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Archiv 2012: Bin ich der Schönste im ganzen Land?
Manchen Menschen ist egal wie ihr Auto ausieht, sie merken neue Kratzer auch nach Jahren nicht. Anders ist das bei genuinen Auto-Afficionados. Diese entwickeln meist diffizile Sensibilität dafür, wie ihnen ihr fahrbarer Untersatz höchstpersönlich steht.
Text: Franz J. Sauer / Fotos: Peter M. Mayr
Klar ist ein Automobil hauptsächlich Fortbewegungsmittel, eine komfortable Möglichkeit, eine Wegstrecke von A nach B mit Gepäck ohne körperliche Anstrengung zurückzulegen. Allerdings gibt es Autos verschiedener Marken, in verschiedensten Farben, mit unterschiedlichen Ausstattungsvarianten und differenten Motorisierungen. Außerdem gibt es Texte wie jenen, den sie gerade lesen. Wären Autos Einheitsware, bräuchte es das alles nicht. Und da Sie hier, knapp vorm ersten Absatzende noch immer dabei sind, schließe ich keck, dass auch Ihnen Autos etwas mehr bedeuten als bloß ein Beförderungsmittel, das es nun mal einfach so gibt.
Insofern könnten die nun folgenden Worte und Bilder für Sie von Bedeutung sein. Denn diese, wir sagen das ganz offen, richten sich hauptsächlich an Freaks der automobilen Fortbewegung. An solche, die ihr Auto lieben. Es gut in Schuss halten, oft waschen, es als Accessoire betrachten, als Modestück, das gut zu ihrem Gesamtauftritt passt. Nur diese neigen dazu, sich bei jeder sich bietenden Gelegenheit gemeinsam mit ihrem fahrbaren Untersatz im Spiegel zu betrachten. Und weil das ob der Größenverhältnisse kaum daheim im Bade- oder Schlafzimmer funktioniert, haben wir hier ein paar passende Schaufensterstellen im schönen Wien gescoutet, in denen man sich und sein Auto gut und großformatig bewundern kann.
Wienzeile
Zunächst seien hier mal die Eckpfeiler einer solch guten Schaufensterscheibe abgesteckt. Sie muss freilich groß sein, dunkel oder gleich komplett verspiegelt (insofern lernt man Automatensalons und Casinos zu schätzen) und der Verkehr sollte, wenn’s an ihr vorbeigeht, gelegentlich stocken, sprich: eine Ampel in unmittelbarer Nähe kann nicht schaden. All diese guten Eigenschaften auf einmal vereint etwa jene quadratische, verspiegelte Schaufensterscheibe auf der rechten Wienzeile ziemlich gegen Ende, also kurz bevor sie in den Karlsplatz läuft und sich rechts die Operngasse wegspreizt. Diese Scheibe schräg gegenüber der Secession ist speziell für gute Vorderansichten perfekt, wenn man nämlich von der 2er-Linie runterkommt, gen Stadt einbiegt und da-er die Frontpartie seines Autos von der Maschek-Seite kennenlernt, weil es nix schöneres gibt als eine leicht nach unten blickende Schnauz’ mit eingeschlagenen Rädern. Aber auch wer vom Naschmarkt her kommt, kann sich – dann eben seitwärts – ebendort kundig bewundern, es sei ihm nur geraten, schon bei der letzten Naschmarkt-Ampel (es ist die der Kreuzung mit der 2er-Linie) die rechteste Spur zu nehmen – und dann zwecks Zeitgewinn auf regen Abbiege-Verkehr in Richtung Operngasse zu hoffen. Das helle Spiegelglas des Schaufensters bringt schöne Autos vor allem am späten Nachmittag gut zur Geltung, dann passt der malerische Lichteinfall durch das Wiental nahezu perfekt.
Gleich ums Eck von dort, in der Operngasse knapp vor der Kreuzung Paulanergasse findet sich die nächste Gelegenheit bei bestem Streiflicht. Zur linken grüßt eine Billa-Filliale mit folgenden, schwarzen Glasscheiben als Auslage. Ein Radweg lädt zur (kurzen, weil illegalen) Verweil ein, etwa um ein Handy-Foto zu schießen. Besonders Kecke täuschen eine Ladetätigkeit vor, der entsprechende fahrbare Untersatz wäre hierbei allerdings vonnöten.Uns, mit unserem Supersport-Nissan, hätte man die Sache mit dem Kasten-holen-aus-dem-zweiten-Stock wohl eher weniger abgenommen.
Bürogebäude
Wir wissen nun also schon: Es braucht viel Glas im Erdgeschoss für die perfekte Spiegelung. Es gehört keine exponentielle Schläue dazu, hierfür idealerweise Satelli- tenstädte mit ausladenden Wolkenkratzer-Bürotürmen aufzusuchen. Die neue Wiener Skyline auf der Donauplatte ist zwar neu, schön und spacig, bietet sich allerdings für unser Vorhaben kaum an. Zu zugestellt sind die Stellräume vor den Scheiben, außerdem leiten schlaue Verkehrsschleifen die armen Autos mehr unter die Erde als sonstwohin. Also bleibt neben den wenigen, innerstädtischen Glas-Oasen bloß noch Wiens zweiter, ernstzunehmender Wolkenkratzer-Park: Die Wienerbergcity. Dort bietet sich dem interessierten Selbstbetrachter ein schier unerschöpfliches Reservoir an Schaufenstern, noch dazu ohne Verkaufslokale dahinter, deren Eigentümer sich bisweilen etwas komisch fühlen, wenn man sie minutenlang blöde angrinst durch ihr Geschäftsfenster, obwohl man sie gar nicht meint. Hat man sich an der eigenen Reflexion in den Gläsern des Hauptgebäudes (man kann hier buchstäblich Kreise ziehen ums gläserne Getürm, was ja vor allem in den Kurven tolle Perspektiven bietet) sattgesehen, wechselt man einfach rüber in die Wohnblocks. Auch dort empfiehlt sich für die forsche Ausschau das Vortäuschen einer Ladetätigkeit, will man sich nebst Auto nicht gerade am Wochenende oder sonstwann, wenn spielende Kinder zugegen sind, betrachten, ist man den Anrainern allerdings ziemlich
wurscht, wenn man für ein paar Minuten auf den Platz rollt, um sich und sein Auto in aller Ruhe und aus allen Blickwinkeln zu betrachten. Das geht dort nämlich tatsächlich von vorn, von hinten von der Seite und wieder von vorn. Sogar von Oben, wenn man sich unter einen der schrägen Überhänge an den Türmen stellt – dann ist allerdings ein Schiebedach anzuraten. Hat man nun den Film am Handy leergeschossen, empfiehlt sich zum Verdauen eine kleine motorisierte Promenade an der langen Glas-Fassade des Holiday-Inn-Hotels an der gegenüberliegenden Seite der Hertha-Firnberg-Straße. Wer zur Selbstbeschau übrigens mit einem dreckigen Auto ankam, kann diesen Faux Pas gleich in der danebenliegenden Waschstraße beheben.
Prater
Den royalen Abschluss unserer Selfseeing-Tour durch Wien bildet der Prater, genauer gesagt die Verbindungsgerade zwischen Ausstellungs- und Messestraße. Gleich am ersten Eck findet sich ein ausla- dendes Casino mit gülden verspiegelter Fassade – ein Traum in Gold, für Fahrer und Auto. Wer sich hier nicht endgültig in seinen Wagen verliebt, hat den falschen.