AKUT
Specs-Appeal – Sex & die Frau mit Brille
Schuld ist das Geek Girl: Brillen signalisieren schon lange nicht mehr nur Sehschwäche.
Text: Manfred Sax
Eigentlich hat das Bild hier alles, was du zum Thema brauchst – ein Traumweib in der Blüte ihrer Jahre, Besitzerin eines begnadeten Leibs und sie trägt sonst nichts – außer einer Brille. Sie hat Specs-Appeal.
Leider hat das Foto außerdem mehr als du brauchst. Es hat einen maskulinen Spoiler, der zu ihr passt wie die Faust aufs Auge. Er kann mit ihrer Sinnlichkeit nichts anfangen, er ist zwar ihr Gatte, aber auf anderer Wellenlänge, so wollte es der Film (so wollte es auch das Leben, die beiden – privat ebenso liierten – Darsteller genossen anlässlich der Dreharbeiten Sextherapie und ließen sich wenig später scheiden, das nur nebenbei).
Weiters außerdem ist der Film alt, nicht so „Now“ wie die Frau im Bild weiter unten, er ist aus einer anderen Zeit, einem anderen Jahrhundert. Einer Zeit, als die Brille zunächst eine Sehschwäche signalisierte. Einem Jahrhundert, aus dem es auch noch ein berühmtes Zitat ins Heute schaffte, das dem Sehbehelf ein sinnliches Stigma nachreichte:
„Men seldom make passes at girls who wear glasses.“
Männer machen keine Brillenträgerinnen an, so sah es die amerikanische Poetin Dorothy Parker, ein intellektueller Muskel der Fünfziger Jahre.
Überhaupt die Fifties, sie hatten einen seltsamen Blickwinkel, wenn es um die Brille im Gesicht der Frau ging. In „Wie angle ich einen Millionär“ (1953) prallte die Drehbuch-bedingt extrem kurzsichtige Marilyn Monroe lieber hilflos an die Wände als sich das die Augenbügel begleitende Image zu leisten. Weibliche Brillenschlangen, meinte sie in einer Szene, werden als „intelligent“ abgestempelt und so einem Girl blühe eben das übliche Schicksal. Im besten aller Fälle endet sie als die unersetzliche Sekretärin jenes Millionärs, den sie eigentlich zum Ehemann befördern wollte.
Es waren karge Zeiten für die Sinne, die Entfaltung der Frau erschöpfte sich am Herd, ihre Karriere gipfelte im Dasein als Assistenz, zur Emanzipation war es noch ein weiter Schrei. Dem Mann dazu, einem habituellen Wiederaufbauer, fehlte die Fantasie, vielleicht auch der Wille, die Sinnlichkeit in der mutmaßlichen Intelligenzbestie zu sehen.
Am bescheidenen sexuellen Nutzwert der Brille hat sich in den Jahrzehnten danach wenig geändert. Die Pornoindustrie feierte sie in der Abteilung Fetisch ab, wo die Sekretärin amouröse Überstunden vom Schlage ich-hab-es-kommen-sehn absolvierte und das heikle Gerät gerade noch die eine oder andere Domina zierte. Und wenn das Ding in der Öffentlichkeit von der Frau nicht zu trennen war, hieß sie Nana Mouskouri.
Geek Chic
Das hat sich geändert. Heute herrscht Geek Chic, jedes Modehaus hat eine fabelhafte Brillenlinie, Frauen tragen Brillen, ohne ein Buch in der Hand zu halten. Intelligenz ist kein Handicap mehr, sie ist sapiosexy. Einem fragilen Objekt, das Betrachter bislang zuvor nur Sehschwäche assozieren ließ, widerfuhr sinnliches Re-branding.
Geek Chic also. Unter „Geek“ versteht der Brite einen Menschen mit exzentrischer, häufig hinter einem Computer versteckten Persönlichkeit. Das Geek Girl dazu hat sich erfolgreich in Nerdworld etabliert, einer Szene, die anno StudentZuckerberg noch überwältigend mehrheitlich von Y-Chromosomträgern bevölkert war.
Das Geek Girl ist smart und erfolgreiche Netzwerkerin, also etabliert. Zeit der Pink Slip Partys hatte sie als „Acid Mouse“ auch mal eine sexualisierte Saison, aufgesexte Brille obligat.
Natürlich ist Chic nicht immer gleich sexy, ebenso ist die Brille nicht mehr nur ein Accessoire. Nach einer Ewigkeit, die der Ästhetik des Stundenglases, dem vollen Busen, dem kongenialen Arsch, den perfekten Beinen wiederholte Sexing-ups bescherte, mausert sich die Brille zum ersten Objekt mit der Qualität, die sinnliche Aufmerksamkeit des Betrachters auf ihr Gesicht zu lenken – ohne notwendiger Weise die individuelle Persönlichkeit dazu als solche zu entlarven. Das ist der Punkt.
Sexuell gesehen entfremdet die Brille von der Einzigartigkeit der Trägerin, sie ist Fetisch Superlight, die erste Maske. Sie besorgt der sozialen Person ein „delete“ und macht sie sexuell begreifbar. In raren Momenten macht sie klar, dass wahre Sexualität sehr wohl im Kopf beginnen kann und nicht dort enden muss. Solange dieser Kopf nur nicht während des Akts zu denken beginnt.