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Hongkong zwischen Wind und Wasser: am Pfad des Drachen
Nirgendwo ist Chi – jene Energie, die am Pfad des Drachen fließt – so spürbar wie in Hongkong. Sagt Fotokünstler Palani Mohan. Sein großartiges Buch zum Thema heißt ”Wind Water“.
Text: Manfred Sax
„Klar, man kann das alles als Aberglauben verspotten“, sagt Fotokünstler Palani Mohan, „aber eine Philosophie erhält ihre Macht durch den Glauben daran, und die Bürger von Hongkong – von den mächtigen Hongs bis hin zum Nudelverkäufer – nehmen sie sehr ernst.“ So redet der langjährige Hongkongbürger Mohan über Feng-Shui, die Kunst des Verstehens und Kontrollierens des Chi: jener Energie, die am Pfad des Drachen fließt.
Dieser Drachenpfad ist nicht nur eine Redewendung. Er ist manifestiert, unter anderem architektonisch. Kaum einer der mächtigen Wolkenkratzer Hongkongs wird ohne Konsultation beim Feng-Shui-Meister des Vertrauens gebaut. Wenn große Glastürme leer stehen, weil die früheren Insassen bankrott gemacht hatten, dann war das in den Augen der Bürger „schlechtes Feng Shui“. Also baut man lieber auf Rat des Meisters unter Millionenkosten einen riesigen Schacht in das Gebäude, damit die Drachen, die da vom Himalaja herunterkommen, ungestört entlang der Berge und runter zum Wasser wandeln können. Oder man baut auf Weisung des Feng-Shui-Meisters unter hohen Zusatzkosten die Aufzüge um, damit sie nicht eine gerade Linie ergeben; so geschehen in Sir Norman Fosters Blade-Runner-eskem, 800 Millionen Dollar teurem HSBC-Gebäude. Die Wasserdämonen des Victoria Harbour konnten somit daran gehindert werden, das Gebäude zu betreten und Schaden anzurichten.
In ganz Hongkong und dessen Stadtteil Kowloon (= „neun Drachen“) sind Spuren dieses energetischen Pfades zu finden, und am Victoria Peak – Hongkongs Inbegriff von Prestige und Macht – ist offenbar ein Sammelpunkt. „Dort fließt das Chi besonders stark“, so Mohan, „dort spürst du so richtig die gigantische Dynamik dieser Weltmetropole.“ Mohan muss es wissen, er ist seit Jahren am Fuß des Peak wohnhaft. „Ich marschiere oft zum Gipfel, um die Energie der City zu fühlen“, sagt er.
Und nicht nur das. Mohan hat nun endlich umgesetzt, was jahrelang als Plan in seinem Gehirn genistet hatte: ein Fotobuch von dieser Chi-Energie, die durch Hongkong fließt. „Es ist eine visuelle Auseinandersetzung mit den Elementen von Feng- Shui, insbesondere Wind und Wasser. Das sind ja auch die beiden mächtigsten elementaren Kräfte, die wir kennen. Ich nahm diese Elemente und dehnte sie fotografisch, um ein Gedanken provozierendes Porträt der Stadt zu machen.“
Es sei gar nicht so schwer, meint Mohan, diesen Pfad des Drachen zu finden. „Die Energie ist spürbar und der Grund, warum ich das Leben hier liebe.“ Geomantiker sind überzeugt, dass Hongkong das stärkste Feng-Shui der Welt hat. Und der Feng-Shui-Meister, den Mohan konsultierte, hielt den Fotografen zunächst für verrückt, flüsterte ihm aber dann, dass der Peak, den Mohan so gern hinaufmarschiert, auch die Stelle ist, wo „der große Drache des Südens“ seinen Kopf hinlegt.
Palani Mohans ”Wind Water“ getauftes Buch ist ein wundervoll kunstfertiges Bild der Stadt. Er war bei Wind und Regenwetter unterwegs, suchte das Chi täglich in den Wolken über Hongkong und in Wind und Regen, die über die Konturen der Berge ziehen: „Diese zeitlose Energie ist der Treibstoff der Stadt und ihrer Bürger und macht Hongkong einzigartig.“
Geradezu logisch eigentlich, dass pünktlich zur Eröffnung seiner Hongkonger ”Wind Water“-Exhibition an diesem Wochenende (15.9., siehe Clip) der Taifun Mangkhut die Metropole lahmlegte. Der große Drache hat gehustet.
Gepostet von Palani Mohan am Donnerstag, 6. September 2018
Palani Mohan: Wind Water
Verlag Kehrer Heidelberg
39,90 Euro; via Amazon.