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SÜNDIGES FLEISCH – Ein Plädoyer für den Veganismus

Sind Sie ein Fleischverzehrer? Dann sind Sie dem Patriarchat aufgesessen. Der Feminist und Erfolgsautor Volker Elis Pilgrim hält ein Plädoyer für den Veganismus und hat neue Gedanken entwickelt, die vielleicht auch Ihnen den Abschied vom Fleisch leichtmachen. Wer will schon ewig ein verstopfter Todesser sein und stinkende braunschwarze Scheiße produzieren?

Mein Abschied vom Braten, vom Schnitzel und von der Leberwurst begann unheroisch. Es war an mein Ohr gedrungen, daß in dem Stück Fleisch, das ich in die Pfanne haute, allerlei unheimliche Stoffe beherbergt seien. Dieses Zeug wollte ich nicht mehr in meinen Körper las-sen. Ich wollte keine Antibiotika schlucken, keine Tranquilizer, keine Geschmacksverstärker, keine Dickungsmittel, keine Emulsionsförderer, Schnittfestmacher. Auch mochte ich kein Tier mehr essen, das nicht richtig gelebt hatte. Eine Kuh, ein Schwein in lebenslänglicher Haft in einem Betonstall, ein Huhn ohne Federn auf einem Rost mit einem Platz, der kleiner ist als sein Bauch – solch eine Lebensminderung durfte nicht mehr in meinem Körper gelangen. Ich kann nicht Veränderungen mit mir betreiben, Frieden zum Nachbarn üben, Aufgabe der Unterdrückung der Frau, Beendigung der Feindschaft unter Männern und Befreiung des Kindes proklamieren – und in mein Inneres Endprodukte von Unerträglichkeiten gegen das Lebendige hereinholen.

Ich will keine Liebe kaputtmachen

Volker Elis Pilgrim

Eine Zeitlang aß ich nur noch Wild. Fleisch von Tieren also, die nicht zum Sterben gezüchtet und mit fremden Stoffen aufgepumpt werden. Die wilden Tiere, sagte ich mir, haben gelebt und sind abrupt zu Tode gekommen. Daß ich auch davon abließ, verdanke ich einer einschneidenden Erfahrung. Ich litt an der Trennung von meinem Freund so ausdauernd, bis ich in eine allgemeine Lebensunlust abfiel und auf mein Ende zusteuern wollte. Millionen von Menschen kriechen als Zwangsgehalftete herum, schaffen es weder, neue Verbindungen einzugehen, noch sich zu runden, daß sie diese Hälften-Ehen nicht mehr zu schließen brauchen.

Volker Elis Pilgrim 1978 (© Steirischer Herbst Archiv)

Ich las bei Konrad Lorenz etwas über Zweierbeziehungen bei Vögeln und Säugetieren, las über die Bindungsfähigkeit und Beziehungslust von Gänsen und Fasanen, von der Katastrophe, die es für ein Tier bedeutet, wenn ihm sein Nächstes entrissen wird. Da schmeckte mir der Fasan nicht mehr. Wir schlachten mitten in den Du-Bezug der Tiere hinein, und es kümmert uns nicht, daß das zurückgelassene Tier dahinsiecht. Daß es wie für Menschen auch für die Tiere Liebste und Nächste gibt, interessiert uns nicht.

Es mag verwundern, daß mein Einstieg in die Schonung des Tieres nicht über die Tötung verläuft, sondern über den Verlust des Getöteten, nicht über das geschlachtete, sondern über das zurückgebliebene Wesen. Nun kamen nur noch zwei kleine Schritte auf dem Weg, für meine Ernährung kein getötetes Tier mehr zu benutzen. Ich fragte mich: „Willst du töten?“ Das zurechtgemachte Kotelett kaufe ich wie eine Tageszeitung, es liegt im Regal, es ist ein abgezirkeltes Ding wie eine Schachtel, ein Teller, ein Hosenknopf. Ist es aber nicht. Gestern noch gehörte es zu einem atmenden, fühlenden, pulsierenden Ganzen. „Will ich das töten, um so an mein Kotelett zu kommen?“ Nein, will ich nicht. Daß ich nicht selber schlachten will, hat nichts mit Arbeitsteilung zu tun. Ich will diese Tätigkeit auch niemandem delegieren. Ich will nicht mit dem Kauf des Endproduktes Leberwurst eine Kette von Vorgängen unterstützen, deren Anfang ich ablehnen muß.

ICH WILL GEFÜHLSGENAU UND HELLSICHTIG SEIN

Nach der Trennung vom Wild aß ich geraume Zeit noch Fisch. Er wird nicht geschlachtet, sondern geangelt, bekommt einen kurzen Schlag auf den Kopf und aus. Der Fisch war mir für die Identifikation zu weit weg. Ich lebe nicht im Wasser. Aber ist da nicht ein Zusammenhang alles Lebendigen? Das massenhafte Vernichten von Individuen und Arten der Tiere durch den Menschen bedroht die Balance der Natur. Ich war nun bereit, auch den Fisch in meine Gedanken von Lebenszusammenhang und Schutzgemeinschaft zwischen Mensch und Tier einzubeziehen. Den Einklang wieder herzustellen zwischen dem Menschen und dem Seienden ist das zentrale Gebot bei der Überwindung des Patriarchats.

Den Einklang wieder herzustellen zwischen dem Menschen und dem Seienden ist das zentrale Gebot bei der Überwindung des Patriarchats.

„Fall nicht vom Fleisch!“ sagen die Menschen zueinander, wenn sie einander zum ordentlichen Essen aufmuntern. Nach meinem Abschied vom Fleisch aller Tiere hatte ich nicht den Eindruck, ich sei gefallen. Ich fühlte mich erhoben. Fleisch macht dumpf. Nach der Verweigerung seiner Einnahme wurde ich gefühlsgenau und hellsichtig.

Was mit mir und mit anderen Menschen, was zwischen ihnen untereinander und zwischen ihnen und mir vor sich geht, bemerke ich überdeutlich. Anfangs war das nicht leicht zu ertragen. Wer hat schon gelernt, auf Gefühle hin zu handeln? Hellsichtig bin ich nicht im Sinne des Zukunftvoraussagens, das den Menschen ihr Morgen aufstempelt. Ich entwickelte meinen Sinn für mir entgegenkommende Gefahren oder für Trübungen meines Wohlbefindens, auf die ich mit Hilfe der sogenannten „inneren Stimme“ besser reagieren konnte. Genau fühlen im Jetzt und Vorwegfühlen des Später sind Fähigkeiten zum Schutz des Lebens. 

Der Mensch ist ein kultureller Fleischesser, kein natürlicher, Er ist für den Verzehr von Pflanzen gebaut. Er hat keine Reißzähne, sein Magen produziert nicht genügend Säure, er verdaut achtmal so langsam wie ein Raubtier. Der Mensch ist ein Salontiger. Das kommt ihn teuer zu stehen. Sein Cholesterinspiegel gerät in Unordnung, Sehnen werden schlapp, Rheuma zieht in den Rücken, Arthrose beschleicht die Knie, die Bandscheiben schmerzen, und in Galle, Niere und Blase scheppert es vor selbstfabriziertem Gestein. Und da die Fäulnisbakterien, gebildet nach der Veraasung des genossenen Fleisches, nicht schnell genug wieder ausgeschieden werden, stinkt der menschliche Kot ganz erbarmungswürdig. Kaum hatte ich mich von Fleisch verabschiedet, verließ mich die Scheiße wieder golden wie zu goldenen Zeiten. Mit Fleisch im Bauch wird sie braun-schwarz. Ich hatte früher nicht verstehen können, warum Sigmund Freud behauptete, daß die Menschen ursprünglich Gold mit Scheiße gleichgesetzt hätten. Nun glaubte ich es ihm.

ICH WILL EROTISCH, STARK UND POTENT BLEIBEN

Ich verabschiedete mich Ende Dreißig vom Aas. Und der Lohn nach dem Verzicht auf das Fleisch: Schmerzen weg, Süchte weg, Entzündungen weg, beschwerendes Fett weg, Müdigkeit weg, Verstopfung weg … Stattdessen erhebende Gefühle.

Auch die einzige kleine Angst, die ich hatte, verflüchtigte sich schnell. Männer meinen, Fleisch in ihrem Körper wirble ihren Trieb auf. Blut lasse Blut wallen. Fleischessen mache den Mann potent, heißt es, und Vegetarier seien bläßliche, blutleere Impotenzler. Ich spürte in meinem Erregungshaushalt jedoch keine Veränderung. Das Verlangen sackte nicht weg. Mir war eher, als ob es sich steigerte. Das mag daran gelegen haben, dass mich die Suche nach alternativen Ernährungsweisen an allerlei Tinkturen, Säfte, Wurzeln und Öle herangeführt hatte. Vielleicht bewirkten es auch nur der Salatkopf und die rohen Möhren.

Die Tiere, die in den Augen des Mannes den höchsten Gehalt von Brunst beherbergen, der Stier und der Hengst, fressen Gras und Heu. Und erst der Rammler!

Eine einzige Veränderung habe ich bemerkt, von der ich nicht sagen kann, daß sie unmittelbar positiv für mich wäre. Mir sinkt manchmal die Energie ab. Aber es handelt sich weniger um einen körperlichen als um einen sozialen Vorgang. Ich verliere die Energie nicht durch mich selbst, so als ob ich früher am Tage oder schneller während anstrengender Arbeiten verbraucht sei, leichter müde würde. Vielmehr verliere ich die Energie an andere Menschen, die sie zu verzehren scheinen. Unglückliche, kranke, über sich selbst im unklaren befindliche, seelisch hilflose, neben sich herlebende, undurchdrungene, abgelehnte, unterdrückte, sich hassende Menschen zapfen meine Energie an. Nach dem Ausschluß des Fleisches bin ich pflanzlicher geworden, das heißt, ich bin nicht mehr „verstopft“, nicht mehr verschlossen. Ich bin Menschen gegenüber unabgegrenzt, ich schotte nicht mehr ab. Mit den diversen Kadavermedaillons im Bauch sind wir Gitarren voll Sand, denen kein Klang mehr zu entlocken ist.

Mit den diversen Kadavermedaillons im Bauch sind wir Gitarren voll Sand, denen kein Klang mehr zu entlocken ist.

Die Nachkriegszeit war entbehrungsreich, dennoch berichten die Menschen von ihr enthusiastisch. Fleisch gab es so gut wie keins. Sich zu ernähren war ein Abenteuer mit Pflanzen. Der Kuchen aus Kartoffelschalen wurde längst zur Sage, auch das merkwürdige Wohlgefühl, das die Menschen aneinanderband, Sie waren belebt und bewegt, offen für sich selbst, offen für das Leben um sich, offen für die Zukunft, Aber diese Begabungen machen die Menschen unbeherrschbar. Sollte das Patriarchat das Fleischfressen nicht erfunden haben, so hat es an seiner Aufrechterhaltung demnach ein wahrhaft essentielles Interesse. Das ist glimpflich formuliert. Die Nahrungskanäle in die Münder der Menschen hinein sind mit Fleisch vollgestopft, daß von einem Zwang zum Fleischessen gesprochen werden muß.

ICH WILL KEIN TODESSER SEIN

Es ist nicht nur äußerst mühsam, die Rinnsale fleischloser Ernährung zu finden, es ist oft genug unmöglich, Zugang zu ihnen zu erhalten. Im Restaurant ist alles Nichtfleisch zur „Beilage“ verkommen. In kleinen Ortschaften gibt es auch keine alternativen Läden, die an die allmählich wiedergewonnenen Bahnen der fleischlosen Ernährung angeschlossen sind

Der industriell lancierten Fleischschwemme entspricht die Haltung des einzelnen Menschen. Jemanden zu besuchen und ihm zu sagen, „ich esse kein Fleisch“, kommt einem ausgelösten Skandal nahe. „Nun habe ich mir solche Mühe gemacht!“ klagt die Hausfrau und stellt mit schmollendem Augenaufschlag ihre dampfende, rosabraungrauschwarze Verwesung vor mir auf den Tisch. Früher, als ich noch Fisch aß, kam jedesmal ein Seufzer der Erleichterung, wenn ich die Frage: „Aber Fisch ißt du doch?!“ bejahte. Also gut, irgend etwas tötet auch der, Gott sei Dank!

Also gut, irgend etwas tötet auch der, Gott sei Dank!

Ich war verblüfft, daß auch nächste Freunde, mit denen mich Einigkeit in fast allen Fragen der gesellschaftlichen Probleme verbindet, sich gereizt fühlten und und ein Bündel von Vorurteilen und Pauschalen auf mich niederfahren ließen. Meist wurde nicht einmal ein Ansatz von Wille gezeigt, sich den Fragten der Tiertötung und des Fleischverzehrs zu widmen. Nicht annähend soviel Abwehr und Gespött haben mir Menschen entgegengebracht, wenn zur Sprache kam, daß ich Männer begehre, als wenn ich meinen Widerstand gegen die Fleischkost laut werden ließ. Das traf mitten in die eigene Existenz hinein. Begann ich von dem Vorgang des Schlachtens zu berichten, kamen Empörung und Widerwille auf: „Erzähl‘ mir das nicht, dann kann ich nie mehr in Ruhe meine Salami essen!“ Das ist es: Fleischverzehr baut auf Verdrängung auf, ist Verdrängung. Menschen probieren zur Zeit an allen Enden Befreiung von einer Unzahl von Zwängen, dröseln ihre Seelen auf, kämpfen gegen die Umweltzerstörung. Viel ist von Gefühlen die Rede, von Gefühlen zwischen Frauen und Männern, zwischen Müttern und Kindern. Am Verhalten wird gebastelt, und zärtlich wollen wir sein. Zärtlich mit dieser Toddurchschleusung mitten durch uns hindurch? Gefühle bedingen nicht nur ein verändertes Verhalten, sie brauchen auch eine Konsistenz des Fühlenden, einen veränderten Zustand des Körpers. Mit Aas zugestopfte Körper schwingen nicht, fühlen nicht. Wie kann mein Leib klingen, wie kann ich Teil eines harmonischen, aufeinander abgestimmtes Ganzen sein, wenn ich ein Todfresser bin!

ICH WILL KEINE ANGST IN MICH HINEINFRESSEN

Fleischvertilger leben vom täglichen Sterben ihrer Nächstverwandten. Es muß genauer heißen, vom nächtlichen Sterben. Geschlachtet wird nachts. Es besteht eben doch ein schlechtes Gewissen, so beispiellos fließ-bandrollend zu morden. Die Schreie, das Ächzen und Stöhnen der todgeweihten Mitlebenden zu hören, wurde den Zusammenhang zwischen deren Angst und Not und dem vertilgten Rinderschmorbraten wiederherstellen. Mit jedem faschierten Laibchen fressen wir Angst in uns hinein, ausweglose, depressive Todesangst. Um jede Wurst weht ein Hauch von Niedergeschlagenheit. Die zum Schlachten bestimmten Tiere werden tagelang in den Tod geschickt. Sie ahnen ihn nicht nur, sie sehen, hören, riechen ihn auf sich zukommen. Ich wohnte für die Dauer eines Jahres an einer Schlachthofzufahrtstraße. Gegen drei Uhr morgens bebte das Haus, erschüttert von einem Laster nach dem anderen. Mächtige zugeschlossene Kasten mit kleinen Luken an den oberen Ecken, aus denen wehklagende Tierrufe quellen.

Wir bilden uns ein, was der Mensch dem Menschen antut, sei das Schlimmste. Nein, Tiertötung und Tierquälerei sind schlimmer als Menschentötung und Menschenquälerei. Was der Mensch dem Menschen antut, ist seine Sache. Den vielfachen Schrecken muss er sich selbst zuschreiben, so lange er eine so blutige Gesellschaftsordnung wie das Patriarchat aufrecht erhält. Wer sich darin einrichtet, muß wissen, daß er morgen selbst Opfer sein kann. Menschen können sich gegen Menschenzumutungen immer irgendwie und irgendwann wehren. Das Tier kann gegen die Verfolgung durch den Menschen nichts tun. Hunderte von Arten sind schon ausgestorben, und das Leben der Zuchttiere ist kein Leben, sondern ein Dahinvegetieren. Sie werden nicht zum Leben gezüchtet, sondern zum Sterben gelagert.

Es gibt die Vierstufenleiter des Todes: Am ungefährlichsten für den gesamten Lebenszusammenhang ist das Umbringen von Menschen. Das Aussterben von Tieren stört das natürliche Gleichgewicht. Das Verschwinden von Pflanzen bedroht es. Die Beeinträchtigung der Elemente vernichtet es. Die bisherige Humanität beschäftigt sich nu mit dem Schutz ders Menschen vor dem Menschen. Das Tier bleibt ausgenommen. Es wird vom Menschen nicht geschützt, von kleinen Hege-Rührseligkeiten abgesehen. Seit ich den Verzehr von Tieren ablehne, bin ich nicht für ihren Schutz, sondern auch für den der Pflanzen und Elemente empfindlich geworden. Wo der Mann wütete, hat er auch immer etwas gegen den Baum unternommen. Die Vernichtung des Waldes ist für die Männerherrschaft etwas Übliches. Rom, das erste große, weltinschachhaltende Patriarchat hat das Mutterland kahlgeschlagen. Die Tierbehandlung wird der Angelpunkt unseres Überlebens sein. Die Rohheit dem Tier gegenüber macht uns stumpf. Diese Stumpfheit läßt uns unachtsam mit Pflanzen und Elementen umgehen. Wenn wir diese einmal beeinträchtigt und vernichtet haben, wird unser Leben beendet sein. Also Untergang? Ja.

ICH WILL NICHT TEILHABEN AN MÄNNERMORD UND MUTTER-KIND-ELEND

Als ich zum ersten Mal über das Patriarchat nachdachte, fand ich heraus, daß nicht nur die Frau vom Mann unterdrückt wird, sondern dass sich der Unterdrückungsvorgang auch zwischen den Mitgliedern des männlichen Geschlechts abspielt. Der Vater unterdrückt den Sohn. Der Sohn wird wie der Vater. Unsere Kultur verehrt in der Gestalt Jesus Christus den geopferten Sohn. Eine Gesellschaft, die an einen geschlachteten Sohnesgott glaubt, den sie sich im Zustand seiner Qual millionenfach in ihre Tempel hängt, findet nichts dabei, Menschen und erst recht Tiere zu quälen und zu töten.

Wo der Mann wütete, hat er auch immer etwas gegen den Baum unternommen

Etwas für die Tiere und gegen die Menschen zu schreiben, erscheint mir als das Lebendigste, was ich je getan habe. Ich bin am Nerv des patriarchalischen Todesprogramms angekommen, dem von der Männergesellschaft nie wesentlich kritisierten Umgang des Menschen mit den Tieren. Wenn der Mann den Menschen zum höchsten Lebewesen hinaufstilisieren will, soll er sich auch so verhalten. Bisher war er nur das höchste Todeswesen.

Ursprünglich sei der Mann angetreten gegen wilde Tiere, deshalb wüte er, kämpfe er noch heute, heißt es. Wer ist hier wild? Müßte das Verhältnis Mensch/ Tier in Prozentzahlen ausgedrückt werden, würde es heißen: zu 99 Prozent bedroht und frisst der Mensch das Tier. Die gegenwärtige Tiermisshandlung leitet sich nicht von der Jagd her. Wir leben schon lange nicht mehr in der Wildnis. Seit es Viehzucht gibt, befindet sich das Tier in der Hand des Menschen, es ist von ihm abhängig. Seine Tötung und Marterung ist wie Kindesmisshandlung. Dem Fleischereiunwesen unterliegt ebenderselbe Sadismus, der in Militärmaschinerie und Rüstungsindustrie steckt. Tierumgang und Menschenumgang stehen in einem gesellschaftlichen Verhältnis zueinander. Die Massen-Tierhaltung beruht auf dem Prinzip der Tötung der männlichen Tiere. Ein oder zwei werden zur Entnahme des Samens zurückbehalten. Die weiblichen Tiere dürfen Nachkommenschaft und Milch produzieren. Aber kein Kalb darf bei seiner Mutter aufwachsen. Die Milch gehört den Menschen, und das Kalb bekommt ein Milchpulvergeschlabber aus der Flasche. Wir trinken die Milch von groß-gewordenen Heimkindern. Tod der männlichen Jugend und Qual für Mutter und Kind, das sind zwei Urprinzipien des Patriarchats.

ICH WILL MIR MEINE NAHRUNG SELBST ERSCHLIESSEN

Was ißt er denn dann, kein Fleisch, keinen Käse, keine Milch, keine Eier? Nein, auch keine alternativen Eier, da ein Ei nach fünf Tagen zehnmal so viel Fäulnisbakterien enthält wie ein vergleichbar großes Stück Misthaufen, Also Körnerfresser ist er. Das haben wir doch gleich gewusst!

In den drei Jahren nach meinem Fleischabschied war ich so ganz zufrieden nicht, Brot, In Ökoläden gekauft, Muse aus Sesam, Erd- und Haselnüssen, Sojaaufstriche, allerlei undefinierbare Pampen, Müsli zu jeder Zeit, Obst, Salate, Gemüse – noch fehlte etwas: das frische Korn. Ich kaufte mir eine Kornmühle, mahlte mir zu jeder „Mahl“-Zeit drei bis vier Esslöffel, ließ sie in etwas Wasser oder Sojamilch ziehen und war nach dem Essen nicht mehr unruhig.

Das frisch gemahlene Korn sättigt mich länger als andere Lebensmittel. Ich leider nicht unter Aufstossen, habe keine Blähungen. Das Korn reinigt meine Innereien, belebt die Zellen und lagert nichts Gefährliches ab. Sicher bereitet es Mühe, sich die Nahrung aus Pflanzen zu erschließen. Körner müssen gemahlen, angesetzt, mit Honig, Marmelade oder Mus geschmacksbereichert werden.

Fleischverzehr ist einfacher. Der Fleischvertilger nimmt die Zusammenstellung der lebenswichtigen Stoffe in sich auf, die das Tier aus Gras, Körnern, Kräutern, Abfällen etc. vollbracht hat. Aber selbst hier tut der Mensch das Falsche. Er liebt das Muskelfleisch. Dem jedoch mangelt es an Vitaminen und Mineralien, dafür befindet sich das tierische Eiweiß in solch einer geballten Dosis in den Fasern, daß es im menschlichen Körper Stoffwechselstörungen verursacht, giftige Zersetzungsprodukte herstellt und Harnsäureablagerungen bewirkt, daß es nur so rasselt im Gebein.

Fleischessen ist ein so globaler Irrtum, daß die Schwierigkeiten bei der Wiederbelebung der alten pflanzlichen Ernährungsform leicht in Kauf zu nehmen sind. Die Verweigerung des Fleischkonsums ist eine Absage an den Männermord, an das Mutter-Kind-Elend, die Todesmaschinerie des Patriarchats.

Die Verweigerung des Fleischkonsums ist eine Absage an den Männermord, an das Mutter-Kind-Elend, die Todesmaschinerie des Patriarchats.

Nicht der Abschied vom Tier steht an, sondern das Ende seiner Ausbeutung. Seine Verzweiflung, die wir mit seinem Verzehr in uns hineinfressen, resultiert zwar aus der Verzweiflung des Mannes, an der Ausbeutung ist aber auch die Frau aktiv beteiligt. Jedes Kosmetikmittel, das von einer Firma stammt, die Tierversuche veranstaltet, und jeder Pelz auf der Haut machen sie zur Komplizin der Schlächter. Wir sind im Übergang. Es kommt darauf an, einem bewußtlosen Um-und-um-Vernichten Einhalt zu gebieten. So ist die Verweigerung von Fleisch wie die Absage an wasserzerstörende Wasch- und Putzmittel der Anfang eines Weges, an dessen Ende ich mir den wiedergewonnenen Einklang zwischen dem Menschen und dem lebendigen Ganzen vorstelle.

(Dieser Artikel war die Coverstory der Mai-Ausgabe 1986 des WIENER)

Und das war der Aufmacher …