AKUT
Wien, du tote Stadt
Jeden Sonntag feiert Wien einen neuen Teil von „Stirb langsam“. Und legt mittlerweile dabei schon ziemliche Rekordzeiten hin.
von Sarah Wetzlmayr
Speziell wenn der Herbst naht, wird Wien am Sonntag nur zwei Mal aus seinem komatösen Zustand gerissen. Einmal durch das Magenknurren, das wie das Geräusch eines alten, verklebten Motors verkaterte Wiener Menschen dazu antreibt zum Billa am Praterstern zu fahren um Futter in den Katerbau zu schaffen, und das zweite Mal durch die Tatort Titelmelodie, die vereinzelte Wiener Hipster wie aus einer verauberten Flöte stammend zum gemeinschaftlichen Schauen lockt. Das sind so grob umrissen, die einzigen beiden Ausschlagsmomente des Sonntags-EKGs der Donaumetropole. Am Weg zum Stern bahnt man sich den Weg durch desorientiert umherstehende Touristengruppen, die sich fragen „What would Sisi have done?“, mit dieser Frage aber allein im Wind stehen gelassen werden. Sonntags ist in Wien der Wind, der eh immer geht, auch etwas stärker, weil die Gehsteige leer sind und der Wind genauso Freifahrt genießt, wie die Schüler in den Wiener Linien – die sie aber nicht benützen, weil sich auf RTL und RTL II deutlich mehr Leben abspielt. Sonntags ist Wien, dieser Stadt der gerade so viel Amore und Lebensfreude zugedichtet wird, tot. Blickt man in die Gesichter der paar Spaziergeher, Jogger und verwirrten Restfetten, die sich nach draußen getraut haben, sieht man auch dass sie „eigentlich eh“ gar nicht wirklich da sind, sondern irgendwo anders – in einer Stadt deren Herz am Sonntag nicht plötzlich zum Pumpern aufhört. Die Sonntagsdepression ist also hausgemacht, genauso wie der Nussschnaps, den man versucht als Gegenmittel einzunehmen. Wie man dieses depressiven Zustands Herr wird? Na gar nicht, denn Sonntag ist der Tag des Herrn. Der katholische Kopf der für diese Stadt denkt, hat den Sonntag zum wöchentlichen Allerheiligen erklärt – dem einzigen Tag des Jahres an dem sich mehr Leute am Hernalser Friedhof tummeln als sonntags im Billa am Praterstern. Aber jetzt los, es ist halb zwei – Zeit sich einfach, an verlorenen Touristentrauben vorbeischiebend, an der Wursttheke am Praterstern ein bisschen Amore und Lebensfreude zu kaufen. Denn seltsamerweise spielt sich hier auf diesem magischen Teppich aus Kotze- und Uringestank am Sonntag in Wien noch irgendwie Großstadt ab.