Interview
Gottfried Helnwein: Die Apotheose des Untergang
Der weltberühmte Maler Gottfried Helnwein spricht im WIENER-Interview über die Götter seiner Jugend, die Abschiedsparty des Abendlandes, die Hohe Schule des Donaldismus und den Faschismus der Globalisierung.
Interview: Manfred Rebhandl
Fotos: Maximilian „Maquez“ Lottmann
Gottfried Helnwein, Sie sind Kosmopolit durch und durch – kommen Sie immer wieder gerne zurück nach Wien oder mit Bauchweh? Ich komme sehr gerne nach Wien. Zum einen komme ich mir ein bisschen wie ein Tourist vor, andererseits fühle ich mich immer wieder in meine Kindheit und Jugend zurückversetzt. Aber Wien hat sich in den letzten Jahren doch sehr verändert. Viele Orte sind nicht wiederzuerkennen, historische Bauten sind verschwunden und durch zeitgenössische, gesichtslose Architektur ersetzt worden, die auch in Bukarest, Düsseldorf oder Manchester stehen könnte.
Sie selbst sehen seit Jahr und Tag unverändert gut aus, sind längst ikonisch mit Brille und Kopftuch. Wann hatten Sie Ihren Stil gefunden? Gibt es einen Moment, wo man das festmachen kann? Ich glaube, die meisten Menschen werden stilistisch in ihrer Jugend geprägt. Lange Haare waren damals in den 60er-Jahren eine Notwendigkeit. Wir wollten mit der Welt unserer Eltern nichts zu tun haben und wir wollten definitiv nicht aussehen wie unsere Väter – hinaufgeschoren bis zum Wirbel, Goiserer, Hosenträger und Kleppermäntel. Ich wusste nur eines: Dies war nicht meine Welt. Aber eines Tages waren sie da: die Stones. Wild, verwahrlost, ungezügelt, verwegen. Sie vermittelten uns die Ahnung einer Zeit des Ungehorsams, des Widerstands, der Rebellion. Sie nahmen sich einfach alle Freiheiten und Mädchen und verhöhnten die Welt unserer Eltern. Und sie sahen vor allem genau so aus, wie wir gerne ausgesehen hätten. Für uns waren sie Götter, die aus einer höheren Welt zu uns heruntergestiegen waren in unser armseliges Hinter-wälderdasein.
Bevor Sie sich die Haare wachsen ließen und sich der Kirche des Rock ’n‘ Roll anschlossen, lernten Sie aber viel früher noch einen anderen wilden Zeitgenossen kennen? Stimmt, als ich sieben oder acht Jahre alt war, kauften wir Kinder immer diese Kaugummis, denen kleine Bildchen mit Schlagersängern beigepackt waren. Ich habe sie immer weggeworfen, weil ich sie scheiße fand. Aber eines Tages öffnete ich eine Kaugummipackung und erblickte zum ersten Mal Elvis. Auf einem kleinen, schlecht gedruckten Bildchen. Mit Gitarre und seiner schweren, fettigen Frisur, vor blauem Hintergrund und goldenen Sternen. Ich war im Schock. Ich wusste nicht, dass ein Mensch so schön sein konnte. Ich habe das Bildchen noch jahrelang während meiner Zeit bei den katholischen Schulbrüdern mit mir herumgetragen.
In einem Wien, das Sie oft als „grau“ beschreiben. Als Malerfürst der Finsternis: Können Sie uns dieses Grau vielleicht näher beschreiben? Meine Kinderzeit im Nachkriegswien war tatsächlich wie Schwarzweißfernsehen mit schlechtem Empfang. Der Schatten der jüngsten Ereignisse lastete schwer auf der Stadt. Zwei Weltkriege, Bürgerkrieg, Nazizeit, die Zerstörung der Kultur und die Ermordung und Vertreibung der Juden hinterließen eine Leere, Stumpfheit und Trostlosigkeit, die man sich heute gar nicht mehr vorstellen kann. Viele Altnazis und Kriegsverbrecher hatten hohe Posten und Ämter inne und waren ein wesentlicher Faktor in der jungen Republik.
Wien hat sich dann ein bisschen erfangen, wenn wir vom Aktionismus reden, oder von den besoffenen Literaten um Qualtinger im Hawelka? Der Kunstszene in Wien gelang es eine Zeit lang tatsächlich, aus diesem Albdruck auszubrechen: Sie war anarchistisch, poetisch, aufregend und besoffen – aber das ist natürlich längst vorbei.
Mittlerweile sind Sie einer der wenigen Wiener, die man weltweit erkennt. Mick Jagger hat einmal gesagt: „Im nächsten Leben werde ich ein Maler, da kann man weltberühmt sein und niemand erkennt einen auf der Straße.“ Da hat er nicht unrecht, wer würde Gerhard Richter erkennen, Anselm Kiefer oder Alex Katz? Aber es gab auch Ausnahmen: Warhol, Beuys und Dalí, aber auch Picasso hatten eine gewissen Pop-Status und man hätte sie wohl erkannt.
Sie sind Mitte der 80er-Jahre auch wegen der damaligen Steuerfreiheit für Künstler nach Irland gezogen, wo sie in der Grafschaft Tipperary ein Schloss bewohnen. Mittlerweile zahlen Sie wahrscheinlich mehr Steuern als Apple? Es stimmt, als Irland noch arm und unabhängig war, waren Künstler in diesem Land tatsächlich von der Steuer befreit, das hat dazu geführt, dass vor allem viele Schriftsteller hier gelebt und gearbeitet haben. Das ist aber lange vorbei. Seit die Anglo Irish Bank das kleine Land mit 60 Milliarden Schulden in den Bankrott gestürzt hat, sind die Steuerprivilegien für die Künstler gestrichen worden. Die meisten Künstler haben das Land wieder verlassen. Ich bin einer der wenigen, die geblieben sind, was zeigt, dass ich nicht aus Steuergründen hier bin. Die Einzigen, die keine Steuern zahlen, sind Großkonzerne wie Apple. Trotz der Aufforderung aus Brüssel weigern sich die Politiker hier, die 13 Milliarden Euro zu kassieren, die Apple Irland schuldet. Es wundert mich nicht, dass das Vertrauen der Bürger in ihre Regierungen immer mehr schwindet, und der Eindruck, Politiker arbeiteten eher für das Großkapital als für ihre Bürger, so verbreitet ist.
Sind Sie dort in Kontakt mit den Nachbarn oder lebt man als Malerfürst sehr zurückgezogen? Ich lebe ja weit weg von Dublin, inmitten grüner Landschaften, von Kühen und Schafen. Die meiste Zeit verbringe ich aber im Atelier, während das Haus voll ist mit Freunden, Gästen, kreischenden Kindern und bellenden Hunden, die durch das Haus oder den Park toben. Manchmal platzen die Rotznasen auch in mein stilles Atelier und malen mir auf den Fußboden, die Wände oder in die Bilder.
Während der Wintermonate leben Sie in Downtown L.A. 2005 sagten Sie in einem Interview, dass Sie dort der „Verfall der menschlichen Gesellschaft“ fasziniert, Sie würden dort den „Untergang des Abendlandes“ live mitverfolgen. Wie sieht es heute aus? Los Angeles ist meine Stadt. Nirgendwo ist der Untergang des Abendlandes unterhaltsamer, surrealer und kurzweiliger als hier. Es ist die letzte große Party. Hier verabschiedet sich die Welt, wie wir sie kennen, in großem Stil. Die Apotheose des Untergangs. The red carpet to hell.
Sie haben sich vor einem Jahr an der Volksbühne Berlin auch mit dem widerständigen Denker Pasolini beschäftigt, der seit über 40 Jahren tot ist. Wie sehr fehlen helle Köpfe wie er und Sätze wie „Der wahre Faschismus, ich habe es schon gesagt und wiederhole es, ist der der Konsumgesellschaft“ in einem Europa 2016? Pasolini fehlt ungemein. Er war ein poetischer Visionär, er hat die Gefahren und Aus-wirkungen der Globalisierung als erster vorausgesehen. Er formulierte 1975 seine These, der Konsumismus sei eine neue Form des Totalitarismus, weil er mit dem Anspruch einhergeht, die Konsumideologie auf die gesamte Welt auszudehnen. Eine seiner Folgen sei die Zerstörung der Vielfalt sozialer Lebensformen und die Einebnung der Kulturen in einer globalen konsumistischen Massenkultur. Die Zusammenarbeit mit Hans Kresnik an den „120 Tagen“ für die Volksbühne Berlin war für mich wie ein Befreiungsschlag. Wir haben das Thema des Pasolini-Films, der lange Zeit verboten war, das erste Mal auf die Bühne gebracht. Die Aufführungen waren alle ausverkauft, aber wie ich vor Kurzem erfahren habe, haben CDU-Politiker Druck gemacht und weitere Aufführungen verhindert.Was läuft schief in Entenhausen und auf der ganzen Welt? In Entenhausen ist die Welt ja in Ordnung, Nur außerhalb sieht es im Moment nicht so gut aus. Die Westmächte haben nun „den ganzen Mittleren Osten in die Steinzeit zurückgebombt“ – wie amerikanische Generäle es gerne ausdrücken – und haben damit eine moderne Völkerwanderung ausgelöst. Europa wird von Flüchtlingen überrannt, rechte Parteien wittern Morgenluft. Die amerikanische Kriegsmaschinerie sieht sich nach Korea, Vietnam, Kambodscha, Laos, Guatemala, Serbien, Kosovo, Afghanistan, Irak, Libyen und Syrien nach neuen Kriegszielen um und droht, Iran und Russland anzugreifen. Es werden mehr Waffen produziert und exportiert als je zuvor, wir haben uns daran gewöhnt, dass es auch in unseren Städten regelmäßig Terroranschläge gibt. Was schiefläuft, fragen Sie?
Legendär ist Ihre Verehrung für Donald-Zeichner Carl Barks, dem es ja finanziell nicht immer so gut ging, weil die Chinesen nichts von ihm gekauft haben. Allerdings haben Sie später einiges von ihm gekauft? Ich habe ihn das erste Mal in den frühen 80er-Jahren in seinem damaligen Heim in Oregon besucht. Für mich war er ein ganz bedeutender Künstler, der mich und viele andere meiner Generation zutiefst berührt und inspiriert hat. Ich wollte ihm einfach sagen, wie wichtig seine Arbeit für mich war. Es war ein eigenartiges Gefühl, vor seinem Arbeitsplatz zu stehen, mit all seinen Bleistiften, Federn und Tuschen. Der Ort, an dem Entenhausen entstanden ist. Ich habe ihm viele Zeichnungen und Skizzen und einige seiner Arbeitsutensilien abgekauft, denn ich wollte sein Arbeiten in einer umfassenden Retrospektive in verschiedenen Museen zeigen. Es ist mir dann tatsächlich gelungen, eine Tournee durch zwölf Museen zu organisieren. Die letzte Ausstellung fand 2007 im Karikaturmuseum in Krems statt.
Ich versuche, meiner Tochter die Welt Entenhausens nahezubringen, aber dieses störrische Kind treibt sich lieber im Springfield des Homer Simpson herum. Meine Kinder und Enkelkinder sind durch die Hohe Schule des Donaldismus gegangen, auf dieses Studium habe ich großen Wert gelegt. Welche Noten sie in der anderen Schule hatten oder ob sie überhaupt hingingen, war mir hingegen relativ egal.
Sind Sie mir böse, wenn ich Robert Crumb über Carl Barks ansiedle, und eventuell auch noch über Manfred Deix? Crumb ist sicher einer der genialsten satirischen Zeichner, die je gelebt haben. In einem Brief an meinen Galeristen in San Francisco hat er einmal geschrieben: „Helnwein ist a very fine artist and one sick motherfucker.“
Das gesamte Interview lesen Sie im neuen WIENER.