Film & Serie

Ertappt! Du schaust doch heute auch Tatort?

Sarah Wetzlmayr

Bislang hat jedes Vöslauer-Werbetestimonial noch gelogen. Warum das so ist, erklärt und beweist der Tatort am Sonntagabend.

von Sarah Wetzlmayr

Der Werbeslogan aus der Vöslauer Werbung – „Wer jung bleiben will, muss früh damit anfangen“, bei dem jedes Jahr eine andere „natural Beauty“ ihre Finger zu einem aufdringlichen Victory-Sign vor der Kamera spreizt, dürfte wohl kaum jemandem entgangen sein. Was jedoch erstaunlich vielen entgeht, ist dass der eigentliche Werbeslogan für diese merkwürdige Zeit in der wir leben „Wer alt werden will, muss früh damit anfangen“ heißen müsste, denn statt sonntags den Restalkohol im Blut nochmal zum Brodeln zu bringen und in die Fledermaus zu schauen, schaut man seit einiger Zeit lieber Tatort. Egal ob alleine, daheim, im Pyjama oder in der neuen edlen Cordhose, im Kino, am Laptop, nackig am Sofa oder nackig in der Badewanne – alle schauen Tatort. Und wenn man auch zugeben muss, dass der Sendetermin nicht besser sein könnte (eben weil toter Sonntag und eben auch weil Restalkohol) ist diese seltsame Sucht, sich am Sonntagabend mit Bio-Kettlechips und einem gesunden Dip (der den Namen Dip gar nicht erst verdient hätte) vor dem Fernseher  zusammenzurotten und ein paar unlustigen und einer Handvoll halblustigen Kommissaren dabei zuzusehen wie sie sich die Köpfe am Ende unzähliger Krimi-Sackgassen anhauen. Sie sind chronisch überarbeitet, haben Augenringe (die fallen jedoch nicht so auf, weil sich der Tatort für gewöhnlich sowieso in den trübsten und grausten Teilen eine Stadt abspielt) und sind bei der Polizei angestellt – also genau so wie man selbst eigentlich gar nicht sein möchte. Mit den Augenringen als Tarngewand tappen sie dann einenhalb Stunden durch die Dunkelheit (ja, es geht noch dunkler), bis dann am Ende, man glaubt es kaum, der Mord doch noch aufgeklärt wird. Oft passiert über weite Teile gar nichts, wenn etwas passiert ist es meistens so deprimierend, dass man sich nach dem Tatort eigentlich gern in den Zirkus setzen würde um das innere Gleichgewicht wieder herzustellen. Und trotzdem ziehen oft mehr als eine Million Österreicher den Tatort anderen Sonntagabend-Beschäftigungsmodellen vor. Weil Sonntag ist eben. Weil man so seine Freunde treffen kann, ohne sich wirklich mit ihnen auseinandersetzen zu müssen – sein soziales Soll also bereits am Sonntag erfüllt hat und auch weil man doch irgendwie drauf hofft, dass irgendwann irgendwelche Kommissare endlich mal miteinander vögeln. Und ja: Krimi ist sowieso irgendwie leiwand.

Das sind alles Gründe, denen man ihre Berechtigung überhaupt nicht abstreiten kann und doch ist der Tatort vor allem eines: Ein Symptom von „Wer alt werden will, muss früh damit anfangen“. Da kann Sienna Miller noch so viel Vöslauer trinken – diesen fetten Kloß im Hals spült niemand so einfach runter. Der Tatort ist nur eines von vielen Symptomen und die reichen von ausgedehnten Spaziergängen statt halsbrecherischen Mountainbike-Fahrten (die Rolltreppe der U1-Station Schwedenplatz hinunter), Kochkursen statt McDonald’s-Cheeseburger-Challenges („Wer schafft mehr?“) und sich Gedanken über die Seele seines Zierfisches zu machen statt einfach fortzugehen und sich die Seele aus dem Leib zu kotzen. So ist das, wenn man schon mit Mitte 20 nach Pensionopolis zieht. Und genau deshalb machen wir uns jetzt alle eine Packung rechts-gedrehte Chips auf und schauen Tatort. Heute ist Münster dran, und die sind nicht nur halblustig sondern sogar echt lustig.

 

»Tatort« läuft seit 1971 jeden Sonntag im Fernsehen, in Österreich auf ORF2.Foto © Getty Images