AKUT

Die kulinarische Frage und das Glück des Neandertalers

Wo ist der Autofahrer am Besten, wenn er isst? Tunlichst nicht im Auto, weil man da nicht isst oder essen sollte, außer man ist auf der Flucht oder bereitet einen Angriffskrieg vor. Nebenbei erwähnt, man sollte auch keine mitgebrachten Speisen im Auto zubereiten. Ja, nicht mal das Marinieren von gewaschenem Salat ist zulässig und ethisch vertretbar. Auch die urbane Unsitte, mit einem Rinderfilet unter dem Allerwertesten über die Höhenstraße zu brettern und zu meinen, in Klosterneuburg säße man dann auf einem frisch zubereiteten Beef Tatar* ist abzulehnen und wird von den Behörden völlig zu Recht bestraft. Kulinarisch bemerkt, frisch gepflückter Bärlauch ersetzt keine Zwiebeln und überhaupt, wer Salz und Pfeffer im Handschuhfach mitführt, hat die Kontrolle über sein Gewürzregal und sein Leben längst verloren.

Aber zurück zum hungrigen Autofahrer, und ich meine damit den Autofahrer unterwegs. So wie seinerzeit diese Sendung mit Rosemarie Isopp und Hubert Wallner. Jemand, der schon vor dem Essen weiß, dass es nach dem Essen wieder zurück auf die Straße geht. Persönlich bevorzuge ich Lokale mit lokaleigenem Parkplatz. Es geht nicht um Bequemlichkeit, es geht um Respekt. Der bewegte Autofahrer und sein Fahrzeug sind eine Symbiose. Verschmelzen zu einer fahrenden Einheit. Nur sie ernähren sich verschieden. Das Auto an der Tankstelle und der Fahrer im Gasthaus. Und so wie die Tankstelle sich bemüht, beide Proponenten glücklich zu machen, („Bitte einen Pfirsicheistee und eine Käseleberkässemmel mit Gurkerl“), sollten auch die Wirte ein wenig auf duale Serviceorientiertheit setzen. Warum nicht den kettenrauchenden Hilfskellner zum Scheibenwaschen auf den Parkplatz schicken. Gegen gutes Trinkgeld natürlich, und seine Zigaretten sollte er auch gleich mitnehmen.

Kürzlich saß ich glücklich im perfekten Autofahrer-Lokal. Das Essen war bestenfalls mittelprächtig, wobei, wer in den Ausläufern der pannonischen Tiefebene gegrillte Seezunge mit Chili-Marillen-Butter bestellt, ist ein Stück weit selber schuld. Trotzdem empfand ich in diesem kulinarisch enttäuschenden Moment ein Gefühl innerer Ruhe und tiefstem Glück und das lag eindeutig an der Aussicht. Ich konnte essen und dabei mein Auto sehen. Die anderen Autos auch, aber automäßig bin strikt monogam orientiert. Ich weiß nicht, ob ich exklusiv dieses Glück empfinde, ob ich damit deutlich anders bin als die anderen Menschen? Die Gerichtssachverständige meinte kürzlich, ich sei „voll orientiert“ und verfüge über eine „situativ angepasste Persönlichkeit“ und das, obwohl ich mich immer ein wenig auf der Flucht fühle. Essen und dabei mein Auto, also das potenzielle Fluchtgefährt, zu sehen, beruhigt mich maßlos und dafür muss ich mich nicht schämen. Essen und Fliehen, genau diese Kombination hat unsere Spezies erst überlebensfähig gemacht.

Genau deswegen gibt es uns noch, evolutionär gesehen.

Doch zurück zu meinem Gefühl des Glücks, und da gibt es noch ein archaisches Kompliment an die servierende Kellnerin. Ausladende Hüften, einen enganliegenden Pullover, der groß war, aber trotz seiner Größe nicht groß genug. Ein knielanger Hüftrock und diese Kombination aus Sandaletten und Stöckelschuhen, die man nur in der Gastronomie tragen darf. Das ganze Erscheinungsbild erinnerte an eine attraktive Schwester der Venus von Willendorf. Nur das Gesicht war wenig aristokratisch geschnitten, falls die von Willendorfs überhaupt echte Aristokraten waren? Wie auch immer, all das zusammen, die gegrillte Seezunge mit Gemüse, das startbereite Fluchtfahrzeug und dieses durch die Wirtsstube tänzelnde Sinnbild der Fraulichkeit machten mich wirklich glücklich. So glücklich, wie ein Neandertaler und Autofahrer nur sein kann.

Götz Schrage
war bis vor Kurzem exklusiv am Zweirad unterwegs. Nach einem Unfall, bei dem er bewusstlos auf der Gumpendorfer Straße gefunden wurde und sich an nichts weiter erinnern kann, hat er als Spätberufener den B-Schein gemacht. Seit sechs Monaten auf den Straßen Wiens unterwegs. Die Ärzte meinen, es gäbe keinerlei Folgeschäden nach dem Unfall. Wir von der Redaktion sind uns da nicht so sicher.