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Gen Z – Ja ist ja, dann geht alles

Jakob Stantejsky

Du weißt jetzt, was „cringe“ bedeutet. Gut so. Aber wie schaut’s eigentlich mit Consent aus? Was ist ein ONS – und stehen wir drauf? Und ­lernen sich eigentlich echt alle jungen Menschen der Gen Z über Tinder kennen?

Text: Maximilian Barcelli und Jakob Stantejsky
Fotos: Tina Trumpp aus dem Buch „Shades of ­Sensuality“

Links, rechts, links, links, rechts. Matthias, braune Haare, leicht trainierter Body und mit 24 Jahren irgendwas zwischen Millennial und Generation Z, die Grenzen verschwimmen da nämlich, liegt am Strand, keine zehn Kilometer südlich von Rovinj. Es ist August, die dritte Corona-Welle liegt weit zurück, die vierte noch weit in der Zukunft. Ein Zwischenhoch quasi, endlich Time for Fun. Die Sonne lässt das Mittelmeer glitzern, Intensität Swarovski, und Wellen brechen über die Felsen. Eigentlich schön anzuschauen, Matthias starrt allerdings aufs Smartphone. Weil Emily, 22, dann irgendwie doch schöner anzuschauen ist. Zumindest für wenige Sekunden, die Entscheidung fällt schnell. Ganz klar: rechts.

Der Student aus Wien tut das, was im Schnitt 75 Millionen andere Menschen auf der Welt zumindest einmal pro Monat tun: er tindert. In der Geschichte der Datingapp kam es bis dato zu 55 Milliarden Matches (Stand: November 2021). Doch die meisten dieser Matches scheinen sich in der digitalen Welt zu verlaufen, das attestieren zumindest zahlreiche Studien. So soll sich die Hälfte aller Tinder-User nur ein einziges Mal mit einem Match verabreden. Und der Hauptgrund Nummer eins für die Verwendung der Datingapp ist simpler Zeitvertreib. Matthias hatte viel Zeit zu vertreiben, offensichtlich. Er hat in den letzten Jahren rund 2.000(!) Matches gesammelt. „Getroffen habe ich vielleicht sechs davon,“ so der 25-Jährige. Und Sex hatte er überhaupt nur mit einer. Trefferquote: 0,05 Prozent. Untervögelt ist er aber nicht, oder zumindest nicht so schlimm, wie du jetzt vielleicht glaubst. Er kommt schon zu Sex. Nur lernt er seine Partnerinnen über „klassische“ Wege kennen, allen voran über seinen Freundeskreis. Genauso wie Laurine, 23 Jahre alt. Sie ist single, hübsch und witzig, hätte bei Tinder wohl freie Wahl. Nur sucht sie aktuell keine feste Beziehung. Und wenn dir dann auch noch One-Night-Stands (kurz: ONS) nichts geben und du Sex, bei dem die Protagonisten eine emotionale Beziehung zueinander haben, viel besser findest, so wie das bei Laurine der Fall ist: Wozu dann noch tindern?

Junge Leute haben später Sex, und dann auch weniger!

Sex um des Sexes Willen – ohne Bindung und ohne Verpflichtung, einfach nur, um die massive Dopaminausschüttung zu genießen – scheint aus der Mode gekommen zu sein, nicht nur bei Laurine. Auch die Wissenschaft sagt relativ einstimmig: Junge Leute haben später Sex, und dann auch weniger. Paul ist das Gegenbeispiel. Er ist 20, wuchs im Speckgürtel Wiens auf, studiert, arbeitet nebenher, eben ein Durchschnittstyp. Allerdings mit untypischen Verhältnissen im Freundeskreis. Weil: Hier schläft jeder mit jedem. Paul mit Freundin A, Freundin A mit Freund B, Freund B mit Freundin C, Paul wieder mit Freundin C, und dann geht das so weiter, bis dem Alphabet die Buchstaben ausgehen. Wie das gut geht, so ganz ohne Eifersucht? „Wenn jeder mit jedem schnackselt, dann ist es doch eh so, als ob keiner mit keinem was hat.“ Mehrheitsfähig dürfte diese Meinung in der als prüde abgestempelten Generation Z nicht sein.

Eine massive Dissonanz, denn: Online ist die Hex’ los. Auf TikTok trendet der Hashtag „kinktok“, über sieben Milliarden Views verzeichnet dieser mittlerweile (Stand: November). Zu sehen: Etwa eine junge Frau, die Tipps gibt, wie man mit seinem „Sub“ richtig umgeht. Eine andere zeigt sich beim Gewichtheben im Fitnesscenter. Sie trägt Leggings und ihr Arsch ist das Pfirsich-Emoji in Reallife. Die Caption dazu: „I have a plug in right now.“ Dann wurden „bad bitches rich wegen OnlyFans“, wie Money Boy in seinem musikalischen Jahresrückblick 2020 rekapituliert. Und wer die großartige Netflix-Serie „Sex Education“ gesehen hat, der könnte überhaupt meinen, dass sich bei der Generation Z ausschließlich alles um Sex dreht, und zwar in den verschiedensten Varianten und den verschiedensten Kostümen, von Alien bis Mittelalter. Doch offline: tote Hose. Was auch mit dem neuen „Way of Life“ zu tun hat: Junge Leute trinken weniger und zocken mehr. Außerdem wohnen sie immer länger bei ihren Eltern, was für einen gepflegten ONS jetzt nicht gerade förderlich ist: „Zu deinen oder meinen Eltern?“ Und natürlich verbringt die Generation Z viel mehr Zeit in der digitalen Welt, wo du zwar mit Sex zugeballert wirst, aber eben mit dem von anderen. Erschöpft auch irgendwie die eigenen Ressourcen. Laurine glaubt, dass diese Dissonanz zwischen On- und Offline zusammenhängen könnte: „Wir haben immer Zugang zu Sex. Ich kann jeden Tag mit irgendeinem Porno masturbieren.“

Auch Maxime, 19 Jahre alt und eine Studienkollegin von Laurine, sagt, dass heutzutage alles sexualisiert ist, Serien, Social Media, einfach alles. Und zwischen Matthias’ Instagram-Feed und Pornhub lassen sich die Grenzen nur mit einer Lupe auseinander dividieren. Sex, immer und überall. Eine gnadenlose Übersättigung. Die zwar die Lust killt, aber auch ihre guten Seiten hat: So sind sich Laurine und Maxime einig, dass es „Nicht-Cis-Personen“ heutzutage einfacher haben, sich zu outen. Und Tatsache ist, dass offensichtlich weniger herumgevögelt wird, dafür ist es 80 Prozent der Generation Z egal, wer mit wem vögelt: Für sie ist Homosexualität moralisch nicht verwerflich. Bei der Generation X (ca. 1965 bis 1980) sehen das nur 68 Prozent so. Darauf kommen nicht nur Studien in Übersee: Griechenland, Serbien, eine statistisch signifikante Differenz gibt’s immer.

Nein heißt Nein, Ja heißt Ja!

Also: Akzeptiert wird alles, von A wie Analplug bis W wie Würgen (Z wie Zoophilie lassen wir by the way bewusst außen vor). Praktiziert hingegen weniger. Oder anders ausgedrückt: Nichts muss, aber alles darf. Mit einer Voraussetzung: 100-prozentiges, beidseitiges (oder auch mehrseitiges, je nach dem) Einverständnis. Der indiskutable „Consent“. Da hat sich in den letzten Jahren viel bewegt, Stichwort #metoo. „Nein heißt Nein“ gilt natürlich immer noch, ist aber zu wenig. Besser: „Ja heißt Ja“, also eine aktive Zusage, mindestens verbal. In Schweden und Dänemark ist das auch de jure der Fall: Dort gilt laut Gesetz alles, was keine klare Zustimmung hat, als Vergewaltigung. Ganz 21. Jahrhundert, gibt’s für die juristische Absicherung dazu freilich schon Apps, quasi: Grüner Pass. Gilt 24 Stunden lang für einmal Geschlechtsverkehr.

Und manche junge Menschen gehen sogar noch einen Schritt weiter. So wie Katharina und Erik. Die beiden Mittzwanziger sind seit einigen Monaten zusammen. Er fragt sie dennoch jedes Mal, ob’s okay für sie ist. Nicht nur vorm Vögeln. Sondern vor jedem Kuss. Klar, statistische Ausreißer. Genauso wie David und Sandra, deren „Ja ist Ja“ nicht zu Sex, sondern zur Ehe geführt hat. Keine 25 Jahre waren sie bei der Hochzeit. Einfach, weil sie wollten, wie die Beiden sagen. Auch Maxime wollte mit den beiden letzten Typen schlafen. Dass sie zuvor gefragt wurde, in einer Situation, in der vermeintlich eh alles schon klar war, findet sie trotzdem gut. Auf der härteren Seite des Spektrums gibt die 26jährige „JOY- club“-Userin QueerFem bei einer Studie über BDSM zu Protokoll: „Lass dir deine Lust von niemandem verbieten, weder von spießigen Normalos noch von wilden „Feministinnen“. Du darfst es geil finden, dich von einem Mann schlagen und benutzen zu lassen. Ein Konsens auf Augenhöhe lässt jede Form der Hierarchie zu, das ist Emanzipation!“(*)

Consent lässt aber nicht nur jede Form der Hierarchie zu, er macht den Sex erst so richtig gut. Kein Consent ist nämlich nicht gleich Vergewaltigung, kein Consent ist auch: Er hat Bock auf Sex, sie ist nicht in Stimmung, gepudert wird trotzdem. Aus Pflichtbewusstsein, weil halt Valentinstag ist oder so. „Sex ist einfach besser, wenn man keinen Druck dazu hat,“ sagt Stephanie, 26 Jahre und single. Auch das ist Consent. Genauso wie zu wissen, was das Gegenüber im Bett genießt und das zu berücksichtigen. Oder halt nicht, wenn man selbst nicht drauf steht. „Weil man sich für guten Sex auch selbst kennen muss“, ergänzt Laurine. Und Maxime fasst zusammen: „Aufeinander eingehen, keine Verkrampftheit, sich wohl fühlen.“ Was nach Stephanies Meinung am besten geht, „wenn du jemanden hast, der dich kennt und der auch sonst für dich da ist.“

Die Beziehung als Schlüsselfaktor? Zwar sehnen sich junge Menschen laut Laurine und der verheirateten Sandra wieder mehr nach Stabilität. Voraussetzung für guten Sex ist sie aber nicht. „Communication is key.“ Und damit die passt, muss man nicht fix zam sein. Aber eben: eine emotionale Bindung zu einander haben, so wie das Laurine schon eingangs erwähnt hat. Und selbst der passionierte Swiper Matthias sieht das so. Eigentlich hat er nur mit Mädels geschlafen, mit denen er keine allzu große emotionale Verbindung pflegte. Einmal war mehr dabei, keine Liebe, aber zumindest hat man sich schon länger gekannt und gemocht. Der beste Sex seines Lebens, resümiert er. „Wir waren beide einfach unverkrampft.“

Sex um des Sexes Willen, ohne Bindung und ohne Verpflichtung, einfach nur, um die massive Dopaminausschüttung zu genießen. Nur: Wenn die Dopaminausschüttung erst massiv ist, wenn wir emotional miteinander verbunden sind? Dann wird der One Night Stand zum unbefriedigenden Unterfangen. Das kannst du jetzt natürlich prüde finden. Und sagen, das früher nicht nur alles besser war, sondern auch geiler. Tatsache aber ist: Wir haben vielleicht später und weniger Sex, finden ONS sinnlos. Aber: Wir sind mit unserem Sex-Leben overall trotzdem zufrieden. Auch das haben Befragungen ergeben. Eine Umgewichtung der Prioritäten. Weg von der Quantität, hin zur Qualität. Weniger ist manchmal wirklich mehr. Das gilt bei Online-Konversationen übrigens auch für Emojis und Satzzeichen. Nur so als abschließender Off-­Topic-Tipp.


(*) https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20211028_OTS0047/bdsm-studie-du-schatz-wir-muessen-reden-foto