AKUT

Wenn monogame Frauen fremdgehen

Wenn der Trieb anders drauf ist als die persönlichen Wertvorstellungen, sind die Konflikte gleich um die Ecke.

TEXT: MANFRED SAX
ILLUSTRATION: STEFANIE SARGNAGEL

Wenn Frauen fremdgehen, erzählen mir Frauen, suchen sie nicht unbedingt den Fuck of the Century. Natürlich würde sie so ein Fuck nicht stören, aber er steht nicht ganz oben auf der Liste. Dort steht sie persönlich. Die Suche nach sich selbst. Nach einer Bestätigung ihrer Weiblichkeit, einem wiederbelebenden Beweis. Die Umstände wollen es, dass ihr Mann für gewisse Stunden dann irgendein Hans oder Peter ist. Ein Individuum mit Gesicht und Namen und etwas gemeinsamer History, ein Arbeitskollege zum Beispiel. Die Fremdgeherin lebt also eine alternative Beziehung im Kleinen, in ihrer Welt, der einen. Für solche Scherze sind Männer im Allgemeinen viel zu monogam unterwegs. Das ist ihre Natur. Dem Partner treu bis in den Tod. Bis auf den kleinen Tod. Der wird, zugegeben, gelegentlich in der Fremde zelebriert. Das ist nichts Persönliches. Eher so was wie ein Gang in die Kirche. Das Gebäude mag sich ändern, die Religion ist die gleiche: das Weib. Es hat keinen Namen, oft erinnert er sich später nicht einmal an ein Gesicht, es sei denn, ihre Lippen waren unvergesslich. Aber im Wesentlichen ist so ein Weib ganz Leib. Es gibt keine andere, Darling, ich war lediglich beten. So ist das mit seiner Monogamie. Überhaupt ist Monogamie eine verdammt praktische Sache. Man zieht zusammen, man kocht einander ein, man macht Kinder und zieht sie groß, man wird gemeinsam alt; irgendwann hört sogar der Sex auf, ein Problem zu sein.

Du magst am Anfang einer Beziehung nicht monogam sein, im Lauf der gemeinsamen Jahre wirst du es. Monogamie ist Komfortzone. Aber manchmal, zumindest einmal im Leben, ist sie auch im Eimer. Dazu braucht es nur ein paar übliche Verdächtige: Man nehme etwas Wirtschaftskrise und Existenzangst, dazu einen herben, mit Alkohol kompensierten Karriereknick seinerseits – schon ist ihr monogames Immunsystem zumindest angeknackt. Libido im Keller, Energie auf Sparflamme, im Alltag wie ein Zombie unterwegs – es muss sich was ändern. Klar, eine Affäre muss her. Dazu sind sie hier. Affären haben ihren guten Zweck, sie sind wie eine Frischzellenkur, sie verschaffen hormonellen Gratis-Vorschuss, sie beleben die Sinne. Eine gute Affäre bringt selbst in ein scheintotes eheliches Bett wieder Leben. Nur: Wie macht das eine monogame Frau? Wie geht sie fremd? Nach Ansicht meiner FB-Vertrauten, einer monogamen Seele, mit der ich Sex gelegentlich thematisiere, erledigt sie das ohne Widersprüche: „Monogame Frauen gehen nicht fremd. Sie trennen sich sogar fürs Händchenhalten. Deppert, aber es ist so.“ Andere, auch wissenschaftliche Quellen, stellen ihre Monogamie in Frage. Die monogame Frau ist ein Mythos, sagen sie, sie ist von Natur aus promisk. Sie legt sich Liebhaber zu, so die eminente Anthropologin Helen Fisher, um ihre Existenz zu verbessern (Geschenke!) oder ihren Genpool zu optimieren, und außerdem sei so ein Zweitmann auch noch eine Versicherungspolizze – für den Fall, dass der Nummer eins was passiert. Kurz: Die monogame Frau existiert nicht, weil es auch den perfekten Mann, der alle Bedürfnisse langfristig befriedigt, nicht gibt.

Also nein, das stimmt so nicht. Es gibt sie, die „One Man Woman“. Sie mag ein pathologischer Fall sein und mit dem Sex so lange ihre Probleme haben, bis sie diesen einen Mann entdeckt, aber sie hat die biologischen Anlagen zu seiner Identifikation. Das wissen wir dank der „Verschwitzte T-Shirts“-Studie (1995) des Schweizer Biologen Claus Wedekind. Wedekind ließ Männer mehrere Tage lang optisch idente T-Shirts tragen und Frauen durften in der Folge daran riechen und ihre sexuelle Präferenz deklarieren. Die Resultate zeigten, dass Frauen jene Männer am attraktivsten finden, deren MHK dem ihren am unähnlichsten ist. Der MHK ist eine Gruppe von Genen zur Optimierung des Genpools: Je unterschiedlicher der MHK der Eltern, umso stärker das Immunsystem des Nachwuchses. Im Klartext: Dem genetisch „richtigen“ Mann öffnen sich die Pforten der Frau wie von selbst. Das ist das Nette an der sexuellen Selektion. Die „richtige“ Verbindung macht anhänglich, macht Kinder, macht monogam. Das Dumme ist, dass auch so eine „richtige“ Beziehung mal in die Krise schlittert. Dass die Beziehung beziehungslos wird, der Sex nicht mehr passiert, die Sehnsucht nach Alternativen unwiderstehlich wird. Eigentlich brauchst du so eine Krise wenigstens einmal im Leben, sonst wäre das Leben nicht komplett gelebt. Irgendwann im Leben brauchst du eine ausgewachsene Krise, die eine Affäre wie ein Gebot der Vernunft erscheinen lässt. Für den Mann kein Problem, der braucht nur eine Gelegenheit. Für die One Man Woman ist es ein Szenario der Konflikte. Wie es eben ist, wenn der Trieb (das „Es“) anders drauf ist als die persönlichen Wertvorstellungen (das „Über-Ich“). Wenn praktisch unwiderstehlich wird, was theoretisch tabu ist.

Für ihr Über-Ich ist die Lösung eine logische: Es muss Liebe sein. Liebe löscht alle Einwände, Liebe macht dumm, Liebe macht die Affäre möglich, wenn auch die Langzeitbeziehung kompliziert, sie ist ja weiterhin monogam unterwegs, nämlich mit dem Affärenmann. Mit dem der Sex nicht notwendigerweise reibungslos läuft, aber jedenfalls betrieben wird, sonst wäre der Mann nicht verfügbar. Organisch gesehen ist das frische horizontale Geschehen für One Man Woman ein längerfristiges Projekt, ihr Langzeitmann sollte bereits gut drei Monate ein Bett im Nebenzimmer bezogen haben, so lange braucht es, bis sich sein MHK aus ihrem organischen System verflüchtigt – es sei denn, ihr Affärenmann ist vasektomiert, das macht ihn MHK-neutral. Der Rest ist Finetuning. Ihre Vagina, zum Beispiel, wird auf neue Penisdimensionen konfiguriert, für Frauen normal kein Problem, für One Man Women eine delikate Sache, ihre Vagina ist eine MHK-Norm gewöhnt. Im Idealfall ist der Penis des Affärenmannes kleiner, das wäre tatsächlich ideal, denn dann kann ihr Pubococcygeus-Muskel die Konfiguration übernehmen. Der ist, erstens, vaginal fühlbar. Und weil er, zweitens, eben ein Muskel ist, kann er trainiert werden. Ein gut trainierter MPC kann den Geschlechtsverkehr gegebenenfalls in einen Kontaktsport verwandeln und so die sexuelle Kommunikation verfeinern. Voilà. Irgendwann, im Schnitt nach einem halben Jahr, platzt dann die Affäre und der Langzeitmann hat neben der emotionellen Bescherung wenigstens den laschen Trost, dass der Nebenbuhler einen kleinen Pimmel hatte. Nicht viel, aber in solchen Fällen klammert man sich auch an Strohhalme.