Motor

Blöd grinsend ins Radar fahren

Franz J. Sauer

Ja, werte Damen und Herren Leser, wenig später hat eine Laserpistole vom Freund und Helfer die überhöhte Geschwindigkeit dieser Fotofahrt am Helmvisier gemessen. Wenigstens habe ich nun schriftlich, wie viel zu stark der große Honda-Scooter für Innenstadt-­Gefilde geraten ist.

Text: Franz J. Sauer / Fotos: Eryk Kepski

Natürlich ist mir bewusst, wie fehl am Platz hier nun Ausreden à la „der Fotograf hat mich zum Schnellfahren angestachelt“ oder „vor lauter in die Kamera Schauen habe ich die Bullen am Wegesrand nicht gesehen“ wirken. Außerdem haben sich die Augen des Gesetzes diesfalls nicht mal feig hinter parkenden Autos versteckt, sondern sind klar sichtbar am Rande der Brigittenauer Lände gestanden, als ich ihnen in die Fänge geriet. Fürs unmittelbar Aufgehaltenwerden war ich dann scheinbar doch einen Tick zu schnell. Also kam der Liebesbrief in Gestalt eines Organmandats per Post. 66 sei ich „nach Abzug aller Toleranzen“ gefahren, stand auf dem Wisch. Gekostet hat der Spaß 55 Euro. Und was nun folgt, ist ein Test. Erstens, um herauszufinden, ob die Wiener Verkehrspolizei WIENER liest, und zweitens, um zu ergründen, ob schriftliche Geständnisse im ­Magazingeschichten-Format ­bereits bezahlte Organmandate noch kostenmäßig erhöhen können. 66, meine lieben Freunde, bin ich nämlich höchstens im unmittelbaren Vorfeld der kommenden Kreuzung mit der Friedensbrücke gefahren. Als ich mich anvisiert habt beziehungsweise das überzuckerte, fuhr ich weit über 80.

Wäre ich nun, wie sonst zumeist, mit einem dicken SUV ­unterwegs gewesen, wären die Cops nach diesem Schrieb noch das Harmlosestes, was ich zu befürchten hätte. Weil man Umweltsünden mit einem Zweirad allerdings nicht ganz so ernst und vor allem böse nimmt wie mit dem Automobil, hoffe ich auf Verständnis unter meinen geschätzten Lesern. Und komme somit endlich zur eigentlichen Hauptrolle dieses Vierseiters: Der wunderbar famosen X-ADV der zweiten Generation.

Als Honda vor mittlerweile vier Jahren großmundig ankündigte, ein Bike herauszubringen, das die Zweirad-Gattungen ­Adventure-Tourer und Scooter miteinander verschmelzen will, herrschte zunächst Unglauben in der Zielgruppe. Die einen hätten bis dahin einen Scooters niemals als ernsthaftes Gerät für die weite Fahrt ins Auge gefasst und die anderen ein ausgewachsenes Reisemotorrad mit 750 Kubikzentimetern wohl kaum als geeignetes Innenstadtfahrzeug akzeptiert. Die ersten Bilder zeigten damals Gefälliges, an dem sich keine der beiden Kohorten stoßen würde. Und als die ersten Geräte beim Händler standen, wurden erstmals B111-Führerschein-Besitzer darauf angefixt, damals vielleicht doch besser den kompletten A-Schein gemacht haben zu sollen. Den anerkennenden Ritterschlag zum ernsthaften Bike ­bekam der (gendertechnisch bleiben wir beim Scooter) X-ADV wie so oft vom Zubehörhandel verliehen. Spätestens, als die ­ersten Rothmans-Klebesets aufkamen, die ihn der Dakar-Africa-Twin ähneln ließen, war klar: Dieses Fahrzeug wird als Motorrad ernstgenommen.

Für einen schwerfälligen ­Hobbyfahrer wie den Schreiber dieser Zeilen, der bei jeder Journalistenausfahrt aus Mangel an Vollgas-Skills die Partie aufhält, stellte der X-ADV schon in seiner Erstversion so etwas wie die eierlegende Wollmilchsau dar. Reichlich Platz für Haxen und Gesäß, viel Stauraum darunter, ein sattes Fahrgefühl insgesamt. Und aber die beruhigende Gutturalität einer Art Trittbrett anstelle der Fußrasten. So was bietet ­einem wie mir psychologische Vorteile beim beherzten Umlegen in schnellen Kurven.

Und nun haben die von Honda an ihrem Größt-Roller bereits nach drei Jahren tiefgreifend nachgeschärft und aus einem wahnsinnig guten Bike ein noch viel besseres gemacht. Puncto Motordaten wurde dezent, aber bestimmt nachgeschärft (plus vier PS, plus ein Nm Drehmoment), das schlaue Assistenzwesen wurde erweitert und gleichzeitig intuitiver gemacht, was am offensichtlichsten im nunmehrigen TFT-Display anstelle des alten LCD-Screen materialisiert. Und auch beim Aufbau wurde nicht nur an der Oberfläche gekratzt. Einem verbesserten Gewichtsgefüge (weniger davon, besser verteilt) geschuldet, wurde sogar der Rahmen umgestaltet, als angenehmer Nebeneffekt wuchs so das Staufach auf ­22 Liter.

Optisch sticht vor allem eine ziemlich geglättete Frontansicht nebst runderem und größerem, nach wie vor fünffach verstellbarem Windschild ins Auge, insgesamt behielt sich der X-ADV aber seinen wild zerklüfteten Gesamteindruck im Auftritt: Es wäre schade drum gewesen.

Im Fahrbetrieb fällt vor allem das komplett neue Set-up des Honda-DCT-Getriebes auf. ­Versuchte es dereinst, hauptsächlich durch Unauffälligkeit zu glänzen (was gelang), so leistet es sich nun einen selbstbewussteren Auftritt, als wollte es seine Ernsthaftigkeit als Getriebe demonstrieren und sich so deutlich von irgendwelchen CVT-Automatiken abheben. Drei kürzer übersetzte tiefe Gänge schaffen Platz für eine weitere Spreizung der oberen, was mehr Durchzug in der Innenstadt (und schnelleres Vordringen in Strafzettel-Speedings) und auf der Bundinger bringt, dafür geht das etwas ­Weniger an Sportsgeist im windumtosten Autobahnbetrieb sowieso niemandem ab.

Insgesamt profitiert vor allem auch der ­Verbrauch, zumindest was die Werksangaben betrifft.
Fünf Fahrmodi, davon drei vorkonfiguriert und einer frei zu gestalten, machen den X-ADV fit für alle Bedingungen. Traktionskontrolle und Getriebe sind ebenfalls fein adjustierbar, der Profi kann sich hier ernsthaft austoben. Die Smartphone-Inte­gration funktioniert hier vollinhaltlich, zum vollen Ausschöpfen der Features braucht es allerdings ein Headset, das wir nicht hatten. Daher können wir hier nur vermelden: Es sah das alles recht ernsthaft aus und wird wohl auch so funktionieren.

Und ja, was zu bemeckern ­fanden wir auch. Die Trittbretter sind schmaler geworden. Ich hatte mir nicht eingebildet, hier weniger Platz fürs zu lang geratene Geläuf vorgefunden zu haben als beim letzten Modell. Aber auch das stört freilich nur aus dem Leim geratene Honda-Fahrer. Kleiner geratenen X-ADVoranten kommt derlei natürlich entgegen.

Honda X-ADV 2021
Leistung: 43 kW/59 PS bei 6750 U/min
Hubraum: 745 ccm
Motor: Reihenzweizylinder, SOHC 8V
Getriebe: 6-Gang DCT (Doppelkupplung)
Sitzhöhe: 820 mm
Gewicht (vollgetankt): 236 kg
Verbrauch (WMTC): 3,6l/100 km
Preis: ab 12.990 Euro