AKUT

Und … Action!

Liebe Mutti!

Hier bei der DMLH&W New AdDigital Group überschlagen sich wieder mal die Ereignisse.

Ich mache meinen ersten Film. Also ich habe ja schon viele Skripte schreiben dürfen, wie Du weißt, aber jetzt darf ich das erste Mal mit zu einem Dreh. Und das nach nur knapp vier Jahren im Job! Zugegeben, ich hatte da ein bisschen das Glück des Tüchtigen, denn normalerweise hat man als Junior Associate Creative Director wie ich nichts auf einem Filmset verloren – da muss man schon mindestens Creative Director sein, wenn nicht Group Creative Director. Aber wie es der Zufall so will, sind meine beiden direkt vorgesetzten CDs zeitgleich auf einem Shooting in Argentinien – dort sieht es angeblich fast so aus wie bei uns, und weil dort ja gerade Sommer ist, können sie perfekt die Frühjahrskampagne für die Initiative „Fahr nicht fort, kauf im Ort“ drehen.

Ich bin schon so aufgeregt! Der Film ist übrigens für ein neues Tiefkühlprodukt. Mehr darf ich dazu nicht verraten, Du weißt schon, wegen der Konkurrenz und so.

Gestern jedenfalls gab es bereits das PPM für den Film. Das ist die Kurzform von Pre-Production-Meeting, und da wird der ganze Film noch vor dem eigentlichen Dreh durchgekaut. Jede einzelne Szene, wie sie der Regisseur interpretieren will, die verschiedenen Einstellungen, der Dreh­ort, das Casting, Licht, Buffet, alles wird minutiös besprochen. Damit es am Set ja keine Über­raschungen gibt. Du glaubst ja gar nicht, wie sehr da ins Detail gegangen wird! Und dabei sind wir natürlich auch auf das Sty­ling der Darsteller zu sprechen gekommen. Ich sage nur: Zum Glück waren da vier Kolleginnen aus der Kundenberatung und zwei aus der strategischen Planung dabei, die mit den sechs anwesenden Kundinnen auf Augenhöhe – wie man so schön sagt – über das Thema diskutieren konnten. Weil, Du kennst mich ja, wenn’s um Mode geht, bin ich mit meinem Latein schon am Ende, bevor es überhaupt losgeht.

Dementsprechend schnell war man sich bei dem Vater, der Tochter und dem Sohn unserer neuen Werbefernsehfamilie schon nach knapp eineinhalb Stunden einig. Bei der Mutter allerdings entbrannte eine Diskussion, die zwar mindestens doppelt so lange ­dauerte, aber ein für alle Mal den Gegenbeweis für die schlechte Nachrede erbrachte, dass wir Werber ein oberflächlicher Haufen seien. Vom Stylisten wurden für die Mutter Jeans vorgeschlagen. In drei verschiedenen Schnitten und ebenso vielen ­Waschungen. Für mich waren die alle Jacke wie Hose, vor allem, weil die Mutter im Film an einem Tisch sitzen soll und von eben diesem hüftabwärts verdeckt wird. Aber da sieht man wieder, wie viel ich noch zu lernen habe. „Was wollen wir mit den Klamotten der Mutter eigentlich staten? So auf ’ner Metaebene?“ Die Fragen von Ann-Britt, unserer hanseatischen Chefstrategin, schlugen ein. Lasergenau trafen sie vor allem auch den Nerv der Kundinnen. Wenn man schon einen Film machte, konnte man den doch auch nützen, um ein Signal zu setzen. Ein feministisches und gleichzeitig nachhaltiges Signal. Etwas mit Makrowirkung, wie Britt unterstrich. Ich glaube, wir würden heute noch diskutieren, hätte sich nicht Miki B. zu Wort gemeldet, die Regisseurin des Filmes, die sich übrigens gerade in der Berliner Experimentalfilm­szene einen Namen macht und von meinem Executive Creative Director wegen ihrer radikalen Rap-Video-Inszenierungen für den Dreh ausgewählt wurde, um dem Film mehr „Edge“ zu verpassen. „Mar … lene … Dietrich“, sagte Miki B. nur und schlug dabei rhythmisch mit der flachen Hand auf die Tischplatte. „Aber in rubinrotem Bioleinen. Das ist Kraft, das ist Selbstbestimmtheit, das ist Panaché. Aber mit Verantwortung.“ In diesem Moment schienen sich die Blicke aller gleichzeitig zu treffen. Bestätigend. Bestärkt. Beseelt. Alles war gesagt. Alles war klar. Für mich nicht ganz, wie ich leider zugeben muss, aber die Tatsache, dass ich gleich bei meinem ersten Dreh so einen großen Moment miterleben durfte, erfüllt mich mit Stolz und ebensolcher Vorfreude auf die Wellen, die wir mit dem Film ­sicher schlagen werden.

Gruß und Kuss, Dein Vinzenz.


Alexander Rudan
Kreativdirektor von Havas Wien, ist seit mehr als 25 Jahren in der Werbung. Sein Alter Ego ­Vinzenz Birngruber gibt uns in Briefen/Mails an seine Mama daheim in Salzburg Einblicke in den ganz nor­malen Werbealltag.