AKUT

Stermann: 50

50 ist das neue 40, sagt man, aber tatsächlich ist 50 das verkackte, alte 50. Sind wir uns doch ehrlich. Ein befreundeter Popmusiker, der in London lebt, sagte einmal resignativ: „Es gibt immer wieder Neue, Jüngere mit engeren Hosen!“ Ich selbst habe einen kleinen Sohn, den ich jeden Morgen mit dem Kinderwagen durch den Bezirk schiebe. Immer wieder muss ich an den Satz eines ebenfalls befreundeten Kabarettisten denken: „Der Vorteil beim Kinderwagen für ältere Väter ist, dass sie ihn gleichzeitig als Gehhilfe verwenden können.“ Lange fand ich mich für mich selbst zu jung. Ein Greis in einem Knabenkörper wäre übertrieben formuliert, aber mit Ende 30 war die Schnittmenge zwischen mir und meinem Alter am größten. Da ich noch nie Jugendkult betrieben habe, obwohl ich lange bei einem Jugendkultradio gearbeitet habe, schien mir das Altern eigentlich ganz passabel. Bis ich in einem Hamburger Hotel am Nebentisch eines österreichischen Paares um die 70 saß. Leider musste ich ihnen zuhören, meine Scheiß-50-jährigen Ohren sind noch zu gut. Keine Gnade der Schwerhörigkeit. Ich vermute, dass sie aus Niederösterreich kamen. Sie hatten irgendwie etwas Prölliges an sich, wirkten bauernbündlerisch. Ich gebe ihren Dialog jetzt einmal wieder:

Er: „Da gibt’s nur Buffet. Oder man geht ins Restaurant, da kann man sich was bestellen, was nicht am Buffet ist.“
Sie: „Aha.“
Er: „Am Buffet gibt’s nur das, was am Buffet liegt. Da kann man dann nicht was anderes bestellen.“
Sie: „Ja, da muss man das nehmen, was am Buffet liegt.“
Er. „Was?“
Sie: „Da muss man das nehmen, was am Buffet liegt.“
Er nickte und schaute nachdenklich.
Er: „Weil sonst müsste man ja à la carte.“
Sie: „Ja, die können ja nicht alles aufs Buffet legen, was sie haben.“
Er nickte nachdenklich.
Sie auch.
Er: „Ich nehm mir im Restaurant ja immer das, was ich am liebsten mag.“
Sie: „Aha.“

Aha? Das war alles, was sie auf eine derart törichte Feststellung zu sagen hatte? Mein Gott, wie resignativ musste sie nach 50 Jahren Ehe sein. Warum war sie nicht aufgesprungen und hatte ihn gepackt und geschüttelt? Und gebrüllt: „Ja, natürlich nimmst du dir Sachen, die du magst! Wenn du eine Fischallergie hast, wirst du dir ja keinen Lachs vom Buffet holen, du Vollhonk!“ Stattdessen nur ein „Aha“. Wenn man nur noch solche Gespräche führt, sollte man sich dann nicht besser aus Protest gegen sich selbst den Mund zunähen? Vielleicht aber hat das gar nichts mit dem Alter zu tun, sondern mit mangelnder Beschäftigung des Gehirns. Wenn man dem armen kleinen Denkorgan keine Impulse setzt, wird es verkümmern, so wie das Herz vieler Rechtspopulisten. Mein Großvater wurde 92 und war bis kurz vor seinem Tod sehr fit. Er sorgte für sich selbst, ging regelmäßig schwimmen und spielte Karten, selbstverständlich um Geld. Weil er sehr gut spielte, besserte er sich so die Pension auf. Wenige Tage vor seinem Tod besuchte ich ihn im Spital und fragte ihn nach seinem Geheimnis. „Opa, wie hast du das gemacht, so fit zu bleiben?“ Er dachte lange nach und als er antwortete, erwartete ich eine sehr philosophische Antwort. Er aber sagte: „Sudoku. Sudoku und Kreuzworträtsel.“ Ich werde also die nächsten 42 Jahre viele Sudokus lösen, um fit zu bleiben. Weil Sudokus aber zum Langweiligsten gehören, was ich mir vorstellen kann, werde ich den Rest meines Lebens sehr trostlos verbringen und sinnlose Gespräche über Buffets führen und Sätze sagen wie: „Ich bestelle mir ja in Restaurants immer das, was ich am liebsten essen würde.“ An dem anderen Nebentisch des Hamburger Hotelrestaurants saß eine junge Mutter mit ihrer 5-jährigen Tochter. Sie waren schon dabei, zu bezahlen.„Komm, beeil dich“, sagte die schöne Mutter. „Ich will noch zum Yoga!“ „Das kann man sich auch bei Youtube angucken“, antwortete die Kleine. So ein guter Rat. Ich werde jetzt auch erst einmal damit beginnen, mir auf Youtube alte Männer beim Sudoku-Lösen anzusehen. Ich vermute: null Klicks?

Kolumniert seit Jahren im WIENER, heißt wöchentlich Österreich willkommen und ist erfolgreicher Autor.