KULTUR
25 Jahre Techno in Wien – Wie alles begann
Mit Techno und Rave ereignete sich eine musikalische Revolution – und Wien war mittendrin. Die ersten Protagonisten der Wiener Technoszene erzählen, wie sie die Hauptstadt mit ihren Beats und dem typischen Acidsound elektrisierten und „Techno aus Wien“ zu einem Markenzeichen machten. Eine Zeitreise in die frühen 90er mit Einblick in die Gegenwart.
Text: Michael Grasberger / Redaktion: Anneliese Ringhofer
Wien Spittelau. Dreikönigstag 2017, frühmorgens. Der im architektonischen Versuchsgelände zwischen Hundertwassermüllverbrennungsanlage, Kletterwand, Zaha-Hadid-Bau und Parkgarage gelegene Undergroundclub Werk spuckt seine letzten Gäste aus. Auf den ersten Blick ein typisches Wiener Wochenendszenario. Wenn wir aber etwas näher an die übernächtigen Gesichter heranzoomen, fällt der unüblich hohe Altersdurchschnitt der Nachteulen auf, die sich 10 Minuten vorher noch, umhüllt von Trockeneisnebel und Stroboskopblitzen, den Technobeats hingegeben haben. Wir sind Zeugen einer Veranstaltung namens „Oldschool Loop“, die jedes Jahr um diese Zeit die Wiener Technoveteranen aus ihren Komfortzonen lockt, um eine Nacht lang den Sound und das Lebensgefühl der frühen 90er-Jahre auferstehen zu lassen. Claudia Poppe, Raverin der ersten Stunde, hatte die Idee zu einer „Party so wie früher“ und kontaktierte Peter Votava, der 1993/94 die legendären „Loop“-Raves veranstaltet hatte. Zusammen initiierten sie 2012 das Techno-Revival.
Aber spulen wir erstmal zurück ins Jahr 1991, als es mit Techno in Wien tatsächlich losging. Besagter Peter Votava alias DJ Pure veranstaltete zu der Zeit mäßig erfolgreiche Industrial-Abende. Während eines Berlinbesuchs stolperte er in den gerade eröffneten Club Tresor. „Es ging durch Ostberliner Wasteland – heute Potsdamer Platz – zu einem halbverfallenen Haus, in dessen Erdgeschoß eine Party stattfand. Wir stiegen durch eine weitere Tür in den Keller, und dort sah ich, was ich noch nie zuvor gesehen hatte: vor mir ein DJ, links Gitterstäbe und eine Bar, rechts ging es in einen weiteren Raum. Dort war alles voller Nebel und Stroboskop, ich konnte die Hand vor meinen Augen nicht mehr sehen. Dazu hörte ich in überwältigender Lautstärke eine Musik, die Industrial vom elektronischen Klangcharakter her nicht unähnlich war, aber gleichzeitig auf den Körper wirkte. Ich wusste nicht, wie viele andere Leute da drinnen waren, der Raum löste sich auf, das war spannend.“
„… was ich gerade erlebt hatte, das sind jetzt die 90er.“
Die Techno-Epiphanie von DJ Pure sollten später tausende Jugendliche in Europa ähnlich erleben, was zu massenhaften musikalischen Spontanbekehrungen führte. „Nach der Nacht im Tresor war für mich alles andere plötzlich 1000 Jahre alt. Ich wusste: was ich gerade erlebt hatte, das sind jetzt die 90er.“ Seinen ersten Versuch, die 90er nach Wien zu importieren, startete er mit einer Partyreihe namens „Elektronik Revolution“ im heute vergessenen Fun Club am Schillerplatz – und scheiterte an Publikumsmangel. Aber es brachte Pure mit einer kleinen Elite von Wienern in Kontakt, die wie er die Zeichen der Zeit verstanden hatten, darunter die DJs Glow und Sirius.
Sirius war von Disco über New Wave, Acid House und belgischen New Beat bereits Ende der 80er zu den neuen elektronischen Klängen aus Detroit vorgestoßen. Dort hatte eine Handvoll afroamerikanischer High School Kids mit Vorliebe für Synth Pop, Funk, Industrial und deutsche Elektronik einen futuristischen Musikstil namens Techno erfunden. „An Detroit Techno hat mir die Idee gefallen, den Funk in die Zukunft zu bringen. Ich habe tatsächlich geglaubt, dass die Elektronik uns weiterbringen könnte, und zwar nicht nur auf der Suche nach Pokemons …“ Als DJ trat Sirius zuerst auf Gary Danners „Gunafa-Clubbings“ in Erscheinung. Danner gehörte in den 80ern neben Konrad Becker und Gerwald Rockenschaub zu den wichtigsten Pionieren elektronischer Musik in Wien. (Hier haben wir alle Techno-Protagonisten der frühen 90er-Jahre aufgelistet.) Außerhalb dieser in der Kunstszene vernetzten digitalen Boheme gab es wenig Verständnis für die neuen Sounds.
„Ähnlich wie zuvor schon Disco wurde auch Techno wegen des geraden ‚Four to the floor‘-Beats abgelehnt. Das hat keinen Groove mehr, hieß es damals. House und Techno, das war für mich die Rache von Disco“, so Sirius. Unbeeindruckt von allen Widerständen seitens der musikalischen Geschmackswächter starteten DJ Pure und Sirius im Spätherbst 1991 in der Arena das „Tekknodrome“ als den ersten musikalisch konsequenten Wiener Techno Rave. Die damals übliche Schreibweise mit Doppel-K sollte dabei die Härte der Musik unterstreichen. Für das „Tekknodrome“ wurden zum ersten Mal internationale DJ-Größen wie Blake Baxter oder DJ Hell nach Wien gebucht. Bereits im Frühjahr 92 setzte sich in der Arena die Antitechnofraktion durch und die Veranstaltung wurde laut DJ Pure „abgesägt“: „Für diese Leute war Techno entmenschlichte Robotermusik, Nazimusik, Marschmusik, alle haben das behauptet, die nicht reingekippt sind.“
„Für diese Leute war Techno entmenschlichte Robotermusik, Nazimusik, Marschmusik, …“
Auch Konrad Becker erinnert sich: „Viele von denen, die sich jetzt im Nachhinein als große Experten gerieren, haben Techno total abgelehnt.“ Becker veranstaltete seine ersten Technopartys 1991/92 mangels Alternativen in der nicht übermäßig coolen Innenstadtdisco P1, wo dann DJs wie Tanith aus Berlin oder Juan Atkins aus Detroit vor Horden überforderter italienischer Touristen auflegten. Auch der von Clemens Neufeld im ungleich hipperen U4 gestartete Technoclub „Space Jungle“ war nur mittwochs möglich. Während in Deutschland die Technoszene explodierte, blieb die kleine Wiener Technogemeinde erst einmal unter sich. „Es gab“, so DJ Pure, „null Außenwirkung.“ Die Partys waren familiäre Angelegenheiten, die kaum mehr als eine eingeschworene Hundertschaft anlockten. Trotzdem organisierten die DJs Glow und Dan – Daniel – Lodig ab Anfang 1992 „Tantric Overdrive“ in der Wiener Arena. Wenig später realisierten Glow und Pure die „Spacedive“-Partys im B.A.C.H.
Die Geschichte von Techno in Wien ist auch eine Geschichte der Eroberung von Räumen. Raus aus dem Alltag, raus aus der Wiener Gemütlichkeit. Die Brüder Anton und Stefan Puffer waren als Location Scouts unermüdlich in der Peripherie Wiens unterwegs, um Orte für ihre „Illegal Micro Raves“ aufzuspüren: ein Blechtunnel beim Humamarkt in Simmering, die Baustelle eines Einkaufszentrums, die Kapelle eines leerstehenden Mädcheninternats. Ähnlich wie in den Hausbesetzungen der Punkära sieht der Techno-Pionier Konrad Becker auch in illegalen Raves „Kulturtechnologien des Widerstandes“ gegen eine autoritäre „Kontrolle von Räumen.“ Die Orte, an denen Techno stattfand, waren für ihn „extraterritoriale Raumschiffe, wo eine Art emanzipierte Kultur ermöglicht wurde. In der depperten Pop- und Rockmusik wird dir ja irgendein Gestus, ein Impetus, eine Emotion geliefert, die du dann aufnehmen kannst. Aber diese neue Musik war darauf ausgerichtet, dem Hörer einen Raum zu geben. Der Hörer wurde respektiert und ernst genommen.“
Ein Schlüsselereignis für die Wiener Technoszene war der Liveauftritt der bis heute Kultstatus genießenden Detroiter Technoformation Underground Resistance bei der von Becker kuratierten 300-Jahr-Feier der Akademie der Bildenden Künste in einer verregneten Sommernacht 1992. Künstler dieses Formats nach Wien zu holen, war anno 92 keine Angelegenheit von Bookingagenturen, sondern Resultat einer bereits in Prä-Internetzeiten global vernetzten Community.
War die Populärmusik der vorangegangenen Jahrzehnte noch der Sound einiger weniger Metropolen, so kam es in den 90ern zu einer Dezentralisierung. Ein Grund für den jungen Patrick Pulsinger, aus seiner damaligen Wahlheimat New York nach Wien zurückzukehren. Eine paradoxe Entscheidung, wenn man bedenkt, dass für die Musikergenerationen davor der Weggang aus Österreich die unabdingbare Voraussetzung für eine internationale Karriere gebildet hatte. „In Wien hat es damals zu brodeln begonnen“, erinnert sich Pulsinger. Es entstanden Indielabels wie Cheap Records, Abuse Industries, Mainframe, später Mego, Central, Pomelo, Trust und Technoformationen wie Ilsa Gold (hier geht es zum Interview mit Ilsa Gold) oder Pulsinger & Tunakan, die in der Technoszene weltweit ein hohes Renommee genossen, vor allem der Wiener Schmäh und die Lässigkeit der Produktionen stachen heraus.
Konrad Becker konstatiert: „Das waren die ersten Platten aus Wien, für die man sich nicht genieren musste.“ Die heimische Techno-Elite produzierte ihre Musik zu Hause und funktionierte ihre Wohnzimmer zu Heimstudios um. Die verwendeten Geräte waren meist von sogenannten „richtigen“ Musikern ausgemustert, weil sie nicht wie „richtige“ Instrumente klangen. Technofreaks wie Becker kauften die Maschinen günstig auf dem Second-Hand-Markt und stellten fest: „Das klingt zwar nicht wie ein richtiges Schlagzeug, aber es klingt viel besser.“ Pulsinger ergänzt: „Ich habe Techno immer als postapokalyptisch empfunden, als würde man nach dem großen Zusammenbruch auf eine Müllhalde gehen und sich aus dem Abfall einer Kultur etwas zusammensuchen, mit dem man etwas Neues erschafft.“
Anders als die Jugendkulturen der 80er-Jahre, die eine Beherrschung modischer und kultureller Codes voraussetzten, war Techno inklusiv, wie Pulsinger betont. „Es war eine unelitäre Musik, die versucht hat, so viele Leute wie möglich mitzureißen. Du hast auf Technopartys Hippie-T-Shirts und Glockenhosen genauso gesehen wie Militäroutfits und Gasmasken, Glatzen genauso wie lange Haare. Die Technobewegung hat alle eingeschlossen. Das war für mich der Ausdruck einer gewissen Utopie, die ich gerne mitleben wollte.“ DJ Pure stimmt zu: „Es herrschte Aufbruchsstimmung. Wenn jemand Neuer dazukam, haben wir uns gefreut und fühlten uns bestätigt.“
Eine besondere Breitenwirkung hatten ab Sommer 92 die Gasometer-Raves. Mit Jürgen Bauer, Horst Scheuer und dem Architekten Gregor Eichinger traten dabei zum ersten Mal professionelle Veranstalter von außerhalb der Technoszene auf den Plan. Die XXX-Raves im Gasometer sollten in den Folgejahren tausende Nachtschwärmer anziehen, allerdings um den Preis einer fortschreitenden Kommerzialisierung. „Der Mainstream ist ein schwarzes Loch, das selber überhaupt nichts produzieren kann und immer aus den marginalisierten Randzonen Dinge approbieren muss“, stellt Konrad Becker dazu trocken fest.
Kommerzresistent hingegen waren die Pomelo-Labelnights rund um DJ Dan Lodig sowie die „Loop“-Raves, die DJ Pure gemeinsam mit seiner Freundin Andrea ab 1993 zuerst in der kleinen Arenahalle, später im Hörsaal 1 der TU organisierte. „Loop“ wurde zum Synonym für harten Cutting-Edge-Sound in Verbindung mit aufwändiger, selbstgebauter Deko. Zur selben Zeit war DJ Pure als Teil von Ilsa Gold permanent auf deutschen Großraves unterwegs und erlebte den Ausverkauf der Technokultur am eigenen Leib. Ilsa Gold konterten mit sarkastischen Performances, aber letztlich blieb auch die Wiener Renitenz machtlos.
Spätestens Mitte der 90er zerbrach die Unity der Ravenation. Der „Klang der Familie“ zersplitterte in hundert Sub-Stile, die fortan in klar abgegrenzten Nischen kultiviert wurden. Mit der Kommerzialisierung bzw. dem Ende der Ravekultur übersiedelte Techno endgültig in die Clubs. Patrick Pulsinger: „Veranstalter haben dann nicht mehr im Keller, in der Fabrik oder im Wald ihre Partys gemacht und selbst für den Sound, die Getränke, das Licht, für den Vibe gesorgt, sondern sind in die Clubs hinein, und die wurden ausschließlich unter kommerziellen Gesichtspunkten geführt. Immer weniger lokale Crews wurden ans Ruder gelassen. Die Diversität, die Anfang und bis Mitte der 90er in Wien da war, hat sich verzischt.“ Pulsinger spielt hier auf die Monokultur von Minimal Techno an, die ab Ende der 90er ein Jahrzehnt lang die Dancefloors nicht nur in Wien beherrschte. Minimal Techno war bereits Mitte der 90er in Detroit entstanden, als Musiker wie Robert Hood („Minimal Nation“) oder Terrence Dixon („Minimalism“) anfingen, den überladenen Ravesound abzuspecken, um den darunterliegenden Funk wieder zum Vorschein zu bringen. Vor allem von deutschen Producern wurde Techno dann noch weiter skelettiert, bis nichts mehr übrigblieb als eine beliebig klingende, substanzlose Schrumpfform, die man dann Tech House nannte. Kein Wunder, dass sich Teenager in den Nullerjahren lebendiger wirkenden Musikstilen wie Drum & Bass und Dubstep zuwandten oder gar zur Rockmusik zurückkehrten.
„Techno ist schon ein paarmal gestorben, aber es hat immer wieder Leute gegeben, die zurück zum Ursprung gegangen sind und es revitalisiert haben“, kommentiert Sirius diese Entwicklungen. Und tatsächlich erlebt Techno in Wien seit Beginn des neuen Jahrzehnts eine Art Renaissance. Es gibt neue Partycrews („Technoland“, „Meat Market“, „Maschinenraum“), neue Clubs (Grelle Forelle, Werk, Opera Club), neue Labels (Herla, Noiztank, Yoshi) und nicht zuletzt eine neue Generation tanzwütiger Raver. Dazu passt, dass 2016 auch das Cheap-Label relauncht wurde, um die Platten eines jungen Wieners namens Felix Benedikt alias Alpha Tracks zu veröffentlichen, die im letzten Jahr mit ihrem stilistischen Rückgriff auf 90er-Ravesounds einiges an Staub in der Technowelt aufgewirbelt haben. Benedikt ist wie viele Wiener Technoaktivisten der dritten Generation über Drum & Bass zu Techno gekommen und wurde Anfang der 2000er-Jahre im Cheap-Plattenladen im Museumsquartier unter den Fittichen von Erdem Tunakan und Herbert Gollini musikalisch entsprechend solide sozialisiert. Er begann aufzulegen und arbeitet heute im Plattenladen Tongues, einem der Hot Spots der jungen Wiener Technoszene. Dort sorgt der Betreiber Christopher Schweiger nicht nur für musikalische Basisbildung, sondern stellt auch einen Raum für Austausch und Vernetzung in der analogen Welt zur Verfügung. Direkt über dem Laden befindet sich das Aufnahmestudio von Felix Benedikt. „Es war von Anfang an die Grundidee von Christopher, dass man es schafft, den gesamten Distributionsweg von Musik zu vereinen: oben wird produziert, unten wird verkauft.“ Den internationalen Vertrieb hat der renommierte Berliner Plattenladen Hardwax übernommen, in dem Techno aus Wien seit den Anfangstagen großes Ansehen genießt. Zu seiner Heimatstadt hält Benedikt dennoch eine gewisse Distanz: „Ich mache meine Musik für keinen expliziten Ort. Die letzten Platten haben sehr gute internationale Resonanz gefunden, als Wiener in der heimischen Szene dafür Anerkennung zu bekommen, ist jedoch sehr schwierig.“
Ein Stammgast im Tongues ist Daniel Hartl aka Sedvs. Er betreibt das Label Bare Hands, dessen Platten in handnummerierten Kleinstauflagen erscheinen. Damit lässt sich naturgemäß kein Geld mehr verdienen; Vinylveröffentlichungen sind heute in der Technoszene vor allem Promo-Tools oder, wie es Hartl ausdrückt, „ein Portfolio, das deine künstlerische Identität widerspiegelt“ – und im Idealfall Bookings nach sich zieht. Ähnlich wie Felix Benedikt besitzt auch er ein ausgeprägtes musikalisches Geschichtsbewusstsein. Seine Einflüsse liegen im düster treibenden Birmingham-Techno der 90er und im Post Punk der frühen 80er mit seinem ausgeprägten Do-it-yourself-Ethos. Aus Letzterem bezieht Hartl seine strikte Independenthaltung, die dazu führt, dass er als einer der wenigen Kulturschaffenden in Wien noch nie um eine Förderung angesucht hat. „Ich will nicht meine Förderwürdigkeit unter Beweis stellen“, meint er. „Schließlich sehe ich das, was wir machen, als subversive Kunst.“ Womit der Kreis zum Spirit der Wiener Techno-„Gründerzeit“ (Benedikt) geschlossen wäre.
Die junge Wiener-Techno-Elite –
aktuelle Tracks von Sedvs und Alpha Tracks:
Oldschooltechno der Wiener Altmeister
– eine Auswahl an Rave-Klassikern:
Pulsinger & Tunakan:
Electric Indigo, co-produced by Pulsinger/Tunakan:
DJ Glow:
DJ Pure:
Christopher Just:
Ilsa Gold:
Tunakan und Gollini:
Elin: