AKUT

Und irgendwo in der Agentur brennt immer das Licht

Liebe Mutti!

Hier bei der DMLH&W New AdDigital Group überschlagen sich wieder mal die Ereignisse.

Heute wurde ich befördert. Eigentlich habe ich ja nur um eine Gehaltserhöhung gefragt. Zweihundert Euro brutto mehr pro Monat wollte ich, aber ich bin, ganz der Werbefachmann, mit 199,90 Euro in die Verhandlung mit H., einem der zwölf Agenturgeschäftsführer, gegangen.
Du weißt, die Kunst der ­Ver­führung!

Ich habe gleich gemerkt, wie ihm diese Professionalität Respekt abverlangt hat, denn er hat ohne langes Federlesen einfach gleich seine zweite Assistentin herein­gerufen, die dann für ihn den ­Finanzchef herbeigetwittert hat.

Und noch ehe dieser mir mit vor Zorn angeschwollener Ader auf der Stirn auch noch ein viertes Mal ausführen konnte, wieso er es partout nicht einsehen wolle, warum jeder dahergelaufene kleine Mit­arbeiter nach nur drei Jahren mit absolut skandalösen Vorstellungen von Gehaltserhöhungen daher­käme, statt einfach nur froh und dankbar zu sein, in Zeiten wie ­diesen eine saubere Anstellung zu haben, brachte ihn Geschäftsführer H. mit einer einzigen Hand­bewegung zum Verstummen. Nur eine Handbewegung, Mutti. Nicht mehr. Beeindruckend.

„Das hier ist einer der Guten!“, sagte er mit der Ruhe und Ge­lassenheit eines Werbers, der die ­Jahre, in denen er keine Top-drei-­Platzierung beim „Kurier“-Werbeliebling einheimsen konnte, an einer Hand abzählen konnte. „Und das wissen auch andere Agenturen, oder, Vince?“ H. war mal drei Monate bei unserer Mutteragentur in Chicago, und diese große Zeit hatte in ihm eine verständliche Vorliebe für Anglizismen wachsen lassen. „Es ist ein War of Talents da draußen. Ich sage nur Effie-Gala!“ Dabei ­fixierte er mich mit seinen ­stahlblauen Augen.

Die Effie-Gala. Konnte es sein, dass er mich an diesem Abend ­zusammen mit dem Chef von DDDH & 3D Company beobachtet hatte? Die machen übrigens die Bankenkampagne mit dem sprechenden, stepptanzenden Frettchen, das du so magst, Mutti.

Diese Lichtgestalt der heimischen Kreativszene hatte mich freundlicher Weise um einen Gin Tonic mit wenig Tonic geschickt. Ich blieb dann länger bei ihm stehen, da er mit Zigarre in der einen und iPhone 11 Pro in der anderen gerade keine Hand für das Erfrischungsgetränk frei hatte. Konnte es nun sein, dass H. ausgerechnet diese Szene als ein Abwerbungsgespräch deutete? Und dass die 14,90 Euro für den Gin Tonic sich als das beste Investment meines Lebens erweisen sollten?

Noch ehe ich überlegen konnte, ob ich H. über das Missverständnis aufklären sollte, fuhr dieser fort: „Listen, Vince! Ich mache dir ein First Class Proposal. 199,90 Euro geht nicht. Du weißt, die Times sind tough, aber du bekommst die Hälfte mehr. Ab nächsten, sagen wir übernächsten Monat. Und on top bist du ab ­sofort Junior Asso­ciate Creative Director. Deal?“

Ich war überwältigt. Gerührt. Geehrt. Ich konnte nicht mehr, als nur stumm H.s ausgestreckte Hand zu schütteln, der diese gleich amikal zum Bikergruß drehte, fest zudrückte und mir ­dabei tief in die Augen blickte. „Du bist my Man, Vince! Ich ­verlasse mich auf dich!“

Ich schwebte förmlich aus H.s riesigem Eckbüro. Mutti, ich habe es geschafft! Ich kann dir zwar nicht genau erklären, was ein Junior Associate Creative Director ist, aber die drei Kundenkinder-Praktikanten, die gerade vom Sonnenbad auf der Agenturdach­terrasse gekommen sind, haben mich das erste Mal richtig gegrüßt. Und die Marketing-Assistenzassistentin von meinem viertwichtigsten Kunden ist auch plötzlich viel freundlicher, wenn sie mir via Mail Korrekturen durchgeben lässt.

Gruß und Kuss, Dein Vinzenz


Alexander Rudan
Kreativdirektor von Havas Wien, ist seit mehr als 25 Jahren in der Werbung. Sein Alter Ego Vinzenz Birngruber gibt uns in Briefen/Mails an seine Mama daheim in Salzburg Einblicke in den ganz nor­malen Werbealltag.

Foto: Alexander Rudan, Illustration: Verlag