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JOHN LENNON – Der absolute Höhepunkt einer Liebesgeschichte ist immer der Tod

Christian Jandrisits

(Aus dem Archiv Jänner 1981) Das New Yorker Dakota Building wurde durch den Film „ROSEMARY’S BABY“ von Roman Polanski weltberühmt. Jetzt machte das düstere Gebäude am Central Park West wieder Schlagzeilen. Am achten Dezember wurde der Mieter John Lennon vor dem Eingang des Hauses erschossen. Seither schmücken Blumen die riesigen schwarzen Gittertore. 

Ich glaube, daß ich zwei Leben hatte. Das erste endete wunderbar und das zweite fängt eben erst an. Ich glaube – so wunderbar das erste war – das neue wird sogar noch besser werden, weil ich Frieden geschlossen habe mit mir selbst und mit Yoko. Es ist eine große, weite und wunderbare Welt da draußen und Yoko und ich werden sie erforschen, bis wir sterben.“

John Lennon

Eine Woche später sitzt Yoko ruhig im halbverdunkelten Schlafzimmer des Appartements im Dakota-Gebäude, raucht eine Zigarette und erzählt mit langsamer, leiser Stimme, wie ihr Mann erschossen wurde. Die Stimmung ist gespenstisch. Im Spital hatte sie minutenlang „Oh no, oh no, oh no!“ geschrien, als sie einsehen mußte, daß John tot war. Jetzt wiederholt sie langsam und kontrolliert, was sie in kurzen Sätzen bereits in der Presseaussendung beschrieben hatte, wie sie die entsetzliche Nachricht ihrem Sohn mitteilen mußte.

Als sie dann von den vielen gemeinsamen Plänen spricht, die sie und John in nächster Zukunft realisieren wollten, rinnen Tränen über ihr versteinertes Gesicht. Sie erinnert die Fans, daß man über der Tragödie die Friedensbotschaft in John Lennons Musik nicht vergessen sollte:

„Vergeßt die Botschaft nicht, die Musik lebt weiter.“

In diesem Augenblick stimmen hunderte Menschen unter dem Fenster einen lauten Gesang an. Man konnte nicht ausnehmen, was sie singen, es klingt eher nach einem klassischen Wehgeschrei, was da von der Straße heraufdringt, aber die Situation ist beklemmend und echt.

Die „dragon lady“, wie John sie scherzhaft in seinem letzten großen Interview für den Playboy genannt hatte, lauscht still in aufrechter Haltung.

… es ist eine große, weite und wunderbare Welt da draußen und Yoko und ich werden sie erforschen, bis wir sterben!

Dieselbe Frau hatte John vor Jahren schlicht und einfach vor die Türe gesetzt. Nicht, daß sie ihn nicht mehr geliebt hätte, ihr war einfach das Leben an der Seite der öffentlichen Persönlichkeit John Lennon zur unerträglichen Qual geworden. Als John nach seiner ersten Junggeselleneuphorie, die er in Los Angeles und New York ausgiebig feierte, voll John widmete sich dem Alkohol, und erst als einer seiner Kumpane daran zugrunde ging, wurde er für reif erklärt. Nach einigen romantischen Rendezvous mit seiner Frau kehrte er heim an den häuslichen Herd und wurde glücklicher Vater und Hausmann. Er widmete sich völlig der Erziehung seines Sohnes und führte ein Dasein, das für einen New Yorker den Inbegriff von Langeweile darstellt.

Es gibt keine größere Sünde im New Yorker Gesellschaftsleben, als „boring“ zu sein. John war langweilig, kümmerte sich nicht um die Klatschtanten, die mehr Spaß an seinen Eskapaden gehabt hatten, gab entweder keinen Kommentar oder – noch schlimmer – erklärte, er sei rundum glücklich.

Besonders freute ihn, daß Yoko wieder eine Solokarriere startete.

Noch eine Woche vor seinem Tod kaufte er hundert Ausgaben der „SOHO NEWS“ mit Yoko auf dem Titelbild und einem mehrseitigen Interview. Den Journalisten sagte er:

„Sorgt dafür, daß das nach England kommt. Ich möchte es allen in den Schlund stoßen nach all den Dingen, die sie über Yoko erzählt haben.“

John und Yoko verbrachten die letzten Tage im RECORD PLANT STUDIO, wo Yoko ihre neue Platte, die „YOKO ONLY“ heißen soll, einspielte. Am Montag verließen sie das Studio in der 44. Straße gegen elf, nachdem sie zuvor noch Plattencovers signiert hatten, und liefen dem Mann vor den Revolver, dessen Cover Lennon einige Stunden vorher signiert hatte. DAVID MARK CHAPMAN trat hinter einem Pfeiler hervor und führte sein Vorhaben unbehelligt aus.

Er wartete ruhig, bis die Polizei eintraf und vertrieb sich die Zeit mit einem Taschenbuch. Es was Salingers „Catcher in the Rye“.

Chapman hat damit seinen Namen mit dem des Rock-Idols verbunden, wie Lee Harvey Oswald den seinen mit John F. Kennedy.

Faksimile – WIENER ARCHIV/Jänner 1981

Seither bemühen sich die Medien eifrig, Chapman als einen psychisch zumindest gestörten Menschen zu zeichnen. Die Psychiater diskutieren inzwischen, ob der Mord als „psychologischer Selbstmord“ einer schizoiden Person eingestuft werden kann (Chapman hatte bereits zwei Selbstmordversuche verübt) oder als gewaltsame Lösung eines Vater-Sohn-Konfliktes, in dem der Sohn den Vater ermordet, um an seinen Platz zu treten. Beide Varianten werden sicher auch Chapmans Verteidiger diskutieren.

Wie dem auch sei, der bislang unbekannte Chapman hat bewußt oder unbewußt sein Leben wie einen Spiegel des Lebens des bekannten John Lennon aufgebaut.

Wie Lennon heiratete er eine um Jahre ältere Asiatin. Er teilte mit Lennon die Zuneigung zu Kindern und die Vorliebe für alte Gemälde. Allerdings mußte er sich das Geld für Antiquitäten ausleihen, wozu sein Vorbild, dessen Vermögen auf etwa 235 Millionen Dollar geschätzt wird, nicht gezwungen war.

Chapman erlaubte sich bekanntlich den Scherz, die Anwesenheitsliste im Castle Memorial Hospital in Honolulu zum Abschied mit dem Namen John Lennon zu unterzeichnen. Übrigens ein allseits beliebter Scherz in Amerika, wo man mit dem Namen seines Idols alles mögliche zeichnet. Der Scherz wurde allerdings ziemlich ernst, als sich Chapman beim Waffenhändler TOM GRAHOVAC die Mordwaffe besorgte und damit nach New York abdampfte und seiner persönlichen Liebe zu John das blutige Finale setzte.

IM DAKOTA LEBST DU AUF EINER SUBWAY STATION

Elisabeth Bartosch, New York, sprach mit David Peel

JOHN LENNON hat den Straßen-Freak DAVID PEEL in der berüchtigten Lower East Side Manhattans entdeckt und 1971 seine erste Platte „The Pope Smokes Dope“ produziert. Peel spielte bei ZAPPA, IGGY POP und in der PLASTIC ONO BAND. John und Yoko spielten in Peels LOWER EAST SIDE BAND.

DAVID PEEL hat seine eigene Version vom Tod John Lennons. Die Version eines New Yorkers, der das Pflaster kennt.

„Da kündigen John und Yoko 1980 an, wieder eine Platte zu machen, an die Öffentlichkeit zu gehen. Natürlich machen sie das ganze Drumherum mit großen Interviews, Autogrammen und dergleichen. Das war zu erwarten. Sie waren immer aus auf Publicity, wie jeder Musiker, der etwas herausbringt, ganz klar.

Also nach fünf Jahren kommt erstmals wieder eine Platte:

„Double Fantasy“. Sie haben alle Arten von Geschichten über sich laufen:

Esquire, Times Magazin, nenn‘ sie beim Namen, sie waren alle da.

Zu diesem Zeitpunkt hatten sie schon lange keine Bodyguards mehr, waren nicht mehr an die ständige Aufmerksamkeit gewohnt, die sie in der Öffentlichkeit erregten.

Und da hängen natürlich viele Leute vor dem Dakota herum. Die Sicherheitsvorkehrungen dort sind die miesesten, die ich je gesehen habe. Ich meine, man lebt dort praktisch auf einer U-Bahn-Station. Und Rock’n’Roll-Leute sind keine College-Boys.

Jedenfalls, John und Yoko exponieren sich wieder, ziehen die Massen an und törnen sie an mit ihrer Musik. Dann kommt der achte Dezember und dieser Verrückte, von dem ich sehr bezweifle, daß er verrückt ist, hat alles haarklein vorausgeplant – wie hieß er doch, dieser Mark David Chapman -, und er ist ziemlich cool.

Faksimile – WIENER ARCHIV/Jänner 1981

Ich weiß, wie diese Leute sind, ich kenne sie. Sie antworten dir nicht, wenn du sie fragst. Sie haben diese glasigen Augen, mit denen sie dich anstarren. Sie hören nicht auf Vernunft. Sie wollen dieses eine Ding erledigen. Das ist alles, was für sie zählt.

Ich kann diese Leute recht gut behandeln. Ich war lange genug auf der Straße. Aber wenn du plötzlich exponiert bist wie John, dann redest du nicht mit ihnen.

Chapman kauft seine Pistole, fädelt alles ein, hat sich alles prima zurechtgelegt. Er fliegt nach New York, checkt den Platz aus, und er kann mit der Waffe umgehen, so gut er es beim Militär gelernt hat. 

Und dann, genau wie Judas mit Jesus beim letzten Abendmahl, hängt er zuerst einmal herum und verlangt einen Gefallen von dir, bekommt sein Autogramm, weiß aber die ganze Zeit, was er will. Eine Woche lang hängt er da herum. Er wirkt nicht mehr verdächtig für John.

Und John und Yoko bilden überhaupt keine Sicherheitsmauer um sich herum. Das ist das Schlimmste, was sie tun konnten.

Niemand schert sich wirklich um sie. Chapman braucht nur den richtigen Augenblick abzuwarten. Er ruft John, hat jede Menge Zeit, und erschießt ihn. Er wußte ganz genau, niemand würde ihn daran hindern.“ Ich frage, warum Chapman nach der Tat sein Taschenbuch las.

„Weil er seine Sache erledigt hat“, erwidert David Peel trocken.

Faksimile – WIENER ARCHIV/Jänner 1981 – Cover