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Archiv 2013: Philipp Hochmair – Mich gibt’s gar nicht

Philipp Hochmairs Rollenkarriereleiter führte in letzter Zeit von Hamlet über Mephisto bis zu: Philipp Hochmair. Uns hat er seine verschiedenen Selbstbildnisse gezeigt

Text: Martin Thomas Pesl / Foto Header: Privat

Philipp Hochmair hat eine künstliche Glatze auf und wartet. Er spielt Philipp Hochmair, den Schauspieler, der gerade Pause hat von den Proben zu „Woyzeck“ am Thalia Theater in Hamburg. In Kostüm und Maske seiner Rolle hat er sich an einem Fotoautomaten verewigen lassen. Um sich an die Äußerlichkeiten seiner Arbeit zu erinnern, macht Philipp Hochmair das bei jeder Rolle. Also der echte, wirklich. Dann geht Philipp Hochmair (in der Rolle des Philipp Hochmair) nach Hause in Philipp Hochmairs Wohnung. Eigentlich kommt er ja aus Wien, aber 2008 ist er vom Burgtheater nach Hamburg gewechselt. Es wirkt, als würden wir einem Schauspieler beim Leben und Arbeiten zusehen. Aber „Der Glanz des Tages“ ist reine Fiktion. Beim Max-Ophüls-Wettbewerb für deutschsprachige Filme im Jänner in Saarbrücken hat der außergewöhn- liche zweite Spielfilm des Regieduos Tizza Covi und Rai- ner Frimmel den Hauptpreis abgesahnt. Den Preis der Ministerpräsidentin erhielt ein weiterer Film mit Philipp Hochmair: das Drama „Talea“ der österreichischen Filmstudentin Katharina Mückstein. Zwei Hochmairs unter den ersten zwei. Der Vollblut-Theatermann setzt damit nicht nur einen beachtlichen Schritt Richtung Kino. Im „Glanz des Tages“ galt für ihn zudem ganz offiziell, was an vielen Schauspielern hämisch kritisiert wird: „Der spielt ja einfach sich selbst!“

Zerwuschelte Illusion

Genau genommen tut er das seit über zehn Jahren, seit er unter der Ägide des damaligen Hausregisseurs Nico- las Stemann am Burgtheater anfing. Es ist sein Markenzeichen, seine Leidenschaft, seine Verzweiflung, eben keine Figuren zu verkörpern, sondern den Monolog zu leben und zu beleben, in ihm zu versinken, alles zu geben. Kürzlich spielte Philipp Hochmair sein Solo „Amerika“ am Schauspiel Hannover. Noch bevor es losging, sah ihn die Chefdramaturgin im Publi- kum sitzen, im Anzug, gestriegelt, und sie war schockiert: Es sah aus, als würde Philipp Hochmair eine klassische Theaterfigur darstellen, sein Ich in der Garderobe aufbewahren und als authentischer Karl Rossmann aus Franz Kafkas Roman wiedererstehen. Als sich Hochmair nach drei Minuten durch die Haare fuhr und die Illusion einer Illusion zerwuschelte, war die Frau erleichtert. Alle Texte, seien es hochpoetische Klassiker oder postdramatische Textflächen, sind für Philipp Hochmair eine Folie, sich selbst zu finden.

Tizza Covi und Rainer Frimmel arbeiten grundsätzlich immer mit Laien. Als Philipps Nachbarn engagierten sie – ihren eigenen Nachbarn, als Philipps Onkel den Zirkusartisten Walter Saabel, mit dem sie schon in „La Pivellina“ 2011 zusammengearbeitet hatten. Alle waren sie selbst, aber in einem großteils fiktiven Setting. „Sei du selbst“, sagten sie beim Dreh also auch zu Philipp. Da musste er feststellen: „Mich gibt es gar nicht.“ Die Arbeit erwies sich für Hochmair als Schlüsselerlebnis. Wenn er darüber spricht, sprudeln die Worte der Überforderung – und der Faszination – nur so aus ihm heraus. „Am Anfang wussten die beiden Regisseure nicht so wirk- lich, wie wir starten sollten, sie hatten keine Sprache, keine professionelle Sprache für die Arbeit mit einem Schauspieler. Wenn ich einen ,Tatort‘ drehe, bekomme ich kurze klare Anweisungen, mein Geld und gehe dann nach Hause. In diesem Fall war ich der einzige professionelle Schauspieler. Aber auch das war nicht hilfreich, da keiner meine Sprache gesprochen hat. Ich war auf einmal wieder Laie! Normalerweise ist Film etwas ganz Künstliches, es gibt Anwei- sungen und eine Partitur. Wenn man aber gar nichts hat, woran man sich halten kann, ist das schon ein Problem. Die Drehzeit war eigentlich ein Kennenlernen, ein Experiment für alle Beteiligten – ein Experiment mit mir selbst.“

Georg Tedeschl

Eigenartiges Escher-Gemälde

Die Abenteuerlust, die bedingungslose Hingabe, das Störenfriedtum, aber auch die Begabung zum Auswendig- lernen hochintellektueller, gigantischer Textmassen – all das verdankt Hochmair seiner langjährigen Zusammenarbeit mit dem Regisseur Nicolas Stemann. 1997 erarbeitete Stemann mit Hochmair das Solo „Werther!“, einen von Goethes klassischer Liebesselbstmördernovelle ausgehenden Abend, der keinen Regeln folgte, Theater zu Rock’n’Roll werden ließ und das Wiener Akademietheater, das den Abend ins Repertoire übernahm, mit kreischenden Groupies füllte. Auch heute, 16 Jahre später, performt Hochmair den Werther, am Thalia Theater in Hamburg, und auch heute reagieren die Schülerinnen begeistert. Aber: „Jetzt bin ich nicht mehr im Alter von Werther, zum Zeitpunkt der Premiere war ich kaum älter als mein Publikum. jetzt liegt das Erlebnis für sehr junge Zuschauer eher darin, wie aufregend so ein Klassiker sein kann.“ Mit Stemann arbeitet er fast in jeder Insze- nierung zusammen, zuletzt fiel er bei den Salzburger Festspielen als Mephisto in dessen preisgekröntem acht- stündigem „Faust“-Marathon auf. Seine Erfahrungen mit Stemann entfernten ihn weit genug von sich selbst, dass er auch die eigenartige Selbstkonfrontation in dem Spielfilm „über ihn“ überstand. „Ich habe Gefallen an dieser Art zu arbeiten gefunden, sie ließe sich auf so viele Systeme übertragen, Aber das muss man erst einmal aus- halten, diese Angst, dass man nichts darstellt und ganz auf sich zurückgeworfen wird. Mit dieser Angst umzuge- hen war meine Aufgabe.“

Deshalb sieht er sich den „Glanz“ jetzt auch gar nicht so gerne an, erscheint bei Screenings erst zum Publikumsgespräch. Was der Schauspielprofi normalerweise überwunden hat, das komische Gefühl, wenn man sich selbst sieht und hört, das war bei Hochmair auf einmal wieder da. „Man denkt vielleicht, das bin ich, und ich sehe nur einen Typen, der in meiner Woh- nung wohnt und meine Kleider anhat“, ist Hochmair irritiert von diesem „eigenartigen Escher-Gemälde“. Auch Menschen, die ihn kennen, halfen ihm nicht weiter. Einige der Menschen aus seinem privaten Dasein, für das er wenig Gespür hat, wie er sagt, hielten es für ein gutes Psychogramm seiner Persönlichkeit. Einige seien enttäuscht gewesen, dass er so eitel sei. In einer Szene des Films flippt Philipp aus, als Zirkuskünstler Walter eine Version der Statue, die von ihm in der Ehrengalerie des Burgtheaters hängt, als Modell zum Messerwerfen verwendet.

Dieses Relief gibt es wirklich. Es stammt vom Bildhauer Fabian Fink, und es ist nackt. „Ich bin gerne nackt, es ist das natürliche Kostüm für mich“, sagt Philipp Hochmair. Von der Serie junger Burgstars, die vor einigen Jahren angefertigt wurde, ist sein Abbild das einzig nackte, obwohl ursprünglich alle so geplant waren – sogar Petra Morzé hat ein Unterkleid bekommen – und natürlich hat man den Eindruck, dass das Philipp Hochmair gefällt, mit knapp 40 in der Ehrengalerie so exponiert zu sein. Eitelkeit ist das keine, nur eine Suche nach sich selbst, wie die Fotos, die er von sich in jeder Rolle anfertigen lässt, eine Suche nach Reflexionen aus Hilflosigkeit: „Wenn man sich ständig innerlich so verbrennt, braucht man einen Abgleich, dass noch eine äu- ßere Hülle übrig ist.“

Hochmair an der Hochschule

Selbstporträts als Foto, verzerrte Filmporträts, abstrahierte Statuen: Während all diese Bildnisse in Dorian-Gray-Manier anstelle des immerjungen Energiebündels zu altern scheinen, hofft der Original-Philipp, noch mehr Film machen zu dürfen. Aber das ist eine Frage der Organisation, denn neben der Ensembletätigkeit in Ham- burg bereitet er sich darauf vor, bei den kommenden Salzburger Festspielen als nächstes hybrides Wagnis Hofmannsthals Jedermann zu spielen. Aber halt, macht das nicht jetzt erstmals Cornelius Obonya? Auch. Aber parallel dazu wird es das bizarre Salzburger Pflichtstück in einer Solofassung geben. Philipp Hochmair jagt alleine durch den ganzen Jedermann und sucht: sich selbst.

Zunächst gilt es, sich an den Früchten der Filmarbeit zu freuen. An „Talea“, auch siegreich im Max-Ophüls-Wettbewerb, hat ihn beglückt, „was für eine schöne Kraft wir zusammen gefunden haben“, auch wenn ihn dieser Dreh nur zwei Wochenenden gekostet hat. Am Theater sucht er weiterhin die offene Form und lässt sich, auch wenn er in Hamburg „von Anfang an zur Ministerriege“ des Ensembles gehörte, keine Grenzen setzen. Das nichtpsychologische Spiel des „Immer-alles-Gebers“, wie ihn eine Zeitung jüngst nannte, macht inzwischen Schule. Beim kommenden Schauspielschultreffen in Berlin soll er unter- richten, als Juror bestimmen, was gutes Spiel ist. „Was zu Beginn meiner Karriere noch missverstanden wurde, nämlich, dass man nicht versucht, eine ,Figur zu verkörpern‘, ist jetzt etwas geworden, was ich an der Hochschule unterrichten soll“, so Hochmair fasziniert. Seine Wohnung in Wiens 8. Bezirk hält er aus Sehnsucht nach der Heimatstadt, kommt immer wieder kurz zu Castings angeflogen, ist dann aber derzeit meistens schnell wieder weg. Schade: Wir werden mit unserem Ungreifbaren auf der Filmleinwand und als Relief im Burgtheater Vorlieb nehmen müssen.