KULTUR

WIENER des Monats: Mabacher und die verspätete Aufmerksamkeit

Der kleinste YouTuber der Welt, der größte Humor­bolzen der Szene: Martin Habacher nahm auf seinen Kanälen Barrierefreiheiten unter die Lupe und alle anderen auf den Arm. Die Lebenserwartungsprognose am Tag seiner Geburt toppte er übrigens über 15.270-mal.

Text: Sandro Nicolussi

„Sie haben mir nicht wirklich eine Chance aufs Überleben gegeben“, rekonstruiert Martin Habacher den Tag seiner Geburt in einem oberösterreichischen Spital. Im Video zu seinem 40. Geburtstag erklärt er, dass es für manche Menschen eine Leistung sei, ein gewisses Alter zu erreichen. Im Kreissaal gaben ihm die Ärzte nicht mehr als einen Tag. Für sie war damals wohl nicht abzuschätzen, dass sie es gerade mit einem Menschen zu tun haben, der die Willenskraft gepachtet hat.

Martin Habacher über den Dächern von Wien. Foto: (c) Docs Filmverleih

Der Tag ging über 15.270-mal in die Verlängerung. „Osteogenesis imperfecta“ lautet die Diagnose – bekannt als Glasknochenkrankheit –, die ihn kleinwüchsig und „zerbrochen“, wie er es nannte, auf die Welt kommen ließ. Aus einem Tag wurden fast 42 Jahre, ein Studium an der Uni Wien, eine selbstständige Karriere als Berater in quasi allen Bereichen des täglichen Lebens und über eine Million Klicks auf YouTube. Unter dem Namen „Mabacher“ betrieb Habacher seine Social-Media-Kanäle und verfütterte seiner Fangemeinde alles Vorstellbare, um heiter und gescheiter durch seinen Alltag zu kommen. Mitleid hasste er, Sonderbehandlungen auch.

Martin Habacher als Kind. Foto: (c) Docs Filmverleih

Seine Mission lautete Barrierefreiheit. Und Mabacher beriet unter anderem Unternehmen wie die Wiener Linien. In seinen Videos sprach der E-Rollifahrer so, wie es ihm gerade in den Sinn kam. „Fuck them!“, entgegnete er pauschal allen Leuten, die ihm einreden wollten, dass er bestimmte Pläne nicht umsetzen könne. Selbst Christian Kern bekam die unnachgiebige Art von Martin zu spüren, als er den „Micro-Influenzer“ in ein nichtbarrierefreies Hotel einlud. Neben seinen Accessibility-Checks fanden sich auf YouTube auch seine über 100 Montagswitze. Beispiel: „Wa­rum sind Rollstuhlfahrer-Witze so lustig? Weil sie immer sitzen.“

Haben Witze nicht mehr gereicht, konfrontierte Mabacher sein Publikum gerne auch mit absurden Videos, die Titel wie „Ich esse ein Eis und verrate den Namen meines Penis“ oder „Wie funktioniert eine Travel Pussy?“ trugen – Letzteres blieb bis zuletzt sein meistgeklicktes Video. Dass das mehr über sein Publikum als über ihn aussagt, liegt auf der Hand.

Der kleinste YouTuber der Welt und dabei auch noch rotzfrech: Mabacher. Foto: (c) Docs Filmverleih

Klicks für Videos mit „Pussy“ im Titel, statt Gehör für gesellschaftsrelevante Themen sind traurig, die wirklichen Klick-Rekorde zum Keyword „Mabacher“ kamen nun im Jänner und damit natürlich viel zu spät. Am 20. Jänner diesen Jahres verstarb Mabacher überraschend. Deshalb liegt es jetzt vor allem an der Wiener Bevölkerung, ihn und seine Arbeit in ehrfürchtiger Erinnerung zu halten. Was Martin geschaffen hat, ist kein bloßer Schabernack mit zwei, drei informativen Videos. Er hat unermüdlich gegen Diskriminierung von Menschen mit Behinderung gekämpft. Inklusion war seine Mission. Der #AbilityTubeKalender sollte seine letzte Social-­Media-Aktion sein. Dabei stellte er YouTuber und Influencer vor, die seine Perspektive auf die Welt teilen und nun weiterleben lassen.

Mabacher – der erfolgreiche Film über Martin Habacher. Foto: (c) Docs Filmverleih

Der österreichische Filme­macher Stefan Wolner begleitete Mabacher durch seinen Alltag und drehte mit ihm einen Dokumentarfilm. Am 13. Februar feiert der Streifen im Filmcasino Wien Premiere, Wolner wird anwesend sein. Seine Familie kündigte eine Abschiedsveranstaltung am 30. März – Martins Geburtstag – in Wien an, wir werden Ort und Geschehen online ankünden. Lieber Martin, rolle in Frieden.

Martin Habacher

war kein gemütlicher Zeitgenosse, der verstohlene Blicke ob seiner Erscheinung gutmütig inhalierte. „Er konnte ein richtiger Quälgeist sein und hatte aber auch jedes Recht dazu“, schrieb sein langjähriger Beglei­ter Marc Carnal in einem lesenswerten Nachruf auf fm4.orf.at. Am 20. Jänner verstarb „Mabacher“ überraschend. Fest steht: Er hinterlässt nachhaltig Spuren. Erinnerungen unter mabacher.com