Motor

Mythos Vespa: Und ewig sticht die Vespe

Wenn man weitgehend unvoreingenommen an ein Thema herangeht, ist das Ergebnis oft erstaunlich, wenn nicht sogar genial. So etwa, wenn sich ein Flugzeugkonstrukteur an einem motorisierten Zwei­rad versucht. Und damit sind wir schon mitten in der Entstehungsgeschichte des legendären Vespa-Rollers, der heuer 75 Jahre alt wird.

Text: Franz Farkas

war nach dem zweiten Weltkrieg schon eine alt­eingesessene Firma. 1884 vom 20-jährigen Rinaldo ­Piaggio gegründet, fertigte man vorerst Schiffs­armaturen, später Eisenbahnwaggons, Motoren, Straßenbahnen und Lkw-Teile. Im Ersten Weltkrieg beschäftigte man sich mit der Luftfahrt und expandierte recht schnell. So wurde 1921 ein Werk in Pontedera gegründet, das im zweiten Weltkrieg schwer beschädigt wurde. Vor allem aber durften die Kriegsverlierer keine Flugzeuge mehr bauen.

Zu dieser Zeit war auch in Italien so ziemlich ­alles Mangelware, vor allem aber preisgünstige ­Mobilität. Kein Wunder, dass Firmen wie etwa der Radiohersteller Ducati begannen, Hilfsmotoren für Fahrräder zu bauen. Auch im Flugzeugwerk Piaggio Air suchte man nach einem derartigen Konzept, das nicht nur gut verkäuflich, sondern auch mit den vorhandenen Ressourcen herstellbar sein sollte. Also schwebte den Brüdern Enrico und Armando Rinaldo, die das Unternehmen nach dem Tod ihres Vaters 1938 übernahmen, ein kleines handliches Gefährt vor, das auch leicht von Frauen bedient werden konnte. Es gab bereits so etwas wie Motorroller, die etwa zusammen mit den Fallschirm­jägern abgeworfen wurden, um diese am Boden zu mobilisieren. Der Ingenieur Spolti Renzo bekam den Auftrag, ein derartiges Fahrzeug zu realisieren. Der erste Prototyp war zwar schon vollverkleidet, hatte aber noch einen Kettenantrieb, der nach regelmäßiger Wartung verlangte, und vor allem war er nicht gerade eine Schönheit. Die Werksange­hörigen tauften ihn bald „Paperino“ die italienische Bezeichnung für Donald Duck. Auch Piaggio war nicht gerade begeistert, und so bekam der Flugtechniker Corradino D’Ascano vom Firmeninhaber Enrico Piaggio den Auftrag, ein motorisiertes Zweirad zu entwickeln. D’Ascano hasste eigentlich Motorräder, auf ihnen wurde man seiner Ansicht nach nur schmutzig. Zudem wollte er sich eigentlich in der gerade aufstrebenden Helikoptertechnik verwirklichen. Da er aber nur die Alternative hatte, Töpfe und ähnlichen Hausrat oder eben ein Fahrzeug zu produzieren, entwickelte er in erstaunlich kurzer Zeit ein völlig neues Konzept. Die Devise war, sauber und bequem fast wie in einem Auto von A nach B zu gelangen. Daher verschwand der Motor unter einer Blechhaube, es gab keine schmierige Kette, weil das Hinterrad direkt mit dem Triebwerk verblockt war, und natürlich einen freien Durchstieg, um auch der damals fast ausschließlich berockten Damenwelt das Fahren zu ermöglichen. Dazu kam noch eine Handschaltung, anstatt eines Hauptständers wurde das Fahrzeug einfach mittels zweier Kufen unter dem Trittbrett abgestellt, wahlweise rechts oder links geneigt. Beide Merkmale sollten die schönen und meist empfindlichen Damenschuhe schonen. Neben der genialen Triebsatzschwinge war auch das Konzept des Blechpreßrahmens ein genialer Schachzug. Er ermöglichte die Verwendung der bestehenden Blechpress-Werkzeuge vom Flugzeugbau und war zudem noch extrem stabil. Die einseitige Aufhängung der ­beiden (austauschbaren) Räder stammte ebenfalls aus der Flugtechnik, die Fahrwerke der Piaggio-Kriegsflugzeuge standen hier Pate. Radwechsel war fortan so leicht wie beim Pkw, ein mit­geführtes Ersatzrad machte den Fahrer auf den damals noch sehr von Hufnägeln verseuchten ­Straßen unabhängiger.

Der zweite Entwurf mit einer schlanken Taille konnte auch Piaggio vom Design her überzeugen und wurde „Wespe“, also Vespa, getauft. Die geniale Einfachheit und die Details sorgten nicht nur in Italien für eine rasche Verbreitung. Sicher hatte es schon Jahre davor ähnliche Konzepte gegeben, etwa das Lomos-Sesselrad aus den Zwanzigern oder das knapp danach in den USA gebaute Neracar. Allerdings fehlten diesen Fahrzeugen die Konsequenz der Vespa und natürlich auch das passende Umfeld.

Am 23. April 1946 meldete Piaggio & C. S.p.A. ein Patent beim Zentralpatentamt für Erfindungen, Modelle und Markennamen beim Ministerium für Industrie und Handel in Florenz an: für einen „Motorradzyklus mit einem rationalen Komplex von Organen und Elementen mit Körper, kombiniert mit Kotflügeln und einer Motorhaube, die alle mechanischen Teile abdeckt“.

Bei der anschließenden Vorstellung auf einem Golfplatz in Rom war die Resonanz der anwesenden Journalisten und anderen Gäste eher zurückhaltend. Piaggio glaubte aber fest an das Konzept und begann 1947 mit der Produktion von gleich 2.000 Einheiten. Zwei Versionen wurden angeboten, die „Normale“ und eine Luxusversion mit Optionen wie Tacho, Seitenständer und den damals so modischen Weißwandreifen. Vorerst wurde der Roller über den Lancia-Vertrieb angeboten, da sich die Motorradhersteller weigerten, das Fahrzeug in ihre Verkaufsräume zu stellen. 1948 kam schon eine 125er, und die Produktion wuchs ständig. In den Fünfzigern ­wurde das rasende Insekt auch nördlich der Alpen bekannt, in Deutschland wurde es in Lizenz und in Indien ohne Lizenz gebaut. Mitte der Fünfziger wurden schon 171.000 Vespas in Ponte­dera gebaut, dazu kamen schon mehrere Lizenznehmer und Nachbauten, auch aus Russland.

1963 kam mit der V50 Special erstmals ein Moped mit der immer noch gleichen Bauweise ­heraus, dem die Jugend beiderlei Geschlechts sofort verfiel. Inzwischen waren die „Großen“ bei 160 bzw. 180 ccm angelangt, diese Roller konnten sich auch im allgemeinen Niedergang des Zweirades in dieser Zeit sehr gut behaupten. Als in den Siebzigern und Achtzigern der erste Zweiradboom von den USA auch nach Europa schwappte, waren die Italiener noch immer an vorderster Front. Die Vespa hatte sich zum Kultfahrzeug entwickelt, es gab und gibt heute noch unzählige Tuning- und Zubehörteile, von denen eine ganze Industrie vor allem im Mutterland Italien sehr gut lebt. Ein Grund für die Bekanntheit war auch immer das Sportengagement, in den Fünfzigern gewannen die Vespen aus Pontedera jede Menge Bewerbe, bei denen meist eine eigene Rollerklasse ausgeschrieben war. Sowohl auf der Straße als auch im Gelände standen die Roller ihren Mann, so dominierten sie 1951 die Six Days und fuhren neun Goldmedaillen ein. Sogar an der berühmt berüchtigten Wüstenrally Paris-Dakar nahm ein ­Vespa-Team teil und kam sogar durch. Zu diesem Zweck gab es auch immer besonders sportliche Modelle wie etwa die 90 SS mit einem als Knieschluss fungierenden Reserverad und Zusatztank oder die T5 mit einem besonders schnellen Motor. Auch diverse Rekordfahrten wurden absolviert. Natürlich gibt es ein ­weltumspannendes Clubleben: Jeder ist hier willkommen, die ­Treffen sind mittlerweile Legende.

Dabei ist der unverwüstliche Roller in seinem Grundkonzept immer noch geblieben, wie ihn D’Ascanio 1946 gezeichnet hat. Der Blechpreßrahmen und die Triebsatzschwinge, aber auch die Radaufhängungen sind ein typisches Markenzeichen, auch wenn nach einem heftigeren Sturz meist ein Spengler bemüht werden muss. Geändert haben sich selbstverständlich die Motoren. Der unverwüstliche Zweitakter musste aus Geräusch- und Abgasgründen einem Viertakter mit Variomatik weichen, ABS ist nun selbstverständlich. Beim Hubraum ist man mittlerweile bei 300 ccm angelangt, die Leistung stieg auf deutlich über 20 PS, auch eine Elektroversion ist auf dem Markt. Die Beliebtheit ist ungebrochen, der Kultfaktor ebenso, obwohl die Einstandspreise wesentlich über denen der Konkurrenz liegen. Mittlerweile wurden satte 19 Millionen Vespas produziert, im Vorjahr war die GTS 300 mal wieder das meistverkaufte Zweirad über 50 ccm in Österreich.

Pünktlich zum Jubiläum bringt Vespa nun eine Sonderserie mit der Aufschrift „75“ – umfassender Erfolg und steigender Wert sind so gut wie sicher.