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Die Nullerjahre: Hey Mann!

Es ist auch schon wieder 20 Jahre her, dass sich der WIENER als Männermagazin deklarierte.

Text: Manfred Sax / Foto: Privat

„In einer Branche, in der es leicht auf und ab geht, reißt es Reneé ziemlich hin und her. Zwischen Wien und Hollywood lässt sie sich von hinten und vorn bedienen und arbeitet sich dabei von unten nach oben.“

Also schrieb Andrea Fehringer, kurz: Feh. Es ist ein alter Text, Spätsommer 2003. Jetzt geht es darum, über den WIENER in den Nullerjahren zu schreiben, und das erste, was mir einfällt, ist dieser Text. Ein Juwel. Und warum nicht, in diesen zwei Sätzen ist alles drin – ein aufwärts mobiles Girl mit heimischem Bezug, offenbar aus der horizontalen Industrie, eingerahmt in behutsam geschliffene Worte. Zeit des Geschehens sind die frühen Nullerjahre, am Ende der Dekade auch als asexuelles Jahrzehnt bekannt. Sprachhygiene und politische Korrektheit waren im Vormarsch, hochgeistige Anlaberer („Gnä’ Frau, hätten Sie Lust, ein Kind mit mir zu zeugen?“ – „Nein, danke.“ – „Auch nicht, wenn wir aufpassen?“) begannen herauszuragen wie rostige Nägel, und so was wird bekanntlich wieder reingehämmert oder extrahiert. Aber zu #metoo war es noch ein weiter Schritt. Es war auch nicht so, dass in den Nullerjahren kein Sex passierte, aber die Sache wurde heimlich und diskret. Online-Dating wurde Boom, erster Gratis-Porno im Internet signalisierte, dass der Einhänder am Weg zur dominanten sexuellen Ausdrucksform war, und Girls wie Reneé zur Endstation Sehnsucht. Aber es waren nur linkische Pioniere wie der „Hunne“ (eine Online-Plattform, Anm.) mit läppischen Einminuten-Clips. Der den Planeten überflutende „Pornhub“ wurde erst 2007 aktiv. Ansonsten wurde Sex getextet.

Reneé jedenfalls war voll im Zeitgeist, sie war ein typischer Fall für den WIENER, das neue Männermagazin. Erwähnenswert weiters, dass obiger Feh-Text nur eine Fotozeile war, unscheinbar am Rand eines meisterhaften doppelseitigen Porträts von Fotokünstler Erich Reismann platziert, der Reneé zur sinnlichen römischen Göttin erhöhte. In aller Wahrscheinlichkeit würde kaum ein Leser auf den Text geraten, aber darum ging es nicht wirklich. Es ging darum, die Liebe zur Sprache auszuleben. Auch das war typisch für den WIENER, das neue Männermagazin.

Okay, es ist hier wieder sehr viel von Sex die Rede, nicht meine Schuld, wer mich engagiert, sollte wissen, was er kriegt. Hier geht es um das Wesen eines modernen Männermagazins. Ich bin da etwas simpel, für mich steht im Kern eines Magazins für Männer immer die klassische Frage: „Was will das Weib?“ Weil ein Mann weiß, was er will, er will wunschloses Glück, das sind generell die kostbaren Sekunden zwischen seinem Orgasmus und ihrer Frage: „Was denkst du?“ Um ins Glück zu kommen, geht er wie einst Freud der Frage nach, was sie will, und scheitert bei der Recherche selbstverständlich kläglich. Also kompensiert er. Er hat horizontalen Durst, den er letztlich mit gehobenem Konsum löscht. Mit schönen Sachen, tollen Dingen, coolen Vehikeln. Mit Life­style. Und das ist also ein Lifestyle-Magazin für Männer.

Es war im Dezember 1999, als das Telefon läutete, am anderen Ende Peter Mosser, ein alter Kollege, der sich als neuer Chefredakteur des WIENER vorstellte. Nach 20 Jahren hatte WIENER-Eigentümer Hans Schmid das Handtuch geworfen, nicht unerwartet, nach Relaunches der ehemaligen „Zeitschrift für Zeitgeist“ als „Zeitschrift“ und folglichem Gang in die Boulevardbreite gab es visionären Engpass. Dann war da noch die WIENERIN, einst das geliebte Verlags-Baby, nun eine im Zug des Postfeminismus groß gewordene Schwester. Die zwar mit dem WIENER einen Bruder hatte, allerdings keinen deklarierten. Schmid gab den WIENER an den Lifestyle Zeitschriften-Verlag ab (CEO: Gerhard Koller, Top-Magazin: Diva), und Mosser sollte daraus ein Modemagazin für Männer machen, was er ablehnte. Man einigte sich auf ein Lifestyle-Magazin für Männer: WIENER, das Magazin für Ihn.

Die Entscheidung war logisch, Mitte der 90er-Jahre hatten sich Männermagazine neuen Zuschnitts international etabliert, die nichts mit Playboy, Penthouse und Co am Hut hatten. Magazine wie Maxim, FHM und „loaded“ – Sammelbegriff: „Lad-Mags“, Lad = Kumpel – verzeichneten Rekordauflagen (FHM: 775.000), ihr Target war der vom Postfeminismus zermürbte junge Mann, der sich in seiner Haut wieder wohlfühlen sollte – mit gepflegtem Hedonismus und sexpositivem Spaß, oder, wie der charismatische loaded-Macher James Brown anlässlich der Überreichung des Awards „Magazin des Jahres“ (1995) meinte: „loaded ist das Magazin für den Mann, der weiß, dass er alles kann, hätte er nur nicht den Kater vom Vortag.“ Allerdings wechselte Brown relativ schnell in den Chefposten bei GQ, aus Selbsterhaltungsgründen, wie er gestand: „Der Gedanke, dass ich früh sterbe und die loaded-Kollegen sich auf meinem Sarg Kokain-­Lines reinziehen, war mir unangenehm.“

Das, minus der Brownschen Eskapaden, war eine der Vorgaben für das Männermagazin WIENER. Ein Problem war, dass der neue Besitzer nur den Titel, nicht aber die Redaktion übernommen hatte. Es war später Dezember 1999, die erste Ausgabe sollte im Februar 2000 am Kiosk sein, und Mosser hatte kein Team.

Würde ich heute gefragt, eine optimale Redaktion für ein neues Männermagazin aufzustellen, wär das eine elitäre Sache. Es müssten große Fotografen wie Reismann sein, und gute Schreiber mit dem gewissen Spezialwissen mehr. Leute wie Eberhard Lauth, ein Mann mit „Ich-bin-die-Lösung-sag-mir-dein-Problem“-Aura, der simply alles kann und außerdem den richtigen Stil von privater Geschwätzigkeit pflegt, vor Ewigkeiten wusste ich da nur, dass mit seiner Familie daheim alles in bester Ordnung ist, heute weiß ich immerhin, dass mit seiner Familie daheim alles in bester Ordnung ist. Dann bräuchte ich einen echten, mit allen politischen und umweltproblematischen Wassern gewaschenen Intellektuellen, der imstande ist, korrupte Machthaberer argumentativ so aufzumischen, dass sogar eine Leuchte wie ich das versteht – Wunschkandidat also Ex-und-nun-wieder-Neo-Politiker Michel Reimon, es gibt keinen besseren in diesem Land. Die Feh, heute erfolgreiche Betreiberin einer Schreibschule, wäre natürlich als Textchefin gesetzt, das Sprachniveau damit garantiert. Allezeit positive Muskel wie Axel Halbhuber (heute Kurier) wären wünschenswert, weil sie das Redaktionsklima fantastisch bereichern. Als Art-Director bitte Herbert Winkler, ja, den mit dem Wallpaper-Welterfolg. Und wenn ich träumen dürfte, müsste da auch noch so wer wie Monika Bratic (heute NBC Universal) neben mir in der Redaktion sitzen, deren fabulöses Gemüt selbst einen restalkoholisch grauen Morgen in einen guten Morgen verwandeln kann. Das wäre der Kern eines Dreamteams und als solches heute nicht leistbar, aber im Dezember 1999 stand der Großteil von ihnen am Anfang der Karriere, und Mosser schaffte das Kunststück, sie binnen Wochen zu einer Redaktion zu vereinen, die Anfang 2000 die erste Nummer rausstampfte.

Als Redaktionsraum stand ein Gebäude der alten Heller-Fabrik im zehnten Wiener Gemeindebezirk zur Verfügung, das waren schöne Räume, die im Winter ihre Tücken hatten. Es gab alle paar Stunden mal einen automatischen Heiz-Schub, der die Temperatur kurz auf knapp 40 Grad anhob, ehe sie wieder auf null absackte. „Ich saß dort abwechselnd mit Daunenjacke oder nur T-Shirt“, erinnert Feh. Der junge Reimon war Chef von Dienst und hatte noch einiges zu lernen, etwa dass eine theoretische Deadline von Freitagabend in Wahrheit nur der Morgen des Montags darauf sein kann. Oder dass dumme Scherze am allerletzten Produktionstag zu unterlassen sind. Der 11. September 2001, zum Beispiel, war so ein letzter Produktionstag, als Reimon plötzlich kalauerte: „Hey, da fliegen Flugzeuge in die New Yorker Twin Towers!“ Wer braucht so was? Stell dir vor, du bist mit der Produktion fast fertig, und plötzlich musst du alles umschreiben. Ja, es war ein Fest.

In der ersten Nummer wurde symbolisch Abschied gefeiert – vom verbrauchten Mann der 90er-­Jahre, für den sein Girlfriend nur noch verächtliche Blicke übrig hatte, du kennst den Blick, es ist der Blick, der deinen Hodensack runzlig macht. Dieser Mann bekam den Laufpass. Es war Zeit für einen neuen Mann, jedes moderne Lifestyle-Magazin braucht einen Typen, der symbolisch für die Dekade steht und idealerweise betucht und konsumfreudig ist. Und nach dem Yuppie der 80er und der Postfeministin der 90er-Jahre stellte sich nun der Metrosexuelle ein, der in Österreich selbstverständlich zuerst im WIENER vorgestellt wurde: im Kern ein Hetero, der hohen Wert auf sein Äußeres legt und daher seinen Lifestyle mit Attitüden bereichert, die stereotypisch Homosexuellen zugeschrieben werden. Musterbeispiel: David Beckham. Mode- und Kosmetikindustrie hatten nun jemanden, den sie formidabel ausbeuten konnten. Der Metro war sexuell gesehen weitgehend bedürftig, aber verdammt fesch. Und er trug nicht nur Parfüm, es durfte auch was kosten.

Das war der WIENER der Nullerjahre, ein weitgehend metrosexuell betriebenes Magazin für den Mann mit Wohlfühlbedarf, der guten Lesestoff schätzte. Die Probleme des Online-Publishings waren noch weit weg, zuerst gab sich 2007 noch ein alternder Retro-90er namens Hank Moody (TV-Serie Californication) ein Stelldichein als willkommenes Ventil für Männer, denen die ganze Metrosache am Hintern vorbeiging. Moody stand für jene Männer, die wahrscheinlich nicht in die Geschichtsbücher kommen, aber garantiert in deiner Schwester. Moody war witzig, aber 2008 verging der Welt mit dem großen Crash das Lachen. Die Budgets wurden kürzer, der Ruf „Print ist tot“ wurde laut, die Medienkarten mussten neu gemischt werden.


Manfred Sax schrieb seinen ersten WIENER-Text bereits 1984. Ab 1986 gehörte er zum Fix-Team, lieferte im kongenialen Duo mit Lichtkünstler Erich Reismann einige der aufsehenerregendsten Stories der Epoche und war ab 2000 federführend für die Neugenese des WIENER als Männermagazin verantwortlich.