AKUT

5000 Böse Zeichen – Fahrradfahrer – Gorki statt Biller

Gestatten Sie mir bitte eine bunte Einleitung. Ein wenig zu Allem quasi. Literarische Anmerkungen, nautische Halbwissen und neurotische Zwangsgedanken. Unter Umständen erkläre ich damit die gewählte Überschrift, aber da brauche ich jetzt viel Glück und Ihre uneingeschränkte Aufmerksamkeit.

Eigentlich will ich mir ja nur meinen unendlichen Hass auf diese radelnden Radfahrer von der Seele schreiben. Von diesen jungen unbeleuchteten Burschen mit Einbahnleseschwäche, die es scheinbar gar nicht mehr erwarten können, bis zur Anderswelt. Und eigentlich sollte der Titel diese Kolumne ja „100 Zeilen Hass“ lauten, aber da gibt es schon die wunderbaren Kolumnen vom Maxim Biller mit genau diesem Titel und ich muss mich mit „5000 Böse Zeichen“ begnügen und das ist selbstverständlich deutlich schwächer. Ich weiß das, Sie wissen das. Doch mit dem Copyright ist nicht zu spaßen und der Maxim Biller hat wahrscheinlich gute Anwälte und doppelt wahrscheinlich, ist er mit diesen Anwälten auch noch verwandt und die strengen sich dann besonders an. Abgesehen davon habe ich meine Rechtsschutzversicherung wohl nicht bezahlt. Mahnungen habe ich keine bekommen. Allerdings habe ich schon einige Zeit lang das Postkästchen ignoriert. Bei meiner letzen Nachschau lag Schnee und meine Handschuhe waren mir im Kaffeehaus gestohlen worden. Spätestens wenn die fetten WIENER-Schecks eintrudeln, werde ich mal wieder rein schauen.

Kommen wir zurück zu den Radfahrern. Hatte ich erwähnt, dass ich sie alle hasse? Dass ich ihnen am liebsten an den Brücken dieser Stadt auflauern würde, um ihnen das Fahrrad wegzunehmen und es in der Donau, im Donaukanal, oder zumindest im Wienfluss, zu versenken. Aber bevor ich das alles schreibe, muss ich an den zweiten wichtigen Maxim denken. Sie ahnen es bereits und Sie wissen, dass der Maxim Gorki nicht immer nur ein Schiff war? Bei den Lesern dieses Druckwerks gehe ich eigentlich davon aus, dass Sie das wissen. Jedenfalls der echte Maxim Gorki hat gesagt: „Wer drei Feinde hat, muss sich mit zweien vertragen“. Klingt wie aus dem Paten, ist aber vom Maxim (von dem mit dem Schiff, nach dem anderen wird nie ein Schiff benannt werden.)

Bis zum 23. August des Vorjahrs hatte ich zwei Feinde. Dumme Rechte und arrogante Kellner. Das ging sich geschmeidig aus und alles waren glücklich. Also ich war glücklich, die dummen Rechten und besonders die arroganten Kellner weniger, wenn sich unsere Wege kreuzten. Seit letztem Sommer gehöre ich jetzt dazu als spätberufener Führerscheinbesitzer. Muss mich also im Revier der Straßen auseinandersetzen mit dem was sonst noch da ist. Zeit zum Friedensschluss mit den zwei Altfeinden. Den nächsten dummen Rechten, den ich treffe, lade ich das schickste Innenstadtlokal ein, trinke mit ihm Bruderschaft, gebe dem arroganten Kellner mit den maximal hochgezogenen Augenbrauen ein maximal hohes Trinkgeld und schicke beiden – auch dem Rechten – eine Freundschaftsanfrage auf Facebook. Mein mononeurotischer Hass soll sich exklusiv und ungestört auf die Radfahrer fokussieren.

Logisch, wenn ich unbeholfen im Rückwärtsgang umdrehe, muss man aus dem Nichts durch meinen Wendekreis zischen. Logisch, jeder Radfahrer, der einen Radweg benutzt, ist somit absolut kugelsicher. Egal, ob der alte Mann einen sieht, egal, ob der alte Mann nach dem vierfachen Pendelblick endlich los rollt, sobald der Radfahrer auch nur ein Segment des Vorderrads ins Sichtfeld pressen kann, erzwingt er sich den Vorrang und wenn es das letzte ist, was er tut. Und ich hasse den Autodachklopfer, weil ich so stolz bin auf neunzehn vorstrafenfreie Jahre – bis auf eine kleine fällt mir gerade ein vor relativ kurzer Zeit – aber jedenfalls nichts mit Gewalt. Und der Junge klopft mir doch glatt im Vorbeifahren mit der flachen Hand aufs Dach. Ich weiß nicht mal warum, aber ich weiß, wo ich ihm Hinklopfen möchte und fix nicht mit der flachen Hand. All das stecke ich weg mit der routinierten Gelassenheit des ältesten Anfängers meines Blocks. Schließlich war ich im doppelten Wortsinn nicht umsonst in Therapie.

Den Sonntagnachmittag verbringe ich am Liebsten bei den andern autowaschenden Jungs. Man putzt außen, man putzt innen. Frauen gibt es keine, Konflikte kaum und weil meine Stammtanke so beliebt ist, staut es vor den drei Waschboxen, aber man stellt sich an und keiner drängt sich vor. Kürzlich war ich der vierte Wagen in der Schlange. Das dauert dann schon etwas. Als ich endlich dran war und in die Box einfahren wollte, schoß von der Seite so ein Radfahrer vor mein Auto, fuhr dorthin, wo ich sein wollte und kramte ein zwei Euro-Stück aus seiner Tasche. Ich natürlich aus dem Auto raus und habe es ihm erklärt. Wortreich, wenn Sie wissen, wie ich das meine. Der Typ so gut trainiert, kein Gramm Fett, die Oberarme tendenziell kräftig, jung und verdammt unerschrocken. Wie ich fertig war, zog er die Augenbrauen nach oben (das auch noch) und sagte: „Chill mal hier und pump dich nicht auf“. Da ist mir ein anderes Zitat eingefallen, keines von den beide Maxims. Da ist mir bei Bekannter B. eingefallen und von dem stammt der Satz: „Im Gesicht hat keiner Muskeln“. So gerne hätte ich das evaluiert, aber ich bin standhaft geblieben und darauf bin ich stolz. Fast so stolz wie auf diese Kolumne.

Götz Schrage
war bis vor Kurzem exklusiv am Zweirad unterwegs. Nach einem Unfall, bei dem er bewusstlos auf der Gumpendorfer Straße gefunden wurde und sich an nichts weiter erinnern kann, hat er als Spätberufener den B-Schein gemacht. Seit sechs Monaten auf den Straßen Wiens unterwegs. Die Ärzte meinen, es gäbe keinerlei Folgeschäden nach dem Unfall. Wir von der Redaktion sind uns da nicht so sicher.

Leseempfehlung: Maxim Biller, „Hundert Zeilen Hass“, Verlag: Hoffmann und Campe. – Maxim Gorki, „Der Landstreicher und andere Erzählungen“, Insel Verlag.