AKUT

Archiv 1991: Leben mit der Angst

Jakob Stantejsky

Irak, Bohunice, Terror – die Furcht vor Katastrophen erlebt zur Zeit Hochkonjunktur, auch in Österreich. Schon vor Ablauf des Golf-Ultimatums wurde fleißig eingelagert, und mit Kriegsausbruch explodierten die Hamsterkäufe. Ob Gasmasken, Trockenmilch oder Suppenwürfel, die Republik rüstet sich für den Ernstfall. Ein Report von Gerhard Kummer (Text) und Gerhard Aba (Fotos).

Gas statt Faschingsmasken: Die heurige Ballsaison erlebt einen Touch Krisenmanagement. Schöner Wohnen wird zum Abenteuerurlaub im Zivilschutzraum. Und genau da liegt das größte Problem des Österreichers: Er kann sich im Notfall höchstens im Weinkeller verschanzen. Zwar gibt es laut Statistik für 18 Prozent der Bevölkerung strahlensicheren Unterschlupf. Zwar sind für 1,4 Millionen Alpenländer Schutzplätze vorhanden, aber eben nur auf dem Papier, nämlich baulich – bessere Abstellräume aus Vollbeton.

Nationalratsabgeordneter Anton Gaal, Generalsekretär des österreichischen Zivilschutzverbandes, jammert: „Genaugenommen stehen nur für 2 Prozent der Bevölkerung entsprechende Räume zur Verfügung – der Rest besteht nur in der Grundausstattung.“

Allein für 1,7 Millionen Wiener, exklusive Einpendler, stehen nur etwa 8000 Plätze zur Verfügung – verdammt wenig. Vor allem, wenn man bedenkt, dass diese Plätze nur noch Stehplatzqualitäten haben. Das Gesetz fordert nur 0,6 Quadratmeter pro Nase. Etwas mehr (ein Quadratmeter) bietet sich im Selbstschutzzentrum Schwarzenau in Niederösterreich. Dort kann man Schutzräume mieten. Doch mittlerweile ist die Waldviertler Arche Noah ausgebucht, wenngleich nicht gerade ein 3-Sterne-Hotel. Die 300 Mieter müssten im Falle des Falles in Schichten schlafen, Zähne putzen und scheißen! Preis der zwischenmenschlichen Foltertour: 25 Riesen. Für 30 Jahre.

Dr. Silvio Unterguggenberger, Besitzer von Schwarzenau, sagt: „Geschäft ist das keines. Was ich mache, wäre eigentlich Aufgabe der öffentlichen Hand.“ Ein Mieter, der nicht genannt werden möchte, sagt: „Monatelang hat meine Frau gesagt, ich bin nicht ganz richtig im Kopf. Jetzt ist sie heilfroh!“

Froh zur Zeit auch die wenigen Privaten, die eines der 30.000 bis 40.000 Schilling teuren Atomstübchen haben. Doch auch sie werden von Ängsten geschüttelt, freilich ganz anderer Natur.

Ein Schutzraumbesitzer aus der Steiermark, dem am besten gerüsteten Bundesland (laut Statistik fast 50 Prozent Bevölkerungsschutz), sagt: „Wann sog, dass i an Bunker hob, steh entweder als Feigling da oder hab hundert Mitbewohner, wanns krocht!“

Doch auch die Prominenz ist schlecht verbrunkert.

Karl Merkatz, Schauspieler und Kriegskind, sagt: „Auch mich hat die Angst gepackt. Eventuell adaptiere ich meinen Keller!“ Niki Lauda, ebenfalls Schutzraumabstinenzler: „Ich schütze mich, indem ich nicht nach Bagdad fliege!“ Edith Klinger, Tiermutter der Nation, sorgt sich klarerweise nicht nur um Zweibeiner, sondern auch um Vierbeiner und Geflügel de luxe: „Was geschieht mit Hunden, Katzen und Kleinvögeln? Null Strahlungsschutz. Abgesehen von privaten Schutzraumbesitzern – die könnten auch ein Pferd mitnehmen!“ Frau Klinger weiß, was Krieg bedeutet. „Bin ein gebranntes Kind. Schließlich habe ich vor 46 Jahren nur knapp einen Bombenangriff überlebt!“

Und darum geht es dem Österreicher auch ums Überleben. Das „Hauptsach-g’sund-Samma“ hat ausgedient, nicht aber unbedingt auf politischer Ebene.

Dipl.-Ing. Walter Hildebrand, Schutzraumbauer, sagt: „Die Regierung hat die ganze Sache verschlafen!“ In die gleiche Kerbe schlägt auch Zivilschutz-Chef Anton Gaal: „Irak und Bohunice stellen die politische Glaubwürdigkeit des Zivilschutzes in Frage. Die gesetzlichen Regelungen sind zu verschieden.“

Zweifelsohne. Bestes Beispiel wiederum der Bunker. So ist in Tirol Schutzraumbau für jedes Gebäude – ob Tennishalle oder Einfamilienhaus – Pflicht. In Niederösterreich wurde die diesbezügliche Schutzraumnovellierung nach einigen Monaten neuerlich novelliert auf Null. Obwohl schon seit dem Jahre 1962 technische Richtlinien existieren. Dafür laufen seit Wochen bei Herstellern und Vertreibern die Telefone heiß.

Roland Holzinger, Chef der Firma Civic Schutzraumtechnik, sagt: „Vor allem Leute, die bereits Räume haben, schreien nach Komplettierung. Um allen gerecht zu werden, bräuchten wir mindestens drei Jahre.“ Gefragt vor allem: Filter. Die gibt’s, doch den entsprechenden Filtersand nicht! Der einzige Erzeuger dafür in Österreich, die Hartsteinwerke Preg, hat nur noch Vertröstungen auf Lager. Und die filtern kaum.

Chef-Ing. Günther Edlinger sagt: „Wir wären jederzeit bereit gewesen, die Sache zu forcieren. Was witzlos ist – ohne Nachfrage!“ Die brachten erst die Krisen.

Egon Schneider, Chef der Salzburger GFS (Gesellschaft für Strahlenschutz), sagt: „Allein Tschernobyl war schon ein Chaos. Jeder wollte plötzlich Geigerzähler. Jetzt wiederum sagen viele Leute, sterben sei gescheiter. Andere wiederum wollen ABC-Schutzanzüge, Gasmasken und unsere Speziallebensmittel. Die NASA-Pakete. Für Astronauten konzipiert. Gefriergetrocknet und in Stickstoff gelagert. Ablaufdatum: so um 2015. Wenn das die Pharaonen gewusst hätten. Lebensmittelhamsterei aber auch auf weniger astraler Ebene.

Wolfgang Wimmer, Billa-Häuptling: „Zukker, Teigwaren, Reis, Öle. Die Österreicher horten wieder. Mit den Genfer Gesprächen kam der Run.“ Mit dem das Geschäft. Das Motto: Billa heute • denkt an morgen! Die aktuelle Liste für unentbehrliche Lebensmittel. Vier Wochen lang voller Bauch – mit Billa-Produkten, versteht sich. Dahinter steckt allerdings auch eine Atompilz-Psychologie. Panik-Business in Reinkultur. Aber auch der Staat hat – scheinbar – vorgesorgt. Mit Lebensmittelkarten. Die allerdings nur zum Pokern taugen. Denn noch liegt kein einziges Produkt auf Lager. Alles Jolly Joker.

Eine junge Mutter klagt: „Wohin bringe ich im Notfall meine Kinder? Das einzige, was wir Mütter tun können, ist Trockenmilch kaufen. Und versuchen, Kaliumiodidtabletten aufzutreiben.“ Ein Versuch, den zur Zeit viele starten. Allein in Klosterneuburg stürmen pro Tag 20 Menschen deswegen das Rathaus.

Mit anderen Problemen kämpft Austrian Airlines. Pressesprecher Hermann Schwarz: „Enorm die Höhen der Kriegsrisikoversicherung. Die zahlten wir schon seit August. Seit den Genfer Gesprächen allerdings das Zehnfache.“ Im Klartext: Ein Flug nach Tel Aviv und retour kostete die AUA vor Ablauf des Ultimatums allein 90.750 Dollar an Zusatzversicherung. Unter den Piloten nicht mehr die beliebteste Route.

Dr. Walter Bock, Chefpilot: „Wir fliegen in jedes Krisengebiet, solange der Luftraum nicht gesperrt ist.“ Er selbst evakuierte Ende Dezember noch Österreicher aus Dahran (Vereinigte Emirate). Versteht es aber, die Angst des Nahost-Piloten zu verschleiern: „Schau’n Sie, wir fliegen nur, wenn die Sicherheit der Passagiere, der Crew und der Maschine garantiert ist.“ Garantien in Zeiten wie diesen? Ein schlechtes Geschäft.

Zivilschutz-Boss Gaal: „Wir werden von Anrufen bombardiert. Aber was soll man Leuten sagen, die Zivilschutz oft noch mit Judokursen verwechseln?“ Ein charmanter Zug hausgemachter Mentalität. Genau wie der: Ein oberösterreichischer Bauer wollte seine neue Gasmaske auch im rustikalen Fronteinsatz verwenden: im Stall. Fast wäre er allerdings beim Melken erstickt. Er hatte nämlich vergessen, die Filterschutzkappe aufzuklappen.


Der Schutzraum eines prominenten Österreichers. Komplett gerüstet für die Katastrophe. Mit Langzeitnahrung und Wasservorrat. Ob er im Notfall auch Gäste unterbringen würde, bleibt fraglich. Dabei sind die Zahlen erschreckend genug: Nur 2 Prozent der Österreicher könnten strahlensicheren Unterschlupf finden. Alle anderen wären der Situation schutzlos ausgeliefert. Rund 300 Milliarden Schilling würde die Totalverbunkerung Österreichs kosten.

DER WIENER-TEST: ACHT TAGE IM BUNKER Gesetzt den Fall: radioaktiver Niederschlag verseucht Österreich. Zum Sterben zu wenig – zum Leben zu viel. Die einzige Alternative: der Zivilschutzraum, falls vorhanden. Der WIENER wagte das Experiment: acht Tage bei Dosenfutter und Bauernschnapsen, bei Neonlicht und Dauer-Jetlag.

Die ersten zwei Stunden. Locker vom Hocker. In dem Fall orangefarbene Sitze aus Kunststoff. Ein kleiner Tisch. Stockbetten. Schlafsäcke. Drei mal vier Quadratmeter Lebensraum. Das heißt im Extremfall: Platz für zwölf Zweibeiner unter Extremstress. Schlaf auf 8-Stunden-Schichten verteilt. Explosion des sozialen Gefüges. Revierkämpfe. Klaustrophobien. Futterneid. Gestank. Mittelalter die Hygiene. Der Mensch wird zum Tier, Darmentleerung ein Verdrängungskomplex. Wer scheißt schon gerne öffentlich?

Nach zwei Tagen endet jegliches Zeitgefühl. Die Stunden schmecken wie das Dosenfutter: geschmacklos und leer. Nach vier Tagen herrscht psychische Anarchie. Im Kopf nur noch wüste Orgien oder Lethargie. Endzeitstimmung. Das Draußen ist nur noch Hypothese, das Drinnen ein Spielberg-Horrorszenario mit Kulissen aus Vollbeton. Nach einer Woche will man nur noch eins: raus. Luft. Licht. Egal, ob die Sonne schwarz ist oder nicht.


„ANGST LÄSST UNS ÜBERLEBEN, WENN MAN RECHTZEITIG DARAN DENKT, DASS MAN SIE HAT, WENN MAN SIE BRAUCHT!“

Dr. Stephan Rudas, Leiter des psychosozialen Dienstes in Wien: Katastrophenangst ist eine ganz bestimmte Form von Angst. Ein Phänomen. Aber wertfrei – genau wie Sexualität. Sie als negativ oder positiv zu bewerten, ist sinnlos. Die augenblickliche Angst ist mehr als nur eine Emotion, sie ist ein Bestandteil der menschlichen Grundausstattung – und darf nie entlegitimiert werden. Die Menschheit hat jahrhundertelang versucht, Angst und Sexualität zu verdrängen – vergeblich. Gerade die Angst ist es, die uns Schutz bietet, den Selbsterhaltungstrieb aktiviert.

Angst lässt uns überleben, wenn man rechtzeitig daran denkt, dass man sie hat, wenn man sie braucht. Gleichzeitig wünschen wir uns aber auch insgeheim, dass der, der auf den Knopf drückt, auch selbst in den Kampf muss. Angst lässt Kriege entstehen. Vor allem, wenn Menschen so tun, als ob sie keine hätten.

Grundsätzlich: Die Katastrophenangst der Menschen entwickelt sich zur Zeit falsch. Wir befürchten nicht die tatsächliche physische Bedrohung, sondern transferieren die Dinge auf eine andere Ebene – Richtung Wirtschaftsangst. Wir fürchten, dass unsere Lebenspläne sich ändern könnten, dass unser materieller Wohlstand enden könnte.

Im Übrigen ist das ganze Krisenmanagement ein Trauerspiel. Jeder durchschnittlich begabte Psychiater aus der Bronx hätte das Problem wesentlich besser bewältigt als die sogenannten Großen dieser Welt.