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Bitcoin: Goldrausch 2.0

Die einen sehen in Kryptogeld den Traum vom arbeitslosen Grundeinkommen, die anderen eine gefährliche Art von Börsespiel. Die Wahrheit liegt wohl wie immer irgendwo dazwischen.

Text: Franz J. Sauer

Der Frühling kommt, und darauf folgt ja bekanntermaßen der Sommer. Zeit also, den Garten zu machen, in der Sonne zu liegen, ans Meer zu fahren oder einfach nur den Hunden beim Spielen zuzusehen. Arbeiten? Oh wie Oldschool. Wo man sich sein Kryptogeld doch längst selber schürfen kann, in der elektronischen Wallet-App am Handy immer bei sich hat und dann beim Wirten entweder direkt in Bitcoins zahlt oder aber, wenn größere Anschaffungen anstehen, diese bei der Bitcoin-Bank in Bargeld umwandelt. Fake News oder Tatsache? „Zumindest nicht mehr Zukunftsmusik“, weiß Markus Milacek vom Onlineportal Kryptowährung Austria. Tatsächlich sind all die oben beschriebenen Aktionen aktuell bereits möglich. Zum Massensport hat sich Bitcoins-Schürfen allerdings noch nicht entwickelt, was sich schon daran zeigt, dass Nationalbanken oder Finanzbehörden es bislang nicht der Mühe wert fanden, sich eingehend mit dem Thema zu beschäftigen. Doch dazu später.

Könige und Blockchains

Im Jahr 2008 veröffentlichte das Pseudonym Sathoshi Nakamoto (man vermutet einen schlauen Ökonomen, der an einer US-Eliteuni unterrichtet, dahinter, endgültig wurde die Identität hinter Nakamoto bislang nicht entlarvt) das Whitepaper „A Peer-to-Peer Electronic Cash System“ und gab damit den Startschuss für die erste und bislang größte Kryptowährung Bitcoin. Ihren Wert absichern würde eine weitere Erfindung Nakamotos, die mittlerweile als einer der großen Würfe des Internetzeitalters gehandelt wird, auch außerhalb der Welt der Kryptowährungen: die Blockchaintechnologie. Unter einer Blockchain versteht man eine Open-Source-Datenbank, die niemandem gehört und die über Peer-to-Peer-Technik auf zahlreichen, voneinander unabhängigen Rechnern läuft. Alle Vorgänge und Transaktionen werden in einzelnen Containern gespeichert, die durch eine Zeichenfolge bestimmter Länge abgesichert und somit fälschungssicher erfasst und chronologisiert werden. Wenn in früheren Zeiten der Wert einer Währung also durch das Vertrauen in den jeweiligen Herrscher, aktuell durch das Vertrauen in die Zentralbank und bei Querdenkern stets in das Vertrauen auf Gold abgesichert wird, so basiert das Vertrauen in Kryptowährung auf der weitverzweigten Sicherheit der Blockchain. Anders als beim echten Geld, bei dem Zentralbanken vereinfacht gesagt nach Gutdünken Geld drucken können, wird von einem Kryptowährungs-Produkt in einem festgelegten Zeitraum bloß eine bestimmte Menge an Geldmitteln aufgelegt, im Falle von Bitcoin sind das 21 Millionen Coins. Diese kann man nun zum aktuellen Tageswert kaufen, in einer elektronischen Wallet bunkern und später zu einem hoffentlich besseren Kurs wieder abstoßen – klassisches Spekulationsgeschäft eben. Man kann Coins aber auch selber schürfen, weil ja das Whitepaper, also quasi die Bedienungsanleitung für das sogenannte Mining, für jedermann online verfügbar ist. Was es dann noch braucht, ist entsprechende Hardware nebst Software und ein Internetzugang.

Klondyke im Computerzimmer

„Mining ist in etwa mit einer Mathe-Schularbeit zu vergleichen“, erklärt Markus Milacek weiters. „Wenn ich alle Rechenaufgaben löse, bekomme ich die volle Punkteanzahl und einen Einser. Beim Mining bekomme ich für eine gelöste Aufgabe einen Coin. Bloß hab ich, anders als in der Schule, nicht nur 50 Minuten Zeit und keine Höchstpunktezahl.“ Klarerweise sind die genannten Rechenaufgaben weit über dem Niveau vom Mathe-Stoff der achten Klasse Gym. Da braucht es schon engagierte Rechenprogramme, um sich mit den vielstelligen Hashfunktionen auseinanderzusetzen und die sich so stetig aufs neue selbst generierenden Rechenaufgaben zu lösen. Von den Erlösen erhalten schließlich alle hierfür benötigten Ressourcen ihren Share, also auch Programmierer und Bereitsteller von Endgeräten. Schummeln ist unmöglich, der Blockchain sei Dank. Und wenn ich mir genug Coins in die Wallet gemint habe, geh ich damit einkaufen.

Transaktionen in Sekundenschnelle

Tatsächlich hat in Wien jüngst eine Bitcoin-Bank eröffnet, bei der ich meine Coins herrlich unprätentiös in Euros umwandeln kann, quasi wie beim Bankomaten. Rechtlich funktioniert das Ganze wie beim Handel mit Gold, also steuerfrei – noch. De facto kennt sich keiner aus, wie es mit der Besteuerung des selbst geschürften Geldes weitergeht, nicht mal das Finanzamt selbst. Fakt ist weiters: Eine Handvoll Cafés und Geschäfte bundesweit akzeptieren Bitcoins bereits als Währung, man bekommt seine Coins also auch heute ohne Spekulationsabsicht relativ easy an den Mann. Einer bislang nicht sehr kundenfreundlichen, weil konkurrenzlosen Branche pinkeln die Kryptowährungen mit Verve ans virtuelle Bein: Durch die ausschließliche Abwicklung per Computer und Internet können Geldtransfers von einem Coin-Konto zum anderen in Sekundenschnelle und zu Bearbeitungskosten in Centhöhe durchgeführt werden, was besonders den zwischenstaatlichen Austausch revolutioniert – und alle Bankhäuser, die bislang damit ihr Kerngeschäft machten, torpediert. Speziell diese Funktion macht das Schürfen und Traden von und mit Bitcoins in Ländern wie China beliebt, weil es eine weitaus einfachere Möglichkeit bietet, Geldtransfers zu betreiben als über die staatlich kontrollierten Kanäle.

Wahre Werte

Es dauerte durchaus seine Zeit, bis sich der Handel mit Bitcoins von einer Spielerei unter Nerds zu einer geldähnlichen Währung entwickelte, der mittlerweile zahlreiche andere Coins folgten. Aktuell ist der weltweite Markt laut Kryptowährung Austria mit insgesamt 24 Milliarden Dollar kapitalisiert, ein Wert, der optimistischen Schätzungen zufolge derzeit um etwa 7 bis 10 Prozent pro Monat steigt. „Auf der Website coinmarketcap.com kann jeder Mensch in Echtzeit den Markt verfolgen, ganz ohne Börsenaufsicht oder Staatskontrolle“, stellt Markus Milacek fest, den vor allem die völlige Transparenz und damit der Freiheitsaspekt der neuen Währung fasziniert. „Vor ein paar Wochen war ein Bitcoin mehr wert als eine Unze Gold, das hätte vor ein paar Jahren niemand für möglich gehalten. Eine der ersten Transaktionen war der Kauf einer Pizza in den USA für damals 11.000 Bitcoins – heute wäre das ein Vermögen mit einem Gegenwert von ca. 350 kg Gold.“

Skepsis und Kritik

Überall, wo schnelle Gewinne und volatile Kursausschläge nach oben möglich sind, treten bald auch unseriöse Marktteilnehmer auf den Plan. Ebenso wie der Handel mit anerkannten Geldwerten lockt auch der Kryptowährungs-Markt Pyramidenspiele an wie das Licht die Motte. Nicht gerade dem guten Ruf von Bitcoins war es zuträglich, dass die größte und letzhin behördlich geschlossene Darknet-Börse „Silkroad“ den Bitcoin als offizielle Währung führte. Da sind Begriffe wie „Währung der Unterwelt“ speziell bei Unkundigen schnell zur Hand. Aber auch neutrale Beobachter wie der ORF-Wirtschaftsredakteur und Netz-Auskenner Hans Wu begegnen der Welt der Kryptowährungen mit einem gesunden Maß an Skepsis: „Es gibt, vereinfacht runtergebrochen, zwei Typen von Bitcoin-Fans: Jene, die an den Zusammenbruch unseres Geldsystems oder noch Schlimmeres glauben, aber davon ausgehen, dass auch nach dem Weltuntergang noch Strom und Internet-Infrastruktur zur Verfügung stehen. Und dann gibt es die Zocker, die das schnelle Geld machen wollen. Da ist aber unbedingt Erfahrung anzuraten, wie bei jeder Form der Spekulation. Seriös ist das Risiko kaum abschätzbar.“ Und Michel Reimon, EU-Abgeordneter der Grünen, aber unabhängig davon seit vielen Jahren mit den Spielarten der Informationstechnologie eingehend vertraut, findet an der Entwicklung von Kryptowährungen durchaus spannende Aspekte, bringt aber schnell die „Glaubensfrage“ aufs Tapet: „Letztlich ist jede Währung so viel wert wie das Vertrauen in sie. Da sehe ich Kryptogeld derzeit nicht als Alternative zum staatlichen Geldsystem.“

Big Brother still waiting

Aktuell sehen das die internationalen behördlichen Regulative, wie es scheint, ähnlich. In einer gemeinsamen Analyse haben sich NSA und CIA bereits 2010 vorerst darauf geeinigt, keine regulatorischen Maßnahmen für den Kryptowährungs-Markt aufzusetzen.Vor den Steuerbehörden erfährt das Tauschen von Bitcoins gegen Euros vorerst einen ähnlichen Status wie das Verkaufen von Goldmünzen, die man von der Oma geerbt hat. Darüber, wie das Mining künftig bewertet wird, etwa als gewerbliche Einnahmequelle oder aber als unterhalb der Wahrnehmungsgrenze, herrscht ebenso wenig Klarheit. Bloß beim Besteuern von Spekulationsgewinnen kommen naheliegenderweise ähnliche Regelungen wie beim Aktienhandel zum Tragen. Dass die Blockchaintechnologie künftig eine wichtige Rolle auch abseits von Bitcoin und Co. spielen wird, steht so ziemlich fest. Sie könnte künftig Notare oder Vertragsrechtler ihre Jobs kosten. Diesbezügliche Entwicklungsprojekte gibt es jedenfalls in so gut wie allen Thinktanks der großen IT-Konzerne wie IBM oder Microsoft. Aber auch Staaten versuchen sich für diese neue Technologie in Position zu bringen – so will z.B. Dubai bis 2020 sein E-Government auf diese neue Technologie umstellen und in Afrika gibt es bereits zahlreiche Projekte, die korruptionsanfälligen Grundbücher auf die Blockchain umzustellen.

INFOPORN

Wie unterscheide ich seriöse von unseriösen Kryptocoins?

_1. Jeder seriöse Coin verfügt über ein sogenanntes „Whitepaper“, das öffentlich zugänglich sein muss. Alle diese Whitepaper werden z.B. auf github.com veröffentlicht. In diesem Whitepaper steht die Bauanleitung der Coins und man kann die Software herunterladen, sodass man selbst diesen Coin schürfen kann. Gibt es kein Whitepaper samt diesen Dateien, handelt es sich meist um einen sogenannten „Privatecoin“. Sehr oft gibt es in Wahrheit noch gar keinen Coin im Hintergrund und man verkauft nur Luft.

_2. Jeder seriöse Coin wird auf der Website coinmarketcap.com gelistet. Ist er dort nicht gelistet, dann wird er auch nicht am Markt gehandelt. Der angebliche Wert dieser Coins wird vom Eigentümer einseitig festgelegt und tendiert in Wahrheit gegen null.

_3. Jeder seriöse Coin hat einen sogenannten „Blockchainexplorer“, wo in Echtzeit jeder einsehen kann, was gerade geschürft wurde. Gibt es diesen nicht, dann wird in der Regel gar nicht geschürft und diese Coins gibt es in Wahrheit auch nicht.

_4. Schauen Sie sich einen allfälligen Vergütungsplan an und rechnen Sie die Vergütungen aller Stufen zusammen. Bei vielen unseriösen Modellen werden 40-50 % der Einlage als Provisionen in der Pyramide nach oben verteilt. Vergütungen sind in der Kryptocoinwelt weit verbreitet und – da es sich in der Regel um Start-ups handelt – auch in Ordnung. Aber bei Gesamtvergütungen jenseits der 35 % kann man davon ausgehen, dass es nicht seriös ist.

Foto: Getty Images