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KRIEMHILDS TÖCHTER

Christian Jandrisits

Die tiefbraunen Bräute rund um die VAPO (,,Volkstreue Außer-parlamentarische Opposition“) 1987. 42 Jahre nach des Führer’s Tod hegen sie nach wie vor den germanischen Kult. (1935 startete ,,Reichsheini“ Himmler ein Unternehmen (Hexenkarthothek) zur Erforschung der Hexenverfolgung (Verfolgung der germanischen Weißfrau), welches die Schuld der katholischen Kirchen und ,,dem Juden“ aufzeigen sollte. Reichsheini’s Endziel war ja eindeutig: „Was Deutschland in der Zukunft vor sich hat, ist entweder das großgermanische Imperium oder das Nichts. Ich habe den Glauben, wenn wir in dieser Schutzstaffel unsere Pflicht tun, dass dann der Führer dieses großgermanische Imperium, das großgermanische Reich schaffen wird, das größte Reich, das von dieser Menschheit errichtet wurde und das die Erde je gesehen hat.“ – na ja, is ja dann eher ,,das Nichts“ geworden) – 1987 war ich 18 und widmete mich dem Rock’n’Roll (eine U.S. amerikanische Musik), ich wollte Elvis werden, oder zumindest Eddie Cochran; Andere hatten anderes im Sinn, wie in der nachfolgenden Story von Manfred Sax (Text) & Erich Reismann (Fotos) zu lesen ist. Gute Unterhaltung, bzw. „Echt jetzt, Oida“- Unterhaltung mit KRIEMHILDS TÖCHTER. (Christian Jandrisits/WIENER/Lektorat)

Auch ihnen ist Österreich nur ein Gau: Hinter jedem fünften Austro-Nazi steht eine „deutsche“ Frau. Sie hütet Heim und Herd und ist ihrem Helden treu. Solidarisch. Denn auch die Nachgeburt der Nibelungen muß überleben

Treu sei die Frau. Und genügsam. UNDEUTSCHE Männer haben keine Chance.

Es gibt keine Katze mit freundlicher Neigung zu Mäusen.

So dachte Hitler damals in Sachen Rasse. So denkt Beatrix heute, vom Standpunkt der Katze aus. Sie hat nichts gegen Mäuse, solange sie zu Hause bleiben. In Jugoslawien, Türkei und Israel. Solange sie Deutschland fernbleiben.

KRIEMHILDS TÖCHTER/WIENER/SEPTEMBER 1987 – Eine Zeitreise in Schwarz & Weiß – Reismann & Sax


Beatrix ist Wienerin. Wien ist deutsch. Sie wuchs mit Eiernockerln und Erdäpfelgulasch auf. Die Eiernockerl kocht sie heute noch, jedes Jahr zu Hitlers Geburtstag, weil sie des Führers Leibgericht waren. Dazu lädt Beatrix ihre Kameraden von der ,,VAPO“ (,,Volkstreue Außer-parlamentarische Opposition“) zum Tisch eines stillen Hinterzimmers einer stillen Lokalität. Die Staatspolizei sollte keinen Wind davon bekommen, denn was dann folgt, gilt als „Wiederbetätigung“: Die Kameraden singen das Horst-Wessel-Lied und stoßen mit schwefeligem „Fachinger Mineralwasser“ auf Hitler an.


Eigentlich ist es nicht Wieder-, sondern Neubetätigung: die Kameraden sind zwischen 16 und 29 Jahre alt. Relativ gesehen sind sie die Bewegung des Jahres. Seit den Nationalratswahlen hat sich die Zahl der deklarierten Langenloiser Jungnationalen vervierfacht. Zuerst waren sie drei. Jetzt sind sie zwölf.
Sie sind seltsam drauf. Bei Begrüßungen fährt ihr rechter Arm reflexartig in die Höhe, mit drei zu einem „W“ verspannten Fingern. Für „Widerstand“. Bei Badewetter gehen sie in den Wald nahkämpfen. Ihr Schweiß riecht nach Bier. Wenn einer taumelt, sagen zwei andere: „Rumpeldipumpel, fort ist der Kumpel.“ Zum Heurigen gehen sie gekampelt und geschneuzt, wie es die Eltern gern sehen, aber in Uniformen, wie sie die Eltern ungern sehen.


Jeder fünfte der „VAPO“ ist eine durchaus aktive Frau. Sie kämpft zwar nicht nah, aber sie bekennt Farbe. Sie sagt, sie sei Sozialistin. Sie denkt deutschnational, auch wenn sie die Tomate „Paradeiser“ nennt. Sie fühlt sich unterdrückt, weil die Stapo häufig zu Besuch kommt. Trotzdem zieht sie den Kopf nicht ein, sondern schreibt auf ein Flugblatt: ,,Ausländer raus!“

Was hat sie? Ist sie krank?

Die gute Kameradin

Treu sei die Frau. Und genügsam. UNDEUTSCHE Männer haben keine Chance.

Monika ist satt. Die 25jährige Ottakringerin hat vor drei Wochen zum dritten Mal entbunden. Ihr Mann, ein Staplerfahrer, hat vor kurzem von seinem Boß 70 Schilling Stundenlohn verlangt. Dann kam ein „Tschusch“ dazu. Er bot sich für 50 Schilling an, ohne Lohnsteuerkarte, und bekam den Job. Vorfälle wie diese machen Monika Flugblätter schreiben. Sie fürchtet um ihren Lebensstandard. Natürlich könnte sie auch den Arbeitgeber verantwortlich machen. Aber fütternde Hände sind schlecht beißen. Ein Gastarbeiter schon eher.


Seit sie Kinder hat, ist sie von zu Hause aus aktiv. Sie sammelt Altglas und Altpapier. Verwendet wenig Chemikalien, um ihre Heimat zu schützen. Sie kauft kein israelisches Obst. Aus Solidarität mit den Palästinensern, sagt sie. Südafrikanische Äpfel aber sind okay.
Politiker sind verachtenswert, weil sie zwar Parlament und die UNO mit Atombunkern versehen, sich aber nicht ums Volk scheren.


Seit Tschernobyl ist Monikas Vertrauen in den technischen Fortschritt erloschen. Die Besinnung auf Wurzeln ist angesagt, in ihrem Fall die der germanischen Kultur. Hier spürt sie Unterdrückung: die Juden können ihre Kultur pflegen, die Kroaten auch und ebenso jede mögliche Minorität. Doch wenn Monika mal richtig „deutsch“ redet, dann klopft die Stapo an.
Unlängst sagte ihr ein zehnjähriger Muslim, sie werde in der Hölle braten. Weil sie geschminkt war. Jetzt fürchtet sie, bald einen Schleier tragen zu müssen. Andere hätten gelacht. Und mit dem Buben geredet. Monika wählte den Weg des engen Horizonts. Leben mit fremden Kulturen ist ihr Gefahr, nicht Chance.

MONIKA (25/Ottakring) will Stapos kennen, die mit Kindeswegnahme drohen … außerdem kauft sie kein israelisches Obst ….

Der Arier ist der „Prometheus der Menschheit“, jener, der die Menschen mit Feuer beseelte. Sagte Hitler. Sprüche wie diese sträuben Beatrixens Rückenhaare. Vor Begeisterung. Die germanische ist die älteste aller Kulturen folgert Beatrix. Die offizielle Geschichte verschweige überhaupt vieles Germanische. Und mit Beginn der Christianisierung hat „diese ganze Lügnerei“ angefangen, der die germanische Weißfrau als Hexe zum Opfer fiel. Erst vor kurzem habe Beatrix am Martinshörndl bei Mödling eine Strahlung verspürt, aus der eine Weißfrau sicher Energie hätte schöpfen können. Die will Beatrix wiederentdecken.
Sie ist die Frau des Wiener „VAPO“-Bosses Gottfried Küssel. Küssel ist ein nicht mal zweidimensionaler Mensch: er kennt kein rechts und kein links, nur ein rechts und unrechts. Er träumt von einer Demokratie, in der die Mehrheit sich für eine Diktatur entscheidet. Beatrix bezeichnet ihn als ihren Helden. Weil es ihn nicht kümmert, ob er morgen für drei Jahre ins „Häfen“ muß.

Beatrix macht an die Nibelungenfrau Brunhild denken, die zu ihren Freiern sagt: ,,Du kannst mich haben.“ – Nachsatz: ,,Wenn du mich besiegst.“


Bei offiziellen Auftritten der Gruppe trägt sie ein züchtiges Kostüm. Sieht sie bei Kampfübungen ihrer Burschen zu, ist sie auch in engen Jeans zu sehen und gibt zumindest der Fantasie Nahrung, daß auch Nationale gern von den Früchten der Lust naschen. Die Anwesenheit von Kameras verleitet sie zu Posen. Blitzenden Auges gesteht sie ihren Hang zum Exhibitionismus und beginnt im selben Atemzug von der wichtigen Tugend der Treue zu sprechen. Sie mag an die Nibelungenfrau Brunhild denken, die zu ihren Freiern sagte: „Du kannst mich haben.“ Nachsatz: ,,Wenn du mich besiegst.“
Sie steht den Dingen neuzeitlich gegenüber. Sie raucht sogar. Beatrix kann sich nicht vorstellen, mit einem Nichtdeutschen zusammen zu sein. Auf Gigolos diese abgeschleckten Rawuzer steht sie nicht. Ihr Mann muß zuverlässig sein und größer als sie. Sex ist für sie so unwesentlich, daß sie nicht mal Schwierigkeiten damit hat.

Das Original – WIENER DIE ZEITSCHRIFT SEPTEMBER 1987 ÖS: 35,-


Erotik in der deutschen Kultur beginnt bei Beatrix mit der Minne. Die Männer finden es blöd, aus Angst sich lächerlich zu machen, aber manchmal bekommt sie ein Gedicht zugesteckt:


„Wenn der Mond zieht über Deutschland, teilt der Landmann das Lager der Maid.“

Das ist Balsam auf die Wunde der Existenz.

Kameraden-Gruppen sind heute über ganz Österreich verstreut.

Die Wiener „ VAPOS“ verbringen manches Wochenende bei ihren Gesinnungsfreunden in Langenlois. Dort werden Besenstiele gekreuzt, die Zungen mit Bier gelöst und Heimatabende gefeiert, mit Hits aus den dreißiger Jahren.
Im Vergleich der beiden Gruppen wirken die Uniformen der Wiener abgetragen. Bierbäuche bedrohen die Nähte der Hemden. Die Langenloiser wirken frischer, frecher und jünger. Jörg Schimanek, Sohn eines ORF-Journalisten ist der Siegfried unter ihnen und daher der Boß. Er war mal Vorzugssoldat beim Bundesheer und ist auf „Landser“ gestylt. Deutscher geht es nicht.

Die germanische Weißfrau

SONJA (15) und BIRGIT (17) hatten Besuch vom Dorfgendarmen: „Die Nazis sind kein Umgang für euch.“


Schimanek denkt global und handelt lokal: Im Herbst will er für die „Ausländer Halt“-Liste bei den Gemeindewahlen kandidieren. Dabei gibt es dort nicht mal ein Chinarestaurant.
Seine 16- bis 20jährigen Rekruten „heil“en durch den Ort. Alte schütteln den Kopf. Ohne aufs Lächeln zu vergessen. Manch ein Junger antwortet mit einem patzigen „Shalom“. Und die zwei Mädchen seiner Gruppe werden „Hitlerweiber“ gerufen. „Alles Häkel“ sagt Schimanek. Der „Jörgl“ gilt als grader Michl Oder er ist ein blendender Schauspieler.

,,Ihr Mann muß zuverlässig und größer als sie sein. Sex ist für sie so unwesentlich, daß sie nicht mal Orgasmusschwierigkeiten hat.“


Die beiden Teenager, Sonja und Birgit, gehen als strenge Zwillinge. Sie tragen weiße Hemden mit schwarzen Krawatten. Ihre Wangen glühen im zarten Rosa der Unschuld, deren Süße leidet. Wenn Sonja vom „Tschuschenviertel im vierzehnten Hieb“ erzählt, wo sie arbeitet. Der „Häkel“ im Ort macht ihnen nichts, weil die Häkler auch Freunde sind, und die in den jüngsten Wochen betriebene Kriminalisierungsmühe der lokalen Jungen ÖVP sie noch nicht an- die Außenseite der Dorfgemeinschaft gerückt hat. Der Dorfgendarm war erst einmal daheim auf Besuch, mit einem sanften Hinweis: .,Das ist doch kein Umgang für euch.“ Sie blieben standhaft. .. Wenn wir für was steh’n, steh’n wir für was“, sagen sie. Was das genau ist, ist nicht ganz klar. Die Burschen sind eben alles klasse Haberer.

Die Eltern zeigen im wesentlichen noch Vertrauen, nur Sonja muß manchmal zu Hause bleiben. Damit die Nachbarn ihnen nichts nachsagen können.

Den Kameraden sind die Frauen wichtig. Schimanek sucht ideologisch gefestigte Mädchen, die andere Mädchen anwerben. Sonja und Birgit sind ihm Aufputz. Walkü­ren braucht er nicht, sagt er.
Für Monika ist die Rolle der Frau als Trägerin des Lebens zentral. Abtreibung ist Mord. Manchmal ist Mord notwendig.

Das weiche, warme Element

H.J. SCHIMANEK, Sohn des „Argumente“-Redakteurs H.J. Schimanek/Führer der Langenloiser VAPOs.


Beatrix weiß um ihre Funk­tion als Mutter der Kompanie, das warme, weiche Element. Männer können nicht immer nur hart sein. Männer wollen manchmal auch Sehnsüchte zugeben. Siech ausweinen. Sich an Beatrix‘ Brust betten und ihr ins Ohr flüstern, daß sie eine Frau wollen. Dann streichelt Beatrix verständnisvoll ihr Haar und sagt tröstend, daß sie leider auch nicht helfen kann. Weil sie eben mit Gottfried zusammen ist. Und Gottfried Küssel spricht von der Frau als Herrin über Haus und Kinder. Auch die Verwaltung der Finanzen überlasse er seiner Beatrix. Was die mit einem ironischen Lächeln quittiert. Alleinverdienende ist sie ohnehin.

GOTTFRIED KÜSSEL (mit Frau Beatrix), Führer der Wiener VAPOs. Er sucht „ideologisch gefestigte Mädchen„.

Beatrix geht mit einem Projekt schwanger: Sie will sich der Hege ger­manischer Kultur widmen. Mo­mentan wird lediglich die Son­nenwende gefeiert. Die Sonnen­wende ist zentral und tragisch. Um die Wende der Sonne wurde der Nibelungenheld Siegfried er­mordet. Zur Sonnenwende ging durch Kriemhilds Rache das Ge­schlecht der Nibelungen unter. In der Sagenfigur des Hagen von Tronje identifizieren die „VA­PO“ -Kameraden den einen wahren Deutschen. Hagen lebte die fundamentale Tugend der Va­sallentreue in Reinheit. Hagen hat den niederländischen Hel­den Siegfried ermordet. Ge­schah ihm recht, meint Beatrix. Siegfried war ein zugelaufener Haderlump.


Aber hat er den Burgundern nicht Kriege gewonnen? Schon, meint Küssel, aber er hat König Gunther beim Freien der Brunhilde geholfen. Das hätte er nicht dürfen. Ein wahrer Deutscher freit allein, koste es auch das Leben. Siegfried hat durch seine Geschwätzigkeit sei­ne Königin Brunhilde bloßge­stellt. Sein Tod war hochver­dient. Und dieses intrigante Lu­der Kriemhild, meint Beatrix, die immer nur im Glanze ihres Helden strahlte, sei eine Schmach für die deutsche Frau­enschaft. Die kongeniale Part­nerin von Hagens sei noch nicht gefunden. Deshalb will Beatrix eine Frauengruppe gründen. Nach Muster des BdM vielleicht. Aber die Lügen rund um die Ereignisse des Zweiten Weltkrieges machen jede Wei­terentwicklung so schwer, sagt sie.


Wenn es um die NS-Zeit geht, brennt bei Beatrix und Co. eine Sicherung durch. Die Lich­ter gehen aus und Adolf Hitler steigt als Held hervor. Vorerst werden noch Frauen gesucht. Dann könne man eventuell mit einem Strickkurs beginnen. Beatrix erwartet regen Zu­spruch: ,,Die zigtausend Frauen vom Heldenplatz 1938 können sich doch nicht in Luft aufgelöst haben.‘

Unterwegs durch die 80er – Erich Reismann (Fotograf) & Manfred Sax (Redakteur) WIENER SERIE: Eine Zeitreise in Schwarz & Weiß