KULTUR

Georg Biron zum 70er von Manfred Deix: Reden wir über Picasso

Am 22. Februar hätte ich gerne mit Manfred Deix im Kleinen Café auf seinen 70. Geburtstag angestoßen. 40 Jahre lang haben wir immer einen Grund zum Feiern gehabt. Doch leider sind die Toten ein wachsender Freundeskreis – und so denke ich an meinen Freund im Alleingang.

Text: Georg Biron

Die Vergangenheit lässt sich nicht so leicht abschütteln. Wenn ich mich an Manfred Deix erinnere, mache ich einen romantischen Umweg, an die Côte d’Azur. Mein Vater arbeitete früher in einem feinen Wiener Hotel und lernte viele Leute kennen. Auch ein paar berühmte. Und die besuchten wir manchmal. Unsere kleine Familie: Papa, Mama und ich, der „Bua“. Im Winter waren wir in St. Moritz. Im Sommer an der Côte. Ich habe als Kind auf der Yacht von Curd Jürgens einen Drachen steigen lassen, bei Romy Schneider bin ich auf dem Schoß gesessen und habe mich von ihr mit frischen Feigen füttern lassen, und Picasso hat mich lachend so lange am linken Ohrläppchen gezogen, bis ich geweint habe.

Manfred Deix Oktober 2012 in Frankfurt. Foto: (c) Ulrich Baumgarten via Getty Images

Als ich viele Jahre später Manfred Deix davon erzählte, saßen wir in der Buschenschank Nierscher in Klosterneuburg und waren mit roten Spritzern in der Halbliterklasse unterwegs. Deix zeichnete mir damals für eine Versteigerung beim Samariterbund mit einem dicken schwarzen Filzstift einen fetten Kater auf einen weißen Papierdrachen. Dabei spitzte er seine Lippen wie ein trotziger Bub und sagte: „Darum beneide ich dich. Den Picasso hätte ich gerne kennengelernt. Und ich hätte ihm erzählt, dass mein Vater im Krieg einen Arm in Russland verloren hat. Mir hat das nichts ausgemacht, für mich waren Kriegsinvalide etwas Normales. Als Kind habe ich die Väter von meinen Freunden für missgebildet gehalten, weil sie zwei Arme hatten. Ich hätte Picasso gefragt, ob seine abstrakten Bilder vielleicht irgendwelche Kriegsinvaliden zeigen. Und wenn er frech geworden wäre, hätte ich ihn am Ohrläppchen gezogen, bis er geweint hätte.“

Manfred Deix macht Faxen. Oktober 2012 in Frankfurt. Foto: (c) Ulrich Baumgarten via Getty Images

Na gut. Reden wir über Picasso.

Picasso hat gesagt: „Meine Katzen sind die rücksichtsvollsten und aufmerksamsten Gesellschafter, die man sich wünschen kann.“

Auch Deix verehrte die kleinen eigensinnigen Pelztiere: „Wer mein Katzi schlecht behandelt, wird per Faust im G’sicht verschandelt.“

Picasso hat gesagt: „Die meisten Menschen brauchen sehr lang, um jung zu werden!“

Das trifft auf Manfred Deix nicht zu. Der war sein ganzes Leben lang jung. Wenn man ihm in die Augen geschaut hat, konnte man dort ganz schnell den frechen kleinen Buben vom Land entdecken. Da hat man gleich gewusst: Das ist einer, der sich mehr traut als die anderen und der dafür sogar Watschen von den Gendarmen gekriegt hat. Deix hat mir einmal verraten: „Ich bin auf dem Level eines 14-jährigen stehen geblieben.“

Picasso hat gesagt: „Kunst wäscht den Staub des Alltags von der Seele.“

Der Deix war schon in sehr frühen Jahren ein Künstler durch und durch. Er hatte viele Talente und Fähigkeiten, aber eines konnte er partout nicht: sich anpassen. Das verweigerte er immer mit lautem Lachen. Diesbezüglich hat er sich selbst sehr konsequent antiautoritär erzogen. Da war er ganz anders als die berühmten Figuren in seinen Karikaturen, die den Dreck des österreichischen Alltags auf der Seele picken hatten.

Manfred Deix Oktober 2012 in Frankfurt. Foto: (c) Ulrich Baumgarten via Getty Images

Picasso hat gesagt: „Was gibt es Gefährlicheres, als verstanden zu werden? Man glaubt, man sei nicht einsam. Und in Wirklichkeit ist man es nur umso mehr.“

Deix kannte die Abgründe seiner Landsleute seit den Jugendtagen in Niederösterreich. Sie verstanden ihn nicht, sie misstrauten ihm – und deshalb haben sie ihn schlecht und respektlos behandelt. Dafür hat er sich als Karikaturist ein Leben lang gerächt. Er hat sie liebevoll porträtiert in ihrer chauvinistischen Engstirnigkeit und ihrer sexuellen Verklemmtheit, in ihrem primitiven Nationalstolz und ihrer feixenden Bösartigkeit. Und nach und nach haben sich die Porträtierten selbst erkannt und waren beleidigt und erbost, weil sie dann doch auf einmal alles verstanden haben … und der Manfred Deix hat schallend dazu gelacht wie ein schadenfroher Rotzbub und hat noch ein Schäuferl nachgelegt und ganz nebenbei ein paar nackte Dutteln und Zumpferln ins böse Bild gerückt, weil sich seine „Vorlagen“ darüber oft noch mehr aufregen konnten als über die politischen und menschlichen Schweinereien, die der Deix so treffend karikierte …

Aber: Halt, stopp und retour! Deix und Picasso? Wie passt denn das zusammen?

Als der Deix am 25. Juni 2016 verstarb, gab es viele ehrliche Trauerbekundungen – wie zum Beispiel auch von der heimischen Dichterin und Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek: „Seit Manfred Deix tot ist, wissen wir nicht mehr, wie wir aussehen!“ Doch Österreich wäre nicht Österreich, wenn Manfreds Tod nicht auch von manchen zur Eigen-PR missbraucht werden sollte. So äußerte beispielsweise der FPÖ-Politiker Johann Gudenus auf Facebook große Betroffenheit über den Tod von Deix und postete darunter eine Karikatur – von Zeichner Gerhard Haderer. Über diese Peinlichkeit wurde im Netz viel gespottet: „Zeit im Bild“-Moderator Armin Wolf zum Beispiel veröffentlichte auf Twitter das berühmte Bild „Guernica“ von Picasso – mit den Worten „R.I.P. Manfred Deix“ …

Tipp: Neuer Jubelband „Forever Deix“ und aktuelle Ausstellung „A echta Deix – Unvergessen! 70 Jahre Manfred Deix“ im Karikaturmuseum Krems – Infos dazu hier!