Motor

Die Leiden des jungen McLaren GT

Franz J. Sauer

Sie sehen hier das biestige G’schau eines der wahrlich besten Sportwagen, die es derzeit für Geld zu kaufen gibt. Und mit denen man bequemlichkeitshalber auch ans Ende der Welt fahren könnte, wenn man sowas denn machen will. Aber: Trotzdem werden sich alle wieder einen Porsche 911 kaufen!

Text: Franz J. Sauer / Fotografie: Oliver Gast

Ich trage neuerdings Brillen, wenn ich abends im Wohnzimmerdrehsessel ramp, die Autorevue oder die 50. Ausgabe von Heinz Prüllers „Grand Prix Story“ lese und mich jedes Mal wie ein kleines Kind freue, wenn ich die Geschichten, die der gute Heinz da zum Besten gibt, bereits kenne, idealerweise sogar auswendig. Insofern müßte ich beim Grand Prix Story-Lesen eigentlich keine Brille tragen, ich habe die Formulierungen ja quasi vorm geistigen Auge. Aber bei den Magazinen, wo ja stets neue Geschichten drinnen stehen, da brauch ich neuerdings Augengläser. Keine schlimmen, keine dicken, nicht mal welche vom Optiker. Beim Augenarzt schaff ich es nach wie vor, mit Bravour den Lesetest zu faken (Sie wissen schon, den an der Tafel mit den kleiner werdenden Buchstaben). Ich hab mir eine beim Hofer an der Kassa gekauft, 1,5 Dioptrien, so lautete meine Einschätzung der eigenen Altersweitsichtigkeit. Nun tanzen die Buchstaben ein bissl vor mir rum, wenn ich müde bin beim Lesen. Aber immerhin krieg ich kein Kopfweh mehr und auch die Augen tränen nicht mehr die ganze Zeit, nicht vor Rührung, sondern weil sie sich so anstrengen müssen.

Auch hab ich einen leichten Bandscheibenvorfall, krieg die feiste Adipositas nicht mehr einfach so weg wie früher und freue mich über jedes grau Haar im Bart. Es gibt ein Alter, ab dem man zu seinem Alter stehen sollte. Im Gegenteil, es sogar gern tut, weil eine kleine Portion Würde einem ja irgendwann ganz gut zu Gesicht steht. Es ist demnach keine Schande mehr, Lamborghinis zu hassen, weil man einfach nicht hineinpasst, so sehr man sich auch bemüht. Man schätzt das Große, das Bequeme, nicht nur für die lange Reise, sondern auch für den schnellen Ritt. Und mit dieser Erkenntnis sind wir nun erstaunlicherweise ausgerechnet beim McLaren GT angekommen. Ich will aber auch gleich erklären, warum.

Es ist dies nämlich nicht nur eines der exklusivsten, sondern auch mit Abstand das bequemste Supersportauto von denen, die ich kenne. Und wer nun daraus auf irgendwelche Performance-Schwächen schließt, der kann sich das auch gleich wieder verkneifen. Wir arbeiten hier mit 620 PS und 630 Newtonmetern Drehmoment, gewonnen aus einem Vierliter-V8-Biturbo, der mit insgesamt 1530 Kilogramm Eigengewicht (also ohne Fahrer) ultimativ leichtes Spiel hat und derlei auch locker auf der Zunge trägt. 100 km/h werden aus dem Stand bereits nach 3,2 Sekunden erreicht, das weiß sogar Wikipedia. Und dass die Höchstgeschwindigkeit bei 326 Stundenkilometern liegen soll, nehmen wir dem Elan, mit welchem diese Fuhre nach dreieinhalb Sekunden Vollgas weitersteppt auf ihrem Weg Richtung Sonne, locker ab. Aber darum gehts hier gar nicht, eigentlich.

Verwixter Autowixer, depperter, werden Sie sich jetzt wahrscheinlich denken, als jemand, der eher selten in den Genuß kommt, einen Wagen wie den McLaren GT auszuprobieren. Da sitzt er auf einer derartigen Kanonenkugel, darf ins Gas happen wie ein Blöder irgendwo im Süden, während sie uns schon bei 47 km/h in der Dreißigerzone den Schein zupfen wollen, und kommt uns g‘schissen mit „Aber darum gehts hier nicht.“ Ich gebe Ihnen in allen Punkten recht, zumal ich ja auch selbst höchst selten in den obengenannten Genuß komme. Und trotzdem schwöre ich Ihnen bei meiner Titanstange im Gasfuß (Überbleibsel eines verregneten Motorradunfalles): Das Faszinierendste an diesem Auto ist die gefühlte Möglichkeit, nun irgendein wirklich fernes Ziel wie Spitzbergen oder Helsinki oder Sant‘Angelo auf Ischia ins Navi eintippen zu können und mit diesem Auto einen, zwei Tage gemütlich dahinzucruisen bis man ankommt, wo man hingehört. Sich einzig erholend bei Tankstopps, die man freiwillig auf die Dauer einer Stromauto-Aufladung ausdehnt, wenn es guten Epresso gibt vor Ort. Fast verlangt es einen danach, den Kofferraum da hinten auszumessen, ob die angegebenen 450 Liter Laderaum auch wirklich vorhanden sind. Ja, da hinten. Es gibt nämlich zwei Lagerräume in diesem Gran Turismo, einen vorne, klein aber kastelig, und einen hinten auf dem Motor, flach aber lang. Ins vordere Abteil kommt der Koffer, einst genannt BUK (Beischlafutensilienkoffer), den man für ein spontanes, verlängertes Wochenende sowieso immer dabei haben sollte. Also landen die Extras im McLaren GT hinten oben, wo sie naturgemäß schön warm gehalten werden, im Fahrbetriebe. Man könnte versucht sein, sich vom Achtzylinder seine Hemden bügeln zu lassen.

Das heißt, falls der Murl da hinten überhaupt warm wird. Ein Motor wie dieser findet sich mit unseren Ansprüchen niemals überfordert und diejenigen Piloten, die ihn gerne herreißen, als gäbe es kein Morgen, auf irgendwelchen Rennstrecken, die reicht der GT mit freundlichen Grüßen an die Verwandtschaft weiter. Den 720 S Spider etwa, mit seinem kurzen Radstand. Oder den Speedtail mit seinem avantgardistischen Gehabe. Oder gar den Artura, das oberböse vom allerextremsten, obwohl, nein, den stellt man sich lieber ins Wohnzimmer zum Bewundern.
Beim GT geht es bloß ums Wissen, dass man könnte, wenn man müßte. Was nie vorkommt. Nicht zuletzt, weil es schweineviel Geld kostet, hier im Grenzgebiet zwischen der Schweiz und Frankreich, rund um Genf und Grenoble, wo die Radarkameras aus Gold oder gar Platin herumstehen haben, einfach weil die Dinger so viel Kohle hereinspielen, dass schnödes Alu oder Blech oder Stahl einfach zu schnöde für sie wäre. Wozu also einen McLaren GT aufzwirbeln wie der Prolo seinen GTI? Hat man derlei wirklich nötig, in unserem Alter?

Angesichts der fein gezeichneten, robust gebauten Armaturenlandschaft, mit ihrem intuitiven Drehrad, dem hemdsärmeligen Touch-Display mit der feinen Menü-Architektur und schließlich dem guttural zu befassenden Lenkrad mit den sehr wichtig tuenden Lenkhebeln dahinter: Angesichts all dessen würde man sich wünschen, dass die bei McLaren endlich einmal auch einen SUV bauen, für den echten Alltag. In jedem Lamborghini, Porsche, Mercedes, Aston Martin, ja sogar Ferrari: Irgendwo blitzt einem in jenen, wenn man sich lange genug mit ihrem Inneren vertraut macht, die Großserie entgegen. Nicht so bei McLaren; Hier ist alles echt, eigen, einzigartig. Schade irgendwie, dass nichtmal aus dem GT jemals ein Alltagsauto wird, so sehr man es sich auch wünschen mag.

Ich habe nämlich einen Freund, der derlei dereinst für mich empirisch ergründete. E. kaufte sich einst einen der ersten McLaren 12C in Wien. In Orange gehalten, mit ziemlich voller Ausstattung. Noch vor der Auslieferung bestellte er sich einen Satz Winterreifen dazu, woraufhin die beim Denzel meinten, er würde dies beim Driften schätzen. Aber E. wollte tatsächlich den McLaren das ganze Jahr hindurch fahren, was sie ihm erst richtig glaubten, als er bei der Auslieferung ein Parkpickerl für Wien 3 auf die Frontscheibe klebte. Bei aller Coolness die ein derartiger Move erfordert – der Orangene sah letztlich affig aus da zwischen den Schneehaufen von Jänner bis März, eingegatscht von den vorbeidonnernden Lieferwagen, angewürzt von den eigentlich verbotenen Salzstreuwagen, die letztlich doch beim ersten Stäubchen Schnee aus ihren Kasernen ausrücken und die Stadt einweichen, als sei sie von einem höchst verliebten Koch zubereitet worden. Irgendwann wähnte man den guten E. sogar womöglich der Pleite nahe. Eben weil er den McLaren im Alltag nutzen musste, und sich offenbar kein Alltagsauto leisten könne.

Inverser Luxus, könnte man dazu sagen, denn freilich ging es den Konten des E. und deren Füllständen niemals schlecht. Aber wenn er mit dem Ganzjahres-McLaren zum Ausdruck bringen wollte, das Beste wäre immer nur gerade gut genug, so ging dieser Schuß in der Rezeption nach hinten los. Daher braucht McLaren endlich einen SUV, die einzige Disziplin, in der Lamborghini die Nase vorn hat. Oder glaubt Ihr ernsthaft, all die Zahnärzte, Immobilienmakler, Wirtschaftstreuhänder und so weiter werden vom ehernen Brauch abkehren, sich um jeden Preis einen dicken, fetten Porsche 911 GT irgendwas zu kaufen, wenn Alter und Kontostand entsprechen, obwohl es um dasselbe, ja vielleicht sogar um ein bissl weniger Geld etwas echt Exotisches wie den McLaren GT zu kaufen gäbe? Weil: Was, wenn den dann an der Kreuzung keiner erkennt? Wozu hätte man denn dann die ganze Marie ausgegeben?

Um zum Beispiel ein Auto der gleichen Marke zu pilotieren wie die Herren Ricciardo und Norris letzten Sonntag in Monza, als sie den Grand Prix gewonnen haben. Mir persönlich würde das schon als Grund völlig ausreichen, um per McLaren beim Wirten meines Vertrauens vorzufahren.


McLaren GT
Hubraum: 3.994 ccm
Leistung: 620 PS
Drehmoment: 630 Nm
Beschleunigung: 0 – 100 km/h: 3,2 s
Beschleunigung: 0 – 200 km/h: 9,3 s
Spitze: 326 km/h
Gewicht: 1.530 kg
Preis: rund 250.000 Euro