AKUT

Dirk Stermann ist sowieso besser

Falls Sie sich fragen sollten, warum man so hohe Fernsehgebühren zahlen muss, dann kann ich’s Ihnen zumindest für Deutschland erklären. Ich habe einen Roman geschrieben und wurde zu mehreren Talkshows eingeladen, nach Köln, Hannover und Hamburg. Ich wurde eingeflogen, von Fahrern in Phaetons am Flughafen abgeholt und in die Suiten meiner Fünfsternehotels gebracht. Obwohl man ja Werbung für sein eigenes Buch macht, bekommt man obendrauf auch noch ein Honorar. Also bitte, jetzt wissen Sie, warum Gebühren einfach zwingend notwendig sind.

In Hamburg war ich bei Lanz zu Gast, was deswegen gut ist, weil er ja auch mehrere Nachmittags-Kochshows produziert. Man bekommt also ganz gutes Catering. Als ich hungrig in meiner Suite lag und in den Spiegel über meinem Bett blickte, sah ich, wie verwildert ich aussah. Mein Bart hatte sich verselbstständigt und mir wurde klar, dass ich so nicht zu dem komplett rasierten Lanz gehen wollte. Ich zog mich an und kämpfte mich auf der Suche nach einem Friseur mit Bartschneider durch den kalten Hamburger Winterwind.

So nobel mein Hotel war, so grindig war der Frisiersalon, den ich fand. Vier Friseusen, die wie Friseusen aussahen, um es höflich zu formulieren, und ein Lehrling mit roten Haaren und rotem Hipster- Bart. Der Lehrling bot sich an, meine Rasur zu übernehmen. Er sei sehr gut darin, sagte er. „Ich rasier nur nass. Ist besser.“

Ich nickte und sah im Spiegel, wie der Lehrling mit seinem Rasiermesser Tricks -vollführte. Als gehöre er einer Straßengang an, so hantierte er mit dem Messer „Ich habe bei einem türkischen Meister gelernt, wie man rasiert. Ich durfte -immer nur an Luftballons üben. Aufblasen, Rasiercreme drauf, Messer ran
und: bumm!“

Er begann, mich einzucremen.

„Was heißt: bumm?“, fragte ich.

„Geplatzt. Bei mir sind die Scheißdinger immer geplatzt. Mein Meister hat gesagt: Jetzt blutet der Kunde.“

„Aha“, sagte ich. Der Lehrling war etwa achtzehn und sah aus wie aus einem Salafisten-Video. Plötzlich wurde mir klar, dass der Bart gar kein Hipster-Bart war, sondern ein religiöser.

„Deshalb durfte ich auch nie Kunden bedienen, wegen der Ballons. Mein Meister hat -gesagt, ich darf erst am -lebenden Objekt rasieren, wenn der erste Ballon nicht platzt.“

„Und? Wie lang hat’s gedauert?“, fragte ich vorsichtig, sein Messer im Blick, das
er an einem schmutzigen Handtuch wetzte.

„Bis zum Ende. Die Scheißdinger sind alle geplatzt. Ich durfte nie rasieren. Deshalb hab ich den Laden gewechselt. Hier darf ich rasieren. Denen ist das egal, ob Ballons platzen!“

Er begann am Hals zu rasieren. Es fühlte sich an, als würde er meinen Hals blutig schaben.

„Tut weh, was“, sagte er mitfühlend.

„Ich glaube, das Messer ist zu stumpf“, sagte ich, Tränen des Schmerzes in den Augen.

„Das kann sein. Das hab ich jetzt schon seit Montag drin.“

Es war Freitag und ich sah im Spiegel, wie er keine frische Klinge einlegte, sondern eine aus einem anderen Schneider.

„Jetzt müsste es besser gehen. Die ist seit Dienstag drin.“

Er riss an meinen Barthaaren, bis er entnervt aufgab.

„Ich nehm doch erst mal den elektrischen Bartschneider. Ist besser“, sagte er und jonglierte kurz mit dem Messer. Jonglieren konnte er.

Der Bartschneider machte ein Geräusch, als würde er sein Leben aushauchen. Trotzdem ließ der Al-Kaida- Lehrling sich nicht irritieren. Er riss an meinem Gesicht, aber die Haare wurden nicht geschnitten.

„Kann es sein, dass der Akku leer ist?“, fragte ich mit schmerzverzerrtem Gesicht.

„Kann sein. Keine Ahnung. Ich rasier normal immer nur nass. Ist besser“, sagte er.

„Ja, schon klar“, sagte ich scharf. „Aber könnten Sie bitte einen mit vollem Akku benutzen?“

„Haben wir nicht, ist der Einzige. Aber ich könnte mit dem Messer weitermachen. Ist sowieso besser“, sagte er und ich sah Armeen von zerplatzten, blutverschmierten Luftballons vor mir.

„Nein, danke. Ich find’s gut so, die Rasur ist beendet“, log ich.

„Echt? Sieht doch voll beschissen aus“, sagte er. Ich zahlte und war froh, bei Lanz vor der Sendung von einer sauteuren Visagistin gratis auf Gebührenzahlerkosten rasiert zu werden. Deshalb zahlen Sie Gebühren. Weil es Sinn macht.Kolumniert seit Jahren im WIENER, heißt wöchentlich Österreich willkommen und ist erfolgreicher Autor.