Essen
Streich-Resultate
Wo geht man hin, wenn die Gastro zwangsgeschlossen wurde? Dorthin, wo zehn Brötchen eine Hauptmahlzeit sind: Der unaussprechliche Trześniewski hat nämlich offen. Und zwei neue „Geschmacksrichtungen“.
Text: Roland Graf / Fotos: Stefan Gergely, Trześniewski
Warum sich unsere Familie vor ziemlich genau 75 Jahren in halb Europa zerstreute, ist in einer Lokalkritik unerheblich. Wichtig zu wissen ist nur, dass die Nachfahren seither alle paar Jahre aus Toulouse, Berlin oder Catania in Wien einfallen. Lange Zeit war das mühsam. Viel Verbindendes hatte man sich ja nicht zu erzählen. Und dazu kam die schwierige Restaurantsuche. Denn grundsätzlich war in der deutschen Hauptstadt sowieso alles größer, in Frankreich besser und in Sizilien frischer. Nur an zwei Orten verstummten sie. Weil den wienerischen Aperitif (so hatte ich das im Vorfeld verkauft) im „Schwarzen Kameel“ oder beim „Trześniewski“ liebten alle.
Heuer wurde es zwar nichts mit der Reunion der Großcousins und -cousinen, die Dorotheergasse trotzt aber selbst dem Virus. Da die Aufstriche selbst hergestellt werden, ist man Lebensmittelerzeuger und hat als solcher offen. Womit man sich seine Favoriten einfach abholt und daheim schnabuliert. Mit einem Pfiff Bier dazu kann man Franciszek Trześniewski hochleben lassen, der 1902 die Idee zu Aufstrichen und Lokal damit hatte. Dass dem altehrwürdigen Betrieb ein veritabler Bachmann-Preisträger die Werbung zeichnete (Tex Rubinowitz: „Trześniewski“ – „Gesundheit!“, Sie erinnern sich?), beeindruckte Melanie, die Malerin aus Berlin, sehr.
Sie konnte aber auch nie glauben, dass es die unglaubliche Kombination – „Ei mit Ei“ – hier wirklich gab. Wobei das mit den Lieblingsbrötchen so eine Sache ist: Denn auch wenn die Website „speckmitei.at“ eine andere Sprache spricht – für viele ist ein anderer Klassiker quasi gesetzt. Ohne „Geflügelleber“, da outen wir uns jetzt, ist der Trze´sniewski-Besuch eigentlich gar nicht erfolgt. Und wenn man schon beim Offenlegen kulinarischer Präferenzen ist: Wirklich g’schmackig bekommen sie hier auch Veganes hin. „Linse mit roter Rübe“ etwa. Sieht ein wenig wie ein zweiteiliger Selbstbausatz aus, wenn man sich den Aufstrich ohne Brot einpacken lässt. Merken wir uns gerne fürs nächste Mal, aber diesmal muss es – saisonbedingt – ein Brötchen sein.
Denn im 23. Bezirk, der Quelle aller Streich-Resultate, ersinnt man für das „Festtagsbrötchen“ alljährlich Extravagantes: Pikante Nuri-Sardinen treffen heuer auf Zimt-Zwetschke und Physalis, die alte Kap-Stachelbeere! Die portugiesische Fischkonserve gibt es heuer 100 Jahre (und steht in Wiener Eigentum), weshalb es auch noch ein „Jubiläumsbrötchen“ gibt. Würden sie diese Trześniewski-Kreation auch in Dosen füllen, wäre es der perfekte Katerkiller. Denn da ist Elektrolyt am Brot: Scharf ist es, dank Gurkerl ziemlich säuerlich und mit schönem Salz-Ton von den Fischerln versehen. Sieht so aus, als müssten wir vor Silvester wieder in die Dorotheergasse – wegen dem Vorrat wär’s!
Trześniewski
Dorotheergasse 1, 1010 Wien (sowie zehn weitere Wiener Filialen), Montag bis Freitag 9–19 Uhr, Samstag 10–18 Uhr, Sonntag 10–17 Uhr, www.trzesniewski.at
Preise: Ob reiner Pfefferoni-Aufstrich, der vegane „Erbse-Karotte“ oder die Variante „Trüffel-Ei mit Schinken“: Jedes Brötchen kostet gleich viel, nämlich 1,40 Euro.
Pflichtkauf: Hühnerleber-Brötchen muss immer sein. Aber: Richtig fein ist das „Jubiläumsbrötchen“ mit chilischarfen Sardinen, Gurkerln und Karotten (1,40 Euro).
Ideal für: Buffet-Tiger mit Entzugserscheinungen und alle, die für Delikates kein Besteck brauchen.
Leistungskoeffizient: 90
Preisband: 77