KULTUR
Digital Detox – kann wer noch Karte?
Smartphones, Tablets, Navigationssysteme. Unsere kleinen vernetzten Helferlein sind praktisch ständig dabei. Sie stehen uns immer zur Seite, als hilfreiche Alleskönner, aber auch als Zeitdiebe – Stichwort Social Media. Was, wenn wir mal freiwillig für einen gewissen Zeitraum auf all das verzichten?
Redaktion: Markus Höller / Fotos: Franz J. Sauer
Einer der Trends der letzten Jahre war Detox, also Entgiftung. Was zu Willi Dungls Zeiten noch „Entschlackung“ hieß, trieb die seltsamsten Blüten – von Kräutereinläufen auf Bali bis zu den zweifelhaften Produkten von Gwyneth Paltrow. Danach orteten Trendsetter die Notwendigkeit eines Digital Detox, also des (temporären) Verzichts auf die elektronischen Segnungen der Neuzeit. Das soll eine Besinnung auf reale Ereignisse statt des Informations-Overflows ermöglichen. Obwohl ich alt genug bin, um Schwarzweißfernsehen und Jugoslawienurlaube im elterlichen Auto ohne Klimaanlage zu kennen, haftet mir beim WIENER ein gewisser Ruf an. Nämlich der des Internet-Junkies, des Facebook-Süchtlers, des Typen mit den viereckigen Augen. Das mag zum einen an meiner Leidenschaft für Games und der entsprechenden Kompetenz liegen, zum anderen an meiner hohen Kadenz an Social-Media-Postings. Daher wurde ich auserkoren, ein Digital-Detox-Wochenende zu absolvieren. Okay, immer noch besser als Darmspülungen mit Grünkernsuppe.
Das Setting: Drei Pärchen schnappen sich ein Auto mit deaktiviertem Navigationssystem, erhalten Freytag&Berndt-Straßenkarten sowie ein paar Aufgaben und geben ihre Handys ab. Man sieht sich dann am Ziel in der Pampa, wo weitere Challenges warten. Da meine Partnerin kurzfristig ausfiel, musste ich alleine navigieren. Vorteil: Ich hatte deshalb Anspruch auf den roten Mazda MX-5. Ideal, denn bei 30 Grad und Sonnenschein ist es mit offenem Verdeck und 160 Pferden an der Hinterachse nicht so tragisch, wenn man sich mal verfährt. Was mir „unabsichtlich“ nur zweimal passierte, ausgerechnet bei den Spitzkehren.
Nostalgisches Highlight der Schnitzeljagd: der Anruf aus einer Telefonzelle. Tatjana, mit 19 die jüngste Teilnehmerin, konnte trotz anfänglichem Argwohn erfolgreich telefonieren, aber erstaunlicherweise hatte auch Matthias, Mitte zwanzig und immerhin ein mit MIT-Stipendium gesegneter Atomphysiker (!), ein wenig Anlaufschwierigkeiten, wenn es darum ging, im Stil der Prä-Mobilrevolution unseren Spielleiter zu kontaktieren.
digital detox
Posted by Wiener – Alles für Er. on Samstag, 26. August 2017
Für mich kein Problem, danke an dieser Stelle an meine Kollegen, dass ich mich mal wieder so richtig alt fühlen durfte. An unserem Ziel in der Steiermark angekommen, bezogen wir unsere Hütten, gönnten uns ein kühles Bier und stellten verblüfft fest, dass das fehlende Handy nicht im Geringsten unsere Lebensqualität beeinflusste. Wenn überhaupt, dann vermisste jeder unterwegs am ehesten die Kamerafunktion, wegen der Erinnerungsfotos.
Nach einer deftigen Jause am Teich verzogen sich die meisten in ihre Hütten, mein gleichaltriger Mitstreiter Franko und ich jedoch besuchten eine einheimische, in den Hütten nebenan feiernde Partie 20-Jähriger. Diskont-Wodka und warmer Jägermeister aus der Literflasche inklusive. Wenn wir schon so leben mussten wie in den frühen 90ern, dann konnten wir genauso gut so feiern!
Am Sonntag folgte nach einem herzhaften Frühstück das Geländespiel. Es ging darum, getrennt und nur mit Walkie-Talkies verbunden, Körbe mit Proviant aufzuspüren. Auch kein Problem. Witzigerweise stellte sich die letzte Aufgabe als die kniffligste heraus: aus dem Gedächtnis sollte jeder eine Österreichkarte mit allen Hauptstädten, Grenzen sowie ein paar Gewässern und Autobahnen zeichnen.
Digital Detox Tag 2
Posted by Wiener – Alles für Er. on Sonntag, 27. August 2017
Was soll ich sagen? Überall – vom Altpapiercontainer bis zur Tate Gallery – wären diese Karten besser aufgehoben als auf dem Beifahrersitz eines Autos. Verheerend eigentlich, wie entfernt unsere Einschätzung der vermuteten Lage zur tatsächlichen Geografie ist.
Viel Gelächter und eine zünftige Grillrunde später erhielten wir nach insgesamt fast 30 Stunden erstmals wieder unsere Smartphones zurück. Jedoch steckten alle nach einem kurzem Check der verpassten Anrufe oder Nachrichten ihre Telefone gleich wieder achtlos weg. So schnell hatten wir uns also an einen Alltag ohne Google, Facebook und Messenger gewöhnt. Die Heimfahrt war trotz des nach wie vor inaktiven Navis kein Problem, und auch nach der Rückgabe des Autos ließ ich das Smartphone in der Tasche, weil wenn schon, denn schon. Ich fand problemlos mit Öffis und Zug nach Hause, Fahrplanlesen und Orientierung funktionieren also nach wie vor, trotz jahrelanger Handy-Unterstützung. Irgendwie beruhigend!
Und hier gibt’s das ganze auch noch in videografischer Form! Viel Spaß …