KULTUR

Zum Todestag von Helmut Qualtinger: Der G’Waltinger

Helmut Qualtinger war eine Kultfigur. Er hätte sich gewünscht, mehr gehasst und gefürchtet zu sein. Doch das Publikum wollte nicht hören, was er sagte, sondern nur, wie er es sagte. Man klopfte ihm auf die Schulter und umarmte ihn. Qualtinger erkannte: „Die Wiener lachen halt gern. Mein Erfolg ist ein einziges Missverständnis.“

Text: Georg Biron Fotos: Erich Reismann

Hass und Gewalt, das sind Zwillinge. Helmut Qualtinger lernte sie früh kennen, da war er noch nicht einmal sechs Jahre alt. Es war gegen zwei Uhr in der Früh, als fremde Männer lautstark die Türe der Wohnung im dritten Bezirk eintraten, seinen Vater aus dem Bett zerrten und ihn verprügelten. Eine Abteilung der austrofaschistischen Heimwehr hatte die Wohnung gestürmt, um dem illegalen Nazi eine Lehre zu erteilen.

Helmut Qualtinger © Erich Reismann

Wenig später war Helmut selbst das Ziel einer Attacke: „Edi hat er geheißen. Eines Tages sitz‘ ich im Schulhof, und auf einmal krieg‘ ich eine fürchterliche Watsch’n, und ich weiß bis heute nicht, warum er das getan hat.“

Hass und Bewunderung

Zum Geburtstag bekam Helmut von seinem Vater ein kleines Puppentheater. Im Realgymnasium Hagenmüllergasse verblüffte er sowohl Lehrer als auch Mitschüler mit der Perfektion seiner Darbietungen. Er konnte die Stimme verstellen und gab jeder Puppe einen eigenen Tonfall, ohne dabei jemals die Rollen durcheinanderzubringen. Nach dem Unterricht aber lauerten ihm einige eifersüchtige Schüler auf. Der Schulkollege Nikolaus Siebenaller erinnerte sich: „Damals haben einige aus der Klass‘ zu ihm g’sagt: ‚Du, Qualtinger, loss des daham, sonst passiert wos!‘ Er hat sich aber ned dran g’halten. Und die hab’n dann wirklich des Kasperltheater auf an Hydranten zertrümmert und ihm auch
d‘ Hand ‚brochen, a bissl.“

Dennoch: Helmut Qualtinger blieb sich selbst treu. Er konnte nicht anders.

So wanderte er im Frühsommer 1945 durch das zerbombte Wien und trug einen großen, selbst gebastelten Sowjetstern auf der Brust. Er nahm Schauspieler unter Vertrag und behauptete, dass er im Auftrag Moskaus eine neue Bühne gründen solle. Qualtingers Jugendfreund, der Regisseur Michael Kehlmann, Vater des Schriftstellers Daniel Kehlmann, berichtete, dass Helmut eines Abends im Volkstheater erschien, sich mit lautem, improvisiert russischem Kauderwelsch als sowjetischer Theaterkommissar ausgab und das Haus kurzerhand zusperren ließ.

Wenig später verhaftete die sowjetische Militärpolizei den noch nicht einmal 17-Jährigen wie einen Kriegsverbrecher. Drei Monate lang saß er in einer Zelle in der Rossauer Kaserne. Als es seiner Mutter gelang, den Sohn wieder freizubekommen, wog er bloß noch 48 Kilo. Und er beschloss, als Schriftsteller und Schauspieler „wie ein Partisan“ in Erscheinung zu treten.

Im Frühjahr 1949 hatte sein Erstlingsstück „Jugend vor den Schranken“ Weltpremiere – in Graz. Es war ein Skandal. Das Publikum forderte die sofortige Hinrichtung von Autor und Darstellern. Polizisten mussten Qualtinger vor dem Mob beschützen. In den Salzburger Nachrichten konnte man später lesen: „Ein unbekannter Autor verfügte plötzlich über einen Namen, von dem in Zukunft weiteres Unheil zu befürchten stand. Nichts konnte man in der Nachkriegszeit weniger brauchen als einen, der es darauf anlegte, eine Wertediskussion in Gang zu bringen und die Gesellschaft kritisch zu durchleuchten. Nicht ein Star war geboren, aber ein Störenfried.“

Helmut Qualtinger © Erich Reismann

Das Genie und die Frauen

„Viele Frauen haben Qualtinger bewundert“, wusste Hannes Hoffman, der Wirt des Wiener Delikatessengeschäfts English House L. Gutruf & Co., das Qualtingers Stammlokal war. „Er war ja unheimlich gefüllt … mit Wissen. Dieser Körper … angefüllt wie ein Lexikon.“

Die Schauspielerin Erni Mangold war oft im Gutruf: „Als ich Helmut kennenlernte, war er ein schlanker junger Mann mit sehr großen Augen. Diese Augen waren weich. Wie ein Reh hat er ausgeschaut.“ Und auch Bühnenkollegin Louise Martini war von Anfang an von ihm sehr fasziniert: „Er war so vielseitig begabt, dass er am Anfang gar nicht gewusst hat, wohin mit seinen Talenten. Eine dynamische Kugel war er, ein Hirn, das nie zum Stillstand gekommen ist, 24 Stunden am Tag reichten ihm nicht aus.“

Mit Frauen Kontakte zu knüpfen fiel ihm schwer. Es war peinlich und es gelang ihm nur selten, den ersten Schritt zu tun. Er empfand sich als zu wenig attraktiv, obwohl er damals noch nicht dick war. Das wurde er erst später, nachdem er sich irgendwann eingebildet hatte, als Dicker würde er Erfolg im Leben haben. Und so war es dann auch.

Im Juli 1952 heiratete Helmut die um zehn Jahre ältere Journalistin Leomare Seidler: „Ich wurde die Steigbügelhalterin eines Genies. Er war ein Feuerwerk aus Blitz und Witz und Geist. Eine Erotik des Kopfes, der die schönsten Frauen verfielen. Geheuchelt hat er nie. Zugeschlagen auch nicht.
Nur vielleicht ein bisschen gewürgt. Manchmal.“

Qualtinger by Reismann

Auf der Bühne konnte er schön und elegant sein, und Leomares Freundinnen staunten über das Prickeln in den Liebesszenen. Privat musste die Ehefrau darum kämpfen, dass er nicht im Anzug schlafen ging.

Dann kam die junge, wunderschöne Schauspielerin Vera Borek. Es war Liebe auf den ersten Blick, eine „Blitzliebe“.

Kaum war er von Leomare geschieden, heiratete er aber nicht die Borek – sondern ging fremd. Er begann eine Affäre mit einer rothaarigen Kostümbildnerin und übersiedelte aus dem Heiligenkreuzerhof hinüber in den zweiten Bezirk, wo die neue Liebe im vierten Stock ohne Lift wohnte und mit vielen Fotos eine Art Qualtinger-Altar errichtet hatte, was dem damals 54-Jährigen ebenso schmeichelte wie die Tatsache, dass sie alles tat, um ihm jeden Wunsch von den Augen abzulesen.

Vera aber „wollte Qualtinger zurückgewinnen“, wie der Kurier berichtete. „Es kam zu einer Aussprache, dann flogen die Fetzen. Schallplatten gingen zu Bruch und Polster segelten durch den Raum.“ Im November 1982 konnte Roman „Adabei“ Schliesser in der Krone von der Hochzeit berichten: „Als Trauzeugen fungierten: Eva Deissen, unsere pointierte Krone-Feministin, für die Braut, und Professor
Dr. Herbert Steiner, Chef des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstands, für Qualtinger.“

„Der Herr Karl“

Zum „populärsten Österreicher des Jahres 1961“ wählte man nicht Bruno Kreisky oder Herbert von Karajan, sondern Helmut Qualtinger. Und das kam so: Am 15. November 1961 erschien Qualtinger – mit Hut und Hitlerbärtchen, Krawatte und Arbeitsmantel – auf den österreichischen Fernsehschirmen, um als „Herr Karl“ eine Lebensgeschichte zu erzählen.

Der Monolog wurde im Fernsehen beklemmend echt dargeboten, von der Kritik vielfach bejubelt, von Publikum und Politik mit teilweise geifernden Protesten kommentiert, wenig später im Konzerthaustheater und in den Kammerspielen fast täglich vor ausverkauftem Haus wiederholt; als Schallplatte war er ein Schlager des Weihnachtsgeschäfts 1961.

Die Behaglichkeit im Blick und die List und die Schlauheit und die falsche Sentimentalität und die Selbstzufriedenheit in jeder Geste, jeder Bewegung, jedem Tonfall … Charakterlosigkeit und Käuflichkeit und Bosheit und alle niederen Instinkte, wenn’s leicht geht.

Paul Blaha, Express 1961

„Zu Qualtinger als ‚Herr Karl‘ gibt es keine Steigerung“, schrieb Kulturkritiker Paul Blaha im Express. „Das ist das Spiegelbild einer Volksseele. Weibergeschichten, Dulijöh und Witwentrösten. Arbeitslosigkeit und Schutzbund, Arbeitslosigkeit und Heimwehr, Arbeitslosigkeit und ‚Heim ins Reich‘. Dann Trinkgeldempfänger bei den Siegern. Die Behaglichkeit im Blick und die List und die Schlauheit und die falsche Sentimentalität und die Selbstzufriedenheit in jeder Geste, jeder Bewegung, jedem Tonfall … Charakterlosigkeit und Käuflichkeit und Bosheit und alle niederen Instinkte, wenn’s leicht geht.“

Im Parlament gab es dringende Anfragen und es wurden gehässige Stimmen laut, die Qualtinger sowie Erich Neuberg, den Regisseur, und Gerhard Freund, den Direktor des Österreichischen Fernsehens, auf der Stelle nach Sibirien schicken wollten. Die Leserbriefspalten waren gefüllt mit Reaktionen: „Unter meinen Bekannten findet sich kein Zuhälter, kein Strizzi und auch kein charakterloser Opportunist, der von den Sozis über die Heimwehr und Nazis bis zu den Russen und Amis überall dabei war …“

Qualtinger spielte den Monolog auch auf den Bühnen vieler deutscher Städte. Und 1963 reiste er auf Einladung österreichischer Emigranten sogar nach New York, um als Herr Karl acht Mal am Broadway im ausverkauften Barbizon Plaza Theater aufzutreten.

„Der Herr Karl“ war Qualtingers größter Erfolg und zugleich seine größte Nieder-  lage: Denn alles, was er in den darauffolgenden 25 Jahren schrieb oder auf die Bühne brachte, wurde am „Herrn Karl“ gemessen und schnitt sowohl bei den Kritikern als auch beim Publikum im Vergleich dazu meistens schlechter ab.

„Den Herrn Karl“, sagte Qualtinger wenige Monate vor seinem Tod, „den könnt‘ ich heute noch spielen. Immer nur den Herrn Karl, sonst nix.“

Helmut Qualtinger © Erich Reismann

Auch für Regisseur Erich Neuberg und Co-Autor Carl Merz war der Erfolg schlussendlich kein Segen, sondern eher ein Fluch. Neuberg beging am 10. Januar 1967 auf dem Dachboden des Theaters Ronacher Selbstmord. Merz erschoss sich am 30. Oktober 1979 in seiner Wohnung in der Wiener Führichgasse. Und Helmut Qualtinger hat sich langsam, aber sicher zu Tode gesoffen und starb am 29. September 1986.