AKUT

Huuh-huhu-hu … huuh-huhu-hu …

Prince starb am 21. April 2016. Oder: Woran du erkennst, dass jemand weg ist, der besser noch da wäre.

von Eberhard Lauth

Erstens:

Sobald du davon erfährst, gehst du auf Facebook.

Zweitens:

hat dort schon jemand an deine Pinnwand gepostet. Eine gemeinsame Erinnerung. Du warst damals 17, und es war eine Autofahrt nach München, zu einem Konzert. Prince war damals auf Tournee zum Album „Diamonds And Pearls“. Rückblickend weißt du, dass er zu diesem Zeitpunkt gerade dabei war, den Anschluss an den zeitgenössischen Pop zu verlieren, den er noch weinige Jahre zuvor dominiert hatte. Aber das – und das wusstest du schon damals – war spätestens dann egal, wenn er eine Bühne betrat und selbst im Zweckbau-Ambiente des Münchner Olympiastadions allen zeigte, wie man ein Konzert spielt. Ein paar Dutzend Lieder für die Ewigkeit im Gepäck, diese mit Freuden in ihre Einzelteile zerlegen und wieder zusammensetzen, und Gitarrensoli, die eleganter und müheloser wirken als bei allen anderen.

Drittens:

Du machst ein Video, auf dem sich eine Schallplatte mit dem Lied „The Ladder“ von „Around The World in a Day“ dreht und postest dieses Video. Es ist das Album nach „Purple Rain“, das verschrobene nächste Werk nach dem Superhit. Spätgeboren wie du bist, hast du es erst später für dich entdeckt. Es war dir zuerst zu kompliziert, die vielen Ideen und Stile sorgten für Songs, die in der Mitte stolperten und an Rändern oft ausfransten. Aber dann: „The Ladder“ – ganz großer Kitsch, bei dem es sich übrigens empfiehlt, dem esoterischen Text nur halb zuzuhören, um die Freude am Lied nicht zu stören.

Auf seinen Konzerten wurden selbst Ungläubige bekehrt. So musstest du mit deiner Frau vor einigen Jahren extra nach London fliegen, damit sie dich besser versteht. Er spielte „Nothing Compares 2 U“, sie verstand.

Viertens:

Du holst noch eine Schallplatte raus, erst vor wenigen Jahren in einem Second Hand-Laden aus einer Kiste gekramt und erstanden. Es war ein gutes Gefühl sie endlich zu besitzen. Denn damals, als du beim Hartlauer in Steyr zum ersten Mal „Sign o’ the Times“ angehört hast, hattest du kein Geld dafür. Aber es war dein Douglas Coupland-Moment, nur mit einem anderen Album. Coupland? Ja, der kanadische Autor, der die Generation X erfunden hat. Er erinnerte sich am Tag nach Princes Tod auf Twitter daran, wie er im Autoradio zum ersten Mal „When Doves Cry“ von „Purple Rain“ hörte. Er sagte, dass er mit mir dem Wagen rechts ranfahren musste, um zu begreifen, was da gerade passierte. Genau so war es auch damals beim Hartlauer, nur ohne Auto. Dieses Mammutwerk „Sign o’ the Times“ musste man tatsächlich einmal begreifen lernen. Allein das titelgebende Lied, das nur aus einem kargen Rhythmus bestand, und bei dem niemand mitsingen kann, der nicht Prince ist. Oder die Ballade „The Cross“, eine Art christliche Erweckungsmusik mit larmoyantem Ende. Oder das simple Liedchen „Starfish & Coffee“, bei dem er eine Kindheitserinnerung aufarbeitet. Hier ist einfach alles perfekt.

Fünftens:

Du hast ihn zuerst für dich entdeckt, nur für dich.Wenn dir Popmusik wirklich etwas bedeutet, gibt es eine Phase im Leben, wo sie dich immer zu hundert Prozent erwischt – und du dich nicht dagegen wehren kannst. Es ist der Moment, wo sie dein Instrument wird, andere Welten zu entdecken, die du mit dem Zeug, das die meisten Leute nur nebenbei hören, nie betreten wirst. Man kann diesen Effekt sicher anders erzeugen, mit bildender Kunst, mit Theater, mit Drogen – aber bei dir war’s Popmusik. Du warst damals zwölf oder dreizehn und stelltest fest, dass zwei Platten der EAV und zwei mit Hörspielen vom Pumuckl nicht reichen. Und vor allem: Das Zeug, das damals immer und überall im Radio lief, war ja wirklich riesige Scheiße. Verantwortlich dafür waren die Psychopathen Stock, Aitken & Waterman, die ab ’86/’87 ein paar Jahre lang die Ohren der Welt verklebten und dafür sorgten, dass Mädchen in deinem Alter tatsächlich auf Rick Astley standen. Wobei: Sie standen auch auf Boris Becker, und der spielte nur Tennis … Diese Musik jedenfalls, so wusstest du aus sicherer Quelle, ging gar nicht. Die Quelle war dein Bruder, Musiker und damals aktives Mitglied der Jazz-Polizei. Er richtete sehr scharf über all den Mist da draußen, aber bei Prince musste auch ein Jazz-Polizist hinhören und anerkennen, dass hier – noch dazu mit dem Segen von Miles Davis, einem zeitgenössichen Prince-Verehrer – etwas Großes vor sich ging. Und du musstest immerhin nicht mit Namen von Jazzern hausieren, die ohnehin niemand kannte, den du damit beeindrucken wolltest. Du hattest etwas, das dir für immer gehören sollte.

Sechstens:

Du warst dein bisheriges Leben lang nie völlig ohne ihn. Sicher, irgendwann in den späteren 90er-Jahren wurde es recht schwierig, seine Platten gut zu finden. Oft biederten sie sich zu sehr an den musikalischen Zeitgeist an, ohne ihn zu verstehen. Oft waren sie zu verkopft. Oft waren sie einfach überflüssig. Aber du hast sie trotzdem alle. Und vor allem hattest du Konzerte. Das erste 1990, du warst auf Interrail und zufällig zu jener Zeit in Nizza, als er dort spielte. Es war ein 18. August, sagt Google, und du warst naiv genug, um zu glauben, dass man da einfach hingehen musste, um irgendwie reinzukommen. Und es klappte sogar, die Karten kosteten auch in letzter Minute vor dem Stadion nur ein paar Reiseschecks. Es war, bei Prince darf man das sagen, eine Erweckung, auch von den hinteren Rängen, aus deren Perspektive sich das Motto dieser Tournee – „Nude“, also wenig Show und viel Musik – als ungünstig erwies. Fünf weitere Konzerte wurden es dann noch. Immerhin, aber es sind viel zu wenige, denn jedes davon war auf andere Art und Weise so erhebend und virtuos, dass noch mehr drin gewesen wäre. Und vor allem: Auf seinen Konzerten wurden selbst Ungläubige bekehrt. So musstest du mit deiner Frau vor einigen Jahren extra nach London fliegen, damit sie dich besser versteht. Er spielte „Nothing Compares 2 U“, sie verstand.

Siebtens:

Du hast mit ihm wichtige Freundschaften geschlossen. Wenn du als Teenager Pop zu deinem Lebensinhalt machst, musst du das teilen. Und dafür brauchst du einen gemeinsamen Nenner. Der war Prince – und ist es bis heute. Es ist schwierig genug, mit den Freunden aus dieser Zeit Kontakt zu halten. Doch bei einem weiß ich jetzt echt nicht mehr, wann ich ihn je wiedersehen werde, so ohne Prince-Konzerte.

Achtens:

Du hast über die Jahre gelernt, dass das, was dich als Teenager so unmittelbar traf, auch auch in einem größeren Kontext stand. Prince stand ja nicht nur für Musik. Er stand für Individualismus. Für Widerstand gegen ein System, die Musikindustrie, deren Regeln er für falsch hielt. Und er stand für die absolute Definition von Freiheit. Für das, was Amerika im 20. Jahrhundert leisten konnte. Er sagte immer: Ihr könnt mich in Schubladen stecken, wie ihr wollt, aber am Ende entscheide ich, was ich bin. Ich bin schwarz, ich bin weiß, ich bin straight, ich bin gay – und wisst ihr was: Ich glaube dabei auch an Gott, die Liebe und das Vorspiel. Überhaupt war das Vorspiel ein integraler Teil seiner Kunst. So wie er bei seinen Konzerten gerne „Purple Rain“ von hinten aufzäumte, den Song ganz lange nur angedeutet, bis die Leute reinfanden, „Huuuh-huhu-hu … huuh-huhu-hu …“, um dann endlich loszulegen: „I never meant to cause you any sorrow …“. So geht Vorspiel. Und bis zum Gitarrensolo dauert es immer noch ein paar Minuten.

Neuntens:

Du solltest mit den ganzen Erinnerungen aufhören, denn du weißt, dass dein rührseliges Verhalten eigentlich kindisch ist.

Zehntens:

Du wirst trotzdem noch lange nicht darüber hinweg kommen. Vielleicht sogar nie.