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Der andere Rebhandl – Seine Rock Rockenschaub Kolumne im WIENER #W445

Manfred Rebhandl

Ich läutete an der Türe des Dr. Baier, läutete nochmal, und endlich tat sich etwas. Ich hörte die trägen Bewegungen eines sehr müden Hundes. Sie paßten nicht zu dem Schild, das an der Türe angebracht war und sagte: Lieber Einbrecher, ich freue mich auf deine Innereien! Die Tschetschenen, an die sich der Spruch richtete, würden ihn aber ohnehin nicht kapieren, wegen allgemeinen „Nix Verstehen!“-Alarms. Vorsichtshalber griff ich aber nach meiner Bleispritze, um die Töle mit Blei zu füttern, falls sie doch nicht so müde war, wie sie mir hinter der Türe vorkam, und stattdessen richtig Hunger hatte.

Dann hörte ich, wie Dutzende Schlösser entsperrt wurden, von ganz oben bis ganz unten. Da hatte der Doktor richtig investiert! Endlich ging die Türe auch auf, und ein Fettberg in seinen Unterhosen stand vor mir, sie war vorne ganz gelb. Da sah man wieder, wozu ein Studium führte! Er trug die Tighty Whities auf die gute österreichische Art: Seit ungefähr einem Jahr. Typ enttäuschter Sozialdemokrat, der jetzt die Vollseppelpartei wählte. Sein Unterhemd hatte den Vorteil, dass er es nicht anpissen konnte, weil er es nicht über die Wampe kriegte. Es bändigte kaum seine mächtigen Tittchen, mit denen er eine ganze Armee stillen könnte. An einem Gurt unterhalb der Wampe hatte er einen kleinen Wasserkanister hängen, so wie früher die Cowboys, und ein paar Handeschellen hingen auch daran. Irgendwo mußte sein Schweizer Messer stecken, mit dem er sich zur Not die Zehennägel schneiden könnte. Die Not schien ihm aber noch nicht groß genug zu sein, während ich die Not deutlich sehen konnte. Himmel, was waren das für gelbe Krallen? Er trat zwei Schritte zurück und ließ mich rein.

Drinnen stank es, als hätte der Teufel selbst geschissen, aber am Ende muss es wohl er gewesen sein. Hinter der Eingangstüre war das Klo, und die Türe stand noch weit offen. Ich schloß sie, was nichts vom strengen Geruch wegnahm, aber ein wenig Platz schaffte. Da war nämlich eine Menge Krempel in seiner Wohnung. Und irgendwo darunter mussten auch seine Zähne liegen.

„Du kannst wohl auch nichts wegwerfen, was?“, fragte ich.

Ein Problem, das ich von meinem Kumpel Lemmy kannte. Wenn ich bei dem mal aufräumen wollte, dann sagte er immer: „Nicht, Rock! Das kann ich noch brauchen!“ Und er meinte verbrannte Streichhölzer und solche Sachen.

Ich stieg über offene Fischdosen, Pizzakartons, Klopapierrollen und Vorhangstangen, über ein altes Lavour und zwei Autoreifen, Wattestäbchen, Schraubenzieher, Socken, eine Waschmaschinentrommel und Lötpaste. Die Regale an den Wänden waren bis oben hin mit Bohnengulasch in Dosen vollgeräumt, unter den Regalen standen zwei Gefriertruhen. Ich öffnete eine und sah darin gestapelte Pizzakartons, Mais mit Salami um 98 Cent das Stück. In der anderen waren Würste und Koteletts. Immerhin sah ich keine Leiche.

Ich hatte genug Zeit mit Kubelka verbracht, um zu wissen, wie es bei einem wie ihm lief. „Mit dem ganzen Krempel, mit dem er sich umgibt, schafft er sich die Geborgenheit eines Nestes“, hatte er mal über einen gesagt, der sich mit Krempel umgab und sich damit die Geborgenheit eines Nestes schuf. Nur dass jeder verdammte Vogel sein Nest sauber hielt!

„Wie kannst du nur so leben?“, fragte ich angemessen vorwurfsvoll, sogar ein wenig von oben herab. „Was hat dich bloß so ruiniert?“

Er aber blieb cool: „Mich hat gar nichts ruiniert, Maigret. Ich bin einfach nur Prepper, und das ist ja wohl nicht verboten.“

„Ich dachte, du bist Doktor.“

„Doktor auch. Aber Prepper eben auch.“

„Und was soll das heißen?“

„Dass ich mich auf das Ende vorbereite.“

„Auf das Ende von was?“

„Ist dir noch nicht aufgefallen, dass harte Zeiten auf uns zukommen?“

„Und?“

„Da will ich vorbereitet sein.“

„Mit zwei Autoreifen?“

„Hast du noch zwei? Dann könnte ich mir ein Auto bauen.“


Manfred Rebhandl
Autor in Wien. Zuletzt erschien von ihm „Sommer ohne Horst: Rockenschaub löst auf alle Fälle alle Fälle“ (Haymon Verlag 2020)