AKUT

Stermanns Kolumne

Im Frühling kommt alles ans Tageslicht. Menschen, die sich selbst im Winter wegsperren, öffnen die Fenster ihrer sauerstofflosen Wohnungen, und wenn man dran vorbeigeht, hört man Sätze wie: „Ich hab einen Schmutzengel!“
Oder: „Wie heißt dieser Feiertag nochmal? Maria Gefängnis?“

Und dann öffnen sich auch die Türen und frische Mütter mit drei adidas­-Schwanger­schaftsstreifen an jeder Seite schieben ihre Gschrappen im Outdooroutfit Richtung Donaukanal zum „Mama­Fit“­Kurs. In dreißig Kinderwagen bin ich dort einmal geraten. Aus den Buggys schrieen die Babys zu Recht, an den Buggys stöhnten die Mütter bei Kniebeugen und Fantasie­übungen einer Übungsleiterin, die aus den ungedehnten Jungmüttern Marines zu machen versuchte.

Ach, Frühling. Jedes Modell war dabei. Mutsy, Nuna, Graco, Haba, Froggy, Chicco, Quinny, Hauck und unzählige „Baby Jogger“ von Maxi Cosi wurden im holpernden Laufschritt geschoben. Es war wie ein Formel­1­Rennen der Kinderwagen. Die Letztplatzierte schob übrigens einen MacLaren­Kinderwagen. Aber das lag wohl weniger an dem Kinderwagen als an der Fitness der Mama. Ich, der ich in etwa den Fitnesszustand einer Frau im Moment des Gebärens habe, mache mich nicht über unfitte Mütter lustig, nur über den verzweifelten Anblick dieser Trainings­gruppe. Teilweise hatten die Frauen ihre Kinder umgeschnallt. Die Neugeborenen hüpften in den Tragen so sehr, dass Känguruhbabys bei diesem Anblick aus ihren Beuteln gespieben hätten.
Weil mir selbst schlecht wurde, blickte ich weg. Direkt in die geldunterlaufenen Augen zweier Russinnen im leichten Pelz, beide hatten ihre wie kleine Putins aus­ sehenden, hinterkopflosen Babys in „Ferrari“­-Kinderwagen liegen, beide Babys starrten auf x an der Stange montierte Tablets, auf denen nord­koreanische Zeichentrickfilme liefen. Ach, Frühling, was du anspülst. Ich kannte eine der beiden. Ich hatte sie einmal in einem Spielzeuggeschäft im neunten Bezirk gesehen. Der Dialog zwischen ihr und der Verkäuferin ging so:
Russin: Ich brauche ein Geschenk für
das Kind meiner Schwester.
Verkäuferin: Bub oder Mädchen?
Russin: Weiß ich nicht.
Verkäuferin: Wie alt?
Russin: Weiß nicht. Zwei, drei, fünf etwa. Verkäuferin: Interessiert sich das Kind für etwas Bestimmtes?
Russin: Weiß ich nicht. (Sie blickt auf ihr goldenes Smartphone.)
Verkäuferin: Irgendeine Richtung, in die das Geschenk gehen soll?
Russin: Nein.
Verkäuferin: Na gut, haben Sie preislich ein Limit?
Russin: Hä?
Verkäuferin: Na ja, gibt’s eine budgetäre Schmerzgrenze?
Russin: Ich verstehe nicht, was Sie meinen. (Geht ab.)
Vladimir Putin sagte im Zuge der Vorwürfe, über Donald Trump ein Sexvideo mit Nutten beim Natursektspiel erstellt haben zu lassen: „Russlands Prostituierte sind die besten auf der ganzen Welt.“ Das kann ich nicht beurteilen. Aber ich hätte sicher zustimmend genickt, hätte Putin gesagt: „Unsere reichen Russen im Ausland ge­ hören sicher zu den unsympathischsten Menschen der Welt.“
Es gibt inzwischen Inneneinrichtungs­geschäfte in Wien, die ausschließlich an Russen verkaufen. „Protzkotz“ könnten diese Geschäfte heißen und immer wieder, wenn man in Wien Russen begegnet, wundert man sich, dass sie doch eigentlich zu einer großen Kulturnation gehören. Inzwischen aber haben sie Kultur gegen Kapitalismus der untersten Art getauscht. Ich trage meinen kleinen Sohn manchmal am Arm, ohne Kinderwagen und ohne Tablet. Da blicken sie mich dann an, als wäre ich eine Doku aus der Dritten Welt. Am Donaukanal sagte die eine Russin zur anderen: „Oh, Vesna.“
Zu Hause schaute ich nach. Vesna ist russisch und heißt Frühling.