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Lotte Tobisch/Foto: APA-Picturedesk

Lotte Tobisch

Hannes Kropik

Im neuen WIENER erzählen Zeitzeugen vom Weggehen in Wien, von den Fünfzigern bis heute. Lotte Tobisch, die Ende März ihren 91. Geburtstag feiert und nur ja keine „Gesellschaftsfunz´n“ sein will, erinnert sich gerne an fröhliche Zeiten, bedauert die verlorene Individualität der jungen Leut´ – und kann sich besseres vorstellen als den Opernball, der für sie ja doch nur ein Job war.

Interview: Hannes Kropik

WIENER: Liebe Frau Tobisch, wie ist man denn in den 50er-Jahren in Wien weggegangen?
Lotte Tobisch: Wissen Sie, zu dieser Zeit hat mich nur der eine Mann interessiert, mit dem ich zwölf Jahre gelebt habe (Anm.: der 37 Jahre ältere Schriftsteller und Dramaturg Erhard Buschbeck, der 1960 verstarb). Alles andere war mir wurscht! Ich habe für mich andere Dinge interessiert, aber natürlich war auch ich gelegentlich in einer Bar und habe getanzt. Ich erinnere mich auch, zweimal auf einem Ball gewesen zu sein. Aber das war es auch schon. Wer kann schon von sich behaupten, zwölf Jahre lang glücklich gewesen zu sein? Ich kann das!

Aber wissen Sie noch, welche Lokale damals bei Gleichaltrigen angesagt waren?
Schauen Sie, von diesen Jugendlokalen weiß ich wirklich nichts. Es gab natürlich die Marietta-Bar, in der sich der junge Kreisler, der Qualtinger und der junge Bronner und wie sie alle geheißen haben in dieser Intellektuellen-Clique, getroffen haben. Aber ausgehen? Wissen Sie, wir haben Freunde getroffen. Ich habe ja bis heute den unangenehmen Ruf der Opernball-Lady, der Gesellschaftsfunz´n. Das war ich nie! Ich habe eigentlich immer sehr zurückgezogen gelebt. Der Opernball war mein Job und ein Job ist etwas anderes als ein Privatleben. Ich bin ganz selten auf Bälle gegangen. sondern habe immer vorgezogen, mich mit Gleichgesinnten zu treffen. Zum Beispiel beim Heurigen. Ich erinnere mich, dass wir oft beim Heurigen waren. Mit dem Wotruba, dem Hochwälder. Der Canetti  ist dazugekommen. Das war sehr nett, obwohl ich ja keinen Tropfen Alkohol trinke. Aber der Meinige hat gerne etwas getrunken. Ich bin ja heute noch ein begehrter Heurigengast, weil ich die B´soffenen heimfahre. Aber ich bin jedenfalls die richtige Ansprechperson, um Ihnen über die Lustbarkeiten der Jugend in den 50er-Jahren zu erzählen.

Zu welchen Heurigen ist man damals gegangen?
Oh, da gab es viele! Der Kierlinger zum Beispiel in Nussdorf. In Salmannsdorf waren wir, das war damals noch sehr hübsch. Oder in Pötzleinsdorf. Oder am Nussberg! Das war damals wunderschön, so mitten in den Weingärten. Damals war alles viel bescheidener. Aber es waren fröhliche Nachmittage und Abende. Es waren fröhliche Gesellschaften – und zwar aus einem einfachen Grund: Man hatte endlich die beschissenen Nazi und den Krieg hinter sich gebracht. Man war voll Zuversicht, dass es nur besser werden kann und tatsächlich ist es ja auch eine ganze Weile lang wesentlich besser geworden. Ist auch heute trotz allem besser als damals, aber es wird einem schwindelig. Offenbar weiß in dritter Generation niemand mehr, was passieren kann …

Hat man sich damals herausgeputzt, wenn man zum Heurigen gegangen ist?
Ja! Es ist ja ein Wohlstandszeichen bei uns, dass alle ausschauen müssen wie Bergarbeiter. Das kam mit den Jeans und ist eine Mode, auf die früher niemand gekommen wäre. Man war einfach angezogen, aber wenn man ausgegangen ist, hat man sich schön gemacht. Heute? Heute ist der Fetzenlook modern. Da kann man auch nichts machen. Früher hatte man das Bedürfnis, sich so schön als möglich zu machen, auch wenn man eigentlich nichts hatte. Das hat man offenbar verlernt. Ich habe viele junge Freunde und denen sage ich oft: „Ihr tut mir leid! Ihr freut euch nicht mehr.“ Sie haben eine Hetz´, sie rennen von einem Event zum nächsten, alles ist ein Joke. Aber die Freude? Wo ist die? Ich erinnere mich vor allem an die Freude, die man damals an allem hatte. Auch daran, wenn man sich hübsch machen konnte.

Wie war das mit der Musik? Ist bei den Heurigen aufg´spielt worden?
Natürlich, na hören Sie! Das war doch die Zeit vom Anton Karas, „Der dritte Mann“. Na was glauben Sie?! Überall wurde gespielt! Zithermusik, Heurigenmusik! Das war viel besser als heute. Heute ist alles verstärkt. Damals war alles ganz natürlich. Da waren vier oder fünf Burschen und die haben Heurigenmusik gemacht, mit einer Quetschn, einer Geig´n. Was halt gerade da war. Da wurden dann die alten Wienerlieder gesungen oder gegröhlt, je nach Alkoholisierungsgrad.
Das war sehr hübsch. Heute sind die Heurigen ja alle ein Pflanz mit einem Riesenbüffet. Das gab es damals nicht. Wenn damals ein Heuriger einen Schinken hatte, dann hat man ihn gekauft, aber ansonsten hat man sich selbst ein Packerl, das Heurigenpackerl, mitgenommen. Mit der Zeit wurde das Angebot größer und man hat einen faschierten Braten kaufen können. Aber ein Büffet? Das ist erst viel später gekommen. Früher war alles viel einfacher. Einfach und freudig.

Wie ist man damals eigentlich nach Salmannsdorf oder Pötzleinsdorf gekommen – und vor allem, wie ist man spätabends wieder nach Hause gekommen?
Hin ist man mit der Tramway gefahren. Oder mit dem Auto. Ich war eine der Ersten und hatte mit 20 schon einen Skoda aus dem Jahr 1937. Da war alles hin, aber er ist gefahren. Irgendwie ist man immer nach Hause gekommen. Im schlimmsten Fall ist man halt bis in der Früh sitzen geblieben.

Und diese „Lustbarkeiten der Jugend“, die sie angesprochen haben, haben sie selbst nie gereizt?
Nicht, dass ich etwas gegen das Tanzen gehabt hätte. Aber es unterhält mich heute immer noch nicht, wenn hunderte Leute herumjodeln. Ein bisserl tanzen kann ja ganz lustig sein, aber nach einer Stunde gehe ich wieder. Auch am Opernball sehen Sie mich nicht länger als zweieinhalb Stunden freiwillig. Gut, wenn man ein paar interessante Leute trifft, kann es auch dort nett sein. Aber ganz ehrlich: Ich habe diese Leute lieber bei mir zu Hause oder treffe sie irgendwo, wo man gut essen geht.

Können Sie sich erinnern, wie das mit der Musik aus Amerika war? Wissen Sie, wie und wann die nach Wien herübergschwappt ist?
Das war damals eine Hetz´, natürlich! Das hat die jungen Menschen begeistert und auch ich habe diese Musik gern gehabt. Nicht, dass Sie glauben, ich bin nur zu Hause herumgesessen! Aber: So Massenveranstaltungen haben mich nie gereizt! Man hat die Musik im Radio gehört, von der Schallplatte, aber es gab auch Live-Konzerte. Zum Beispiel im Konzerthaus, da gab es moderne E-Musik wie auch Unterhaltungsmusik. Und dann gab es natürlich so Jazzkeller. Ich erinnere mich, dass wir im Urbani-Keller waren, tief unten in der Erde. Das war sehr interessant.

Was war so interessant?
Heute würde man sagen: Das war ein Event. Ach Gott, ja, dann gab es natürlich den „Strohkoffer“. Das war das Lokal schlechthin, im Kärntner Durchgang unter der Loos-Bar. Das war Anfang der 50er-Jahre und nur auf ein bestimmtes Klopfzeichen wurde die Tür aufgemacht. Drinnen gab es dann Kartoffelsuppe mit Würstel. Na, was glauben Sie, wie man sich darüber gefreut hat. Das gab es ja sonst nirgends! Und da unten war all diese jungen Maler, der Brauer zum Beispiel, die Leute um Paris Gütersloh herum. Der war ja ein lieber Gott für die jungen Künstler. Mein Alter kannte den sehr gut, den Gütersloh.

Das war dann aber schon mit den Partys unserer Zeit vergleichbar, oder?
Nein. Party, das ist ein amerikanischer Begriff. Heute ist alles eine Party. Genau das mag ich nicht. Wir haben das damals nicht Party genannt. Wir haben uns einfach getroffen. Ich weiß nicht, wie man das damals genannt hat. Wir haben halt gesagt: Wir treffen uns.

Musste man in bestimmte Lokale, zu bestimmten Veranstaltungen gehen, um „in“ zu sein?
Nein! Ich habe in meinem ganzen Leben nie etwas gemacht, damit ich „in“ bin. Ich habe Dinge gemacht, weil sie mich interessiert haben. Das „In“-Sein war nie ein Thema für mich. Aber damals gab es viel mehr interessante Menschen als jetzt, das kann ich ihnen sagen. Jetzt ist alles so gleichgeschoren.

Woran liegt das?
Sie schauen alle gleich aus. Das ist ja so herrlich: Jeder will individuell sein, nur ja nicht Teil des Establishments sein wie die anderen – aber so gleich wie jetzt haben sie noch nie ausgeschaut! Alle haben Jeans an, irgendein scheusliches Leiberl und wenn sie fein sind ein Sakko. Wenn sie weniger fein sind, tragen sie kein Sakko, sondern einen Wollpullover. Aber sie schauen sich alle zum verwechseln ähnlich.

Sie haben mich modetechnisch jetzt übrigens komplett aufgeblattelt …
Naja, alle wollen individuell sein, aber herausgekommen ist genau das Gegenteil. Zu unserer Zeit hat jeder versucht, seine eigene Mode zu kreieren. Man war viel unterschiedlicher, weil jeder etwas Besonderes sein wollte.

Hat man früher selber schneidern lassen?
Ach Gott, nein, man hat einfach gemacht. Eine Feder unter dem Knopf oder so, viel hat es ja nicht gebraucht. Aber man wollte sich schönmachen, wenn man irgendwo hingegangen ist. Und es war auch nicht entehrend! Wenn sich heute eine schön macht, dann heißt es gleich: So eine dumme Gans! Man darf nicht mehr schön sein, man muss natürlich sein! Dass ich nicht laut lache! Man kann ja auch natürlich schön sein.