, sonst wird man selbst ganz nervös! Dabei entstehen nur in der Langeweile einigermaßen gute Gedanken, und nur beim Fadisieren wird aus einem weißen Blatt Papier ein Flieger, ein Boot, ein Hut oder ein Monster. Worauf man freilich ohne Youtube-Anleitung erst einmal kommen muss!

„Derwarten magst mehr als wie derrennen“

Die Evolution hat es extra so eingerichtet, dass wir neben der Aktivität auch die Erholung brauchen. „Derwarten magst mehr als wie derrennen“ hieß es bei uns im Kuhdorf, also auf gut Deutsch: „Kühl mal runter, Mann! Entspann dich!“ Die Gelegenheiten, die sich uns im Alltag an jeder Ecke zum Innehalten und Warten auftun, sollten wir daher in Zukunft gefälligst nützen. Der Nächste, der beim Hofer „Zweita Kassa bitta!“ schreit, wird sofort auf Feld 1 zurückgeschickt. Und wer sich ein Taxi herbeiwinkt, nur weil die Straßenbahn erst in fünf Minuten kommen wird, der muss aus dem Verkehr gezogen werden. Außerdem: Wochenendreisen, Tagesrandverbindungen – weg! Und auch in der Drogenpolitik muss endlich ein harter Kurs gefahren werden: Haschisch gratis für alle in der Trafik, leistungssteigerndes Speed und Kokain dafür verbieten! Dann werden wir auch endlich wieder mehr Start-ups der Kategorie „Firma Rast und Ruh, vormittags geschlossen und nachmittags zu!“ gründen, womit wir schon viel erreicht hätten. Nicht mehr Held der Arbeit Stachanow, der sich in den Kohlerevieren der Sowjetunion den Buckel krumm gearbeitet hat, soll unser Held der Arbeit sein, son- der Bartleby aus dem gleichnamigen Roman von Herman Melville. Der war Schreiber in einer Anwaltskanzlei und lehnte bald jede Arbeit mit dem schönen Satz „I’d prefer not to“ ab. Nicht ein „Heb ich mir für später auf!“, sondern „Lass mich in Ruhe mit dem Scheiß!“. Irgendwann später stirbt Bartleby dann zwar an seiner vollkommenen Lebensverweigerung, aber he, sterben werden wir alle! Oder nehmen wir uns ein Beispiel an Gaius Faulus, dem römischen Legionär mit ausgeprägtem Sinn für Arbeitsteilung. „Ich fege die erste Hälfte der ersten Platte, verweile ein wenig. Dann fege ich die zweite Hälfte der ersten Platte und verweile wieder ein wenig.“ Genau so! Lieber wie der Faule Willi in der Wiese herumliegen, um dem Konzert der Zikaden zu lauschen, als sich den Arsch auf- zureißen. Und wenn uns dann diese „Ich arbeite 80 Stunden in der Woche!“-Witzfiguren kommen mit ihrem „Wie soll sich das alles ausgehen ohne Wachstum?“, dann anworten wir ihnen einfach mit Jesus Christus, der sehr schön gesagt haben soll: „Sorget euch nicht!“ Der hatte auf jeden Fall mehr Ahnung von dem, was seine Eltern mit uns geplant hatten, als alle Pfaffen zusammen.