AKUT

Die Invasion der Yuppies

Franz J. Sauer

AMERIKA BRAUCHT DAS: In den 50er Jahren gab’s die Teddies, in den 60er Jahren die Hippies, in den 70er Jahren die Junkies und jetzt, Anfang der 80er, kommen die Yuppies. Noch nie davon gehört? Dann sollten Sie sich auf den folgenden Seiten rasch über diese „Young Urban Professionals“ informieren. Vermutlich sind Sie nämlich selber einer. (aus dem April-WIENER 1984)

Sind Sie einer dieser jung-dynamischen Aufsteiger, die mit kaum dreißig Jahren schon nach dem Chef-Sessel greifen oder ein Innenstadtbüro für die neueröffnete Anwaltskanzlei suchen? Haben Sie 1978 begonnen, jeden Tag in der Früh ein paar Runden um den Häuserblock zu joggen? Und sind Sie 1982 auf Aerobic umgestiegen? Können Sie, wenn Sie auf einer Vernissage das Wort „Postmodernismus“ hören, mit: „Haben Sie Charles Moores neuesten Bau in L.A. schon gesehen?“ ins Gespräch einsteigen — oder wissen Sie nicht einmal, was eine Vernissage ist? Wohnen Sie in einem Loft? Fahren Sie einen Geländewagen? Lehnen Sie Dosenbier ab? Wenn ja, dann dürfen Sie sich zur Elite der 80er Jahre zählen. Denn dann sind Sie ein Yuppie, ein „Young Urban Professional“ (ein junger Großstadt-Profi). Vorausgesetzt, Sie leben in den USA. Denn dort kommen die Yuppies her. Oder besser: Dort wurde dieser Ausdruck geprägt. Zuerst als Spitzname für die Elite unter den Aufsteigern, später als deren voll akzeptierte Selbstbezeichnung. Es ist keine Schande, ein Yuppie zu sein. Warum auch?

Yuppies bestimmen mittlerweile den gesamten Lifestyle der amerikanischen Nation. Vom Jogging bis zu Aerobic, vom Heimcomputer bis zum Postmodernismus, vom neuen Karrierebewusstsein bis zum rapiden Anstieg alttestamentarischer Prophetennamen wie Daniel oder Benjamin in den Geburtenregistern — all diese Trends kommen aus dem Yuppie-Eck. Und weil der Rassismus in Amerika keine Grenzen kennt, werden die Yuppies auch noch in Untergruppen eingeteilt. Der schwarze Yuppie nennt sich Buppie („Black Urban Professional“) und ist zumindest in einem Punkt gegenüber seinen weißen Kollegen im Vorteil: Er muss nicht stundenlang in der Sonne braten, um so richtig yuppie-mäßig braun zu werden. Ansonsten hat er es bei seinem Aufstieg in den Yuppie-Himmel vermutlich etwas schwerer gehabt.

Schwule Yuppie wiederum werden als Guppies („Gay Urban Professional“) bezeichnet und bilden so etwas wie eine Avantgarde des Yuppietums. Sie haben die kinderlose Doppelverdiener-Familie erfunden und den durchtrainierten Körper schon zu jenen Zeiten verehrt, als andere noch stolz ihren Wohlstandsbauch trugen. Sogar Literatur zum Thema „Yuppie“ gibt es bereits. Das Buch „The Yuppie’s Handbook“, eine Art satirischer Knigge für den Erfolgsmenschen von heute, hat die vier wesentlichen Kriterien herausdestilliert, die den Yuppie von der breiten Masse unterscheiden:

  1. Der Yuppie lebt in einer Großstadt oder in der Nähe einer Großstadt.
  2. Er behauptet, zwischen 25 und 45 Jahren alt zu sein.
  3. Er strebt nach Berühmtheit, Ansehen, Prestige, Macht und Geld.
  4. Er arbeitet hart und durch die Nacht hindurch, lässt aber nie seinen Termin beim Psychoanalytiker oder seine Verabredung zum Squash platzen.

Man wird die amerikanische Yuppie-Szene in Zukunft genau beobachten müssen, denn was heute den Geschmacksnerv der Yuppies trifft, kann schon morgen weltweit „in“ sein. Gingen von den Yuppies früher bloß nostalgische Modeerscheinungen wie das Bogart-Casablanca-Revival aus, so beherrschen sie jetzt Hollywood. Jetzt wollen die Yuppies sogar einen der ihren zum Präsidenten der Vereinigten Staaten küren: Gary Hart. Nach Harts überraschenden Erfolgen waren sich Newsweek und Time Magazin einig: „Gary Hart ist ein Kandidat mit Yuppie-Appeal und wird vom professionellen Trendsettertum dieser Leute profitieren“, hieß es. Ein Mondale-Anhänger hingegen schäumte: „Diese Volvo-fahrenden Zweithausbesitzer aus Boston haben die Vorwahlen in New Hampshire gewonnen!“ Dazu muss man wissen, dass der Volvo ein typisches Yuppie-Auto ist. Schön für Volvo, schlecht für Mondale: Er fährt einen biederen Cadillac und strahlt auch sonst dieses All-American-Flair von penetranter Durchschnittlichkeit aus, das Yuppies besonders verhasst ist. Anders Gary Hart: Er ist ein junger, strahlender, sportiver Erfolgstyp, der es schon mit 38 Jahren zum Senator der USA gebracht hat. Er trägt Designer-Anzüge und handgemachte Stiefel. Amerikas Zukunft liegt seiner Meinung nach in der Computerindustrie. Gary Hart wirkt in Sachfragen kompetent, Bildungs- und Gedächtnislücken wie bei Ronald Reagan wird man ihm kaum nachweisen können. Mit seiner Frau führt er eine offene, moderne Ehe, die schon zwei Trennungen überstanden hat. Vor allem aber entspricht Harts Anspruch, alles besser, schöner und irgendwie moderner zu machen, dem persönlichen Credo jedes Yuppies. Denn der Yuppie lebt unter dem Zwang, sein Einkommen und seine Persönlichkeit andauernd verbessern zu müssen. Fitnesscenter, Psychiater und Afro-Tanzlehrer leben blendend vom Selbstverbesserungswahn der Yuppies. Wer dazugehören will, muss sich beispielsweise als Weinkenner ausgeben. In einem Land, das den Dosenwein erfunden hat, ein manchmal recht schwieriges Unterfangen. Anders als im Weinland Österreich, fehlt den Amerikanern meist sogar die banalste Information über den modischen Rebensaft. Zeitschriften mit Yuppie-Leserschaft haben daher einschlägige Kolumnen eingerichtet, um Nachhilfe für Möchtegern-Weinbeißer zu geben. Das Magazin „Esquire“ rät in seiner Rubrik „Was jeder Mann wissen sollte“: Kaufen Sie Ihren Wein nicht beim Brandtweiner und gibt dem Novizen, der beim Lesen einer ellenlangen Weinkarte vor lauter Nervosität alles vergisst, was er je über den Wein gehört hat, den unfehlbaren Tipp: „You’ll be okay with Beaujolais“. Was sich nicht nur reimt, sondern auch so wunderbar international klingt, dass es jedem Yuppie von vornherein das Herz höher schlagen lässt. Denn auch das gehört zum Yuppietum: Der polyglotte Touch. Dem Yuppie liegt Europa näher als seinen Eltern. Er weiß zumindest, dass es existiert.

Zentrum eines jeden Yuppie-Lebens ist das eigene Loft. Die einzig zulässige Alternative dazu wäre ein vorrevolutionärer (also vor 1776 erbauter) Landsitz in Neu-England, was prestigemäßig ungefähr dem Original-Waldviertler Bauernhof einer Wiener Schickeria-Familie entspricht. Ziel der innenarchitektonischen Ausgestaltung eines Yuppie-Domizils ist natürlich nicht die Bequemlichkeit des Bewohners, sondern ein großer Farbbericht in der „Casa Vogue“ oder im „Architectural Digest“. Sitzmöbel von Corbusier, Marcel Breuer oder Mies van der Rohe sind mehr oder minder Pflicht, Ohrenfauteuils hingegen entlarven den Hausherren als einen verschlafenen Typ, der womöglich lieber fernsieht als sein Aerobic-Programm durchzuziehen. Nur am Arbeitsplatz sind ergonomische Sessel erlaubt. Ergonomisch heißt körpergerecht: früher sagte man einfach „bequem“ dazu. Dass Blümchentapeten für die Aufnahme in die Yuppie-Gilde ein Ausschlussgrund sind, braucht nicht weiter erwähnt zu werden. Yuppie-Räume haben kahl und weiß zu sein. Detail-Fehler wie gerahmte Poster an den Wänden (können Sie sich keine echten Kunstwerke leisten?) oder das Aufstellen von überdimensionierten Lautsprecherboxen (das sind doch kindische Relikte aus der Woodstock-Zeit) werden gerade noch toleriert. Ein Nasenrümpfen trägt es einem aber doch ein. Um zu beweisen, dass man kein Computeranalphabet ist, hat jeder Yuppie einen Heimcomputer auf seinem Schreibtisch stehen, nach Möglichkeit das jeweils neueste Modell, und zwar unbedingt eines mit einem Textverarbeitungssystem. Gefragteste Computermarken sind Apple und IBM, bei TV-Geräten muss es hingegen ein Sony sein. Ob VHS- oder Betamax-Videorecorder zu bevorzugen sind, vermögen allerdings selbst die gewieftesten Trendsetter nicht mit Sicherheit zu sagen. Während im Bereich der Elektronik japanischen Produkten der Vorzug gegeben wird, gibt sich der Yuppie in seinem Konsumverhalten ansonsten betont europäisch. Das fängt schon beim Autokauf an. Breite Amischlitten und japanische Billigimporte zeugen von mangelndem Stilgefühl oder geringem Einkommen. Rolls-Royce und Ferrari wiederum sind nichts anderes als benzinfressende Angeberkutschen. Gefragt ist bei den Loftmenschen vielmehr schlichte Eleganz und solide Technik. Typische Yuppie-Autos sind daher BMWs, Saabs, Volvos, Alfa Romeos und Mercedes (aber nur der 190er!). Auch in Golf Cabrios und Allradfahrzeuge darf der Yuppie einsteigen. Die Yuppies haben eine – für amerikanische Verhältnisse – erstaunlich zivilisierte Esskultur entwickelt, fernab von Burger King-Filialen. Selber kochen gilt nicht länger als Zeitverschwendung, sondern als kulturelle Bereicherung des Alltags. Wer seinen Gästen nie selbstgemachte Speisen vorsetzt, gerät in den Verdacht, irgendwo in der Wohnung eine Tiefkühltruhe mit Fertigpizzas versteckt zu halten. Wichtig ist, dass alle Zutaten das Prädikat „Original“ auf der Verpackung tragen. Der Käse muss aus Frankreich, die Spaghetti aus Italien und die Sojasauce aus China kommen. Bevorzugt werden exotische Gerichte, aber auch die „Neue Amerikanische Küche“ erfreut sich großer Beliebtheit. Ohne Yuppies gäbe es diese Bereicherung der einfallslosen amerikanischen Küche vermutlich gar nicht. Wer für die hohe Schule der Kochkunst nichts übrig hat, kann sich immer noch auf „Health Food“ (Bio-Kost) spezialisieren. Auch das einfachste und langweiligste Gericht wird akzeptiert, wenn der Hobbykoch erklären kann, wie viele lebenswichtige Mineralien und wie wenige Kalorien in seinem gedünsteten Gemüse enthalten sind.

Neben allen Äußerlichkeiten wird dem Yuppie auch ein gewisses Mindestmaß an Intellekt und Bildung abverlangt, wobei die Latte für europäische Verhältnisse nicht allzu hoch liegt. Um als kultiviert zu gelten, muss der Yuppie zumindest die wichtigsten aktuellen Kinofilme kennen und hin und wieder mit dem Buch eines Nobelpreisträgers unter dem Arm gesehen werden. Neben Michael Jackson muss der Yuppie die wichtigsten Scheiben aus jeder Epoche im Plattenschrank haben. Für Karibik-Island-Hopper empfiehlt sich eine umfangreiche Reggae-Sammlung, wer einen Medienraum sein Eigen nennt, sollte sich auch mit multimedial arbeitenden Künstlern wie Laurie Anderson auseinandersetzen.

Woher kommen nun eigentlich diese Yuppies, die ihren Landsleuten Dosenbier und Hamburger vergällen wollen und deren Spitzenkandidat es wagt, Ronald Reagan herauszufordern? Wo waren die Yuppies vor – sagen wir – fünf Jahren? Nun, die älteren Yuppies waren früher wahrscheinlich irgendwann einmal Hippies. Oder sind zumindest von ihren Eltern als solche verdächtigt worden. Obwohl sie sich damals schon als professionelle Trendsetter profilierten, denken die Yuppies nur sehr ungern an jene dunklen Jahre zurück, als sie friedlich vor sich hin kiffend in ihrer Studentenbude saßen und sogar mit dem Gedanken spielten, mit der Gitarre auf dem Rücken durch die Welt zu trampen, anstatt ihr Jus- oder Betriebswirtschaftsstudium fortzusetzen. Aber dann kam alles ganz anders. Diejenigen, die überlebten, machten doch ihr Doktorat und wechselten von den Protestversammlungen in die Direktionsetagen der Wall Street. Auf dem Drogensektor ersetzte das stimulierende Kokain das angeblich bewusstseinserweiternde LSD und anstelle des träge und faul machenden Haschisch-Joints trat Beta-Endorphin, eine morphiumartige Droge, die der Körper nach zwanzig Minuten Aerobic selbst produziert. Natürlich nach wie vor von jenem Establishment, das viele von ihnen einst bekämpft hatten. Sie würden nie eine Zigarre in den Mund nehmen oder Rennpferde züchten, und Entenjagen halten sie für das perverse Vergnügen einer dekadenten, zum Aussterben verurteilten Klasse. Nein, mit diesem Establishment wollen die Yuppies nichts zu tun haben. Sie haben ja ihr eigenes. Und dem gehört die Zukunft. Ohne Zweifel. Der Rolling Stones-Song „Time is on my side“, den sie seinerzeit gesungen haben, bewahrheitet sich also doch. Auf perverse Art und Weise. Hat nicht sogar Herr Jagger Yuppie-Allüren? Und sie produzieren auch bereits ihren eigenen Nachwuchs. Was für einen! Yuppiekinder müssen bereits im zarten Alter von acht Monaten beweisen, dass sie auf der Erfolgsspur sind. Da schließen sie nämlich gerade den „Baby-Schwimmkurs“ ab, um kurz darauf an einem Workshop „Kreatives Modellieren für Kleinkinder“ teilzunehmen. Das Aufnahmegespräch im besten Kindergarten der Umgebung schafft Klein-Yuppie natürlich spielend…

Große Triebfeder: der Narzissmus der Yuppies. Schöner sein, besser sein, gescheiter sein, erfolgreicher sein. Für Yuppies gibt es nur die Steigerungsform. Und die eigene Persönlichkeit, an der es deshalb stets zu arbeiten gilt. Eine Yuppie-Ehe ist demzufolge mehr eine Zweckgemeinschaft zwischen zwei Menschen mit ähnlichen Interessen, die sich zusammen ein größeres Loft leisten können, als ein großes, romantisches Abenteuer. Treue dient vor allem der Vermeidung von Herpes (bei Guppies von AIDS) und anderer Geschlechtskrankheiten. Außerdem hat der stressgeplagte Yuppie ohnehin kaum Zeit für Seitensprünge. Die Yuppies sind die Kinder des Baby-Booms. Ihre von Wirtschaftskrise und Weltkrieg zermürbten Eltern projizierten ihren ganzen Ehrgeiz auf diese Kinder, die mehr denn je in den Mittelpunkt der Familie rückten. Ende der 60er Jahre schien es so, als würde diese Generation die Leistungs- und Verhaltensnormen, die ihr auferlegt wurden, abschütteln. Doch in Wirklichkeit entledigten sie sich in ihrer post-pubertären Revolte nur der spießigen Vorurteile und der Beides geriet zu einem Konkurrenzkampf, in dem nur der besteht, der sich selbst am nächsten ist. Der beste Yuppie ist der, der übrigbleibt.