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Archiv 1999: Kommt der Komet?

Jakob Stantejsky

Sonnenfinsternis und Millennium sorgen für romantische Endzeitstimmung in der Magengrube. Und manche Wissenschaftler sind sogar überzeugt, dass am 11. August etwas außergewöhnliches passieren wird. Eine Vorbereitung auf unseren jüngsten Tag.

Text: Thomas Mießgang, MItarbeit: Gerhard Kummer, Stefan Wictora, Henrike Brandstötter, Roman Scheiber

Alles ruhig, delikat kräuselt sich das Wasser des Lunzer Sees im Ötscherland. Tretboote treiben gemächlich vorbei, und die Sonne wacht friedlich über der bukolischen Szene. Das könnte schnell anders werden, sagt Wolfgang Wiedergut, studierter Physiker und Kunsthändler, der seine Freizeit astronomischen und extraterrestrischen Phänomenen widmet. Am 11. August wird hier, im Kernschatten der Sonnenfinsternis, die Welt zum schwarzen Loch. Doch es könnte noch dicker kommen. „Möglicherweise – ich betone: möglicherweise – wird am Stichtag die Kollision eines Kometen mit der Erde stattfinden“, glaubt Wiedergut. „Es gibt jedenfalls keinen Zweifel daran, dass sich ein gewaltiger Himmelskörper von so hoher Dichte, dass er mit astronomischen Instrumenten noch nicht erfasst werden konnte, auf unseren Planeten zubewegt. Dann würden sich zwei dicke Brocken – der Mond und der unidentifizierte Planetoid – vor die Sonne schieben. Die Folge: eine Verdunkelung, die 36 Stunden anhält. Und vielleicht ein Kometeneinschlag, aller Voraussicht nach im Bereich der Karibik, der eine gewaltige Flut- und Druckwelle auslöst. Deep Impact – das Szenario eines erfolgreichen Hollywood-Films würde Realität. Mit katastrophalen Folgen für die Menschheit.

Wolfgang Wiedergut sitzt gelassen am Ufer des Sees und starrt in die oszillierenden Wasserformationen, die vom Wind konstruiert und gleich darauf wieder gestört werden. Er ist geübt im Lesen von Zeichen und Spuren. Mit seiner Arbeitsgruppe Bindu – Sanskrit für Ursprung – erforscht er das Quantenfeld, die Welt hinter der Welt, um freie Energie zu gewinnen, die irgendwann einmal traditionelle Kraftstoffe wie Öl oder Benzin ablösen soll. „Über diese Forschungen“, sagt Wiedergut, „kommt man sehr schnell in die Ufologie. Und von dort zu den Kornkreisen.“ Jene symbolhaften Piktogrammdarstellungen, die seit den siebziger Jahren mit schöner Regelmäßigkeit auf sommerlichen Getreidefeldern in vielen Ländern der Erde erscheinen. Aus den Kornkreisen mit ihren komplexen, verzweigten Formen destilliert Wiedergut auch die Informationen, die ihn sicher machen, dass am 11. August Außergewöhnliches passieren wird. Die altgediente Debatte, ob die Dinger denn nun echt seien, schiebt er mit einer brüsken Handbewegung weg: „Es gibt mittlerweile 3000 Kornkreise in mehr als 50 Ländern der Erde. Manche davon haben Dimensionen von mehreren hundert Metern, und sie enthalten wissenschaftliche Informationen, die auf dem neuesten physikalischen und astronomischen Wissensstand beruhen. Das können keine verrückten Bauern gemacht haben, die auf Traktoren durchs Feld pflügen. Das müssten Angehörige der technisch-wissenschaftlichen Elite sein, etwa von der CIA. Aber warum sollten die in wochenlanger mühevoller Arbeit Kornkreise herstellen? Bleibt also nur eine Erklärung: Für die Crop Circles, wie die gewaltigen Kornskulpturen im Web genannt werden, sind außerirdische Intelligenzen verantwortlich, die den Menschen überlebenswichtige Informationen zukommen lassen wollen. Und die neuesten Lieferungen bieten keinen Anlass zur Freude. Wolfgang Wiedergut deutet auf eine farbige Abbildung eines Kreises, die ein bisschen an eine Monstranz erinnert, und setzt zu einem längeren Vortrag über Impaktszenarien, Ekliptiklagen und den Präzessionszyklus der Erde an. Im weiten Rauschen des astro-physikalischen Fachchinesisch ist eine Botschaft ganz deutlich zu verstehen: Wir bewegen uns auf eine neue Epoche zu, das Zeitalter des Wassermanns. Die Welt wird weiblicher werden. Und vielleicht müssen wir durch die Katastrophe hindurch, um endlich vom Kelch der Freude trinken zu dürfen.“

Apocalypse now! Das Millennium und die Sonnenfinsternis, die beiden magisch aufgeladenen Daten, beflügeln die Fantasie. Im säkularen Zeitalter der Wissenschaftsgläubigkeit, wo noch der verborgenste Winkel des Menschlichen rational ausgeleuchtet wird, wächst das Bedürfnis nach dem Übernatürlichen. Doch die düsteren Legenden vom Weltenbrand, von zentnerschwerem Hagelschlag und von gottgesandten, gewaltigen Erdbeben fußen auf einer jahrtausendealten Tradition: „Es wird des Herrn Tag kommen wie ein Dieb in der Nacht, an welchem die Himmel zergehen werden mit großem Krachen; die Elemente aber werden vor Hitze schmelzen, und die Erde und die Werke, die darauf sind, werden verbrennen.“ Also sprach der Apostel Petrus in den Anfangstagen des Christentums. Und er war in guter Gesellschaft. Auch die biblischen Weissagungen des Propheten Daniel und die Apokalypse des Johannes verheißen Feuer, Rauch, Donner, Blitz und Kernschmelze mit lethalem Ausgang. „Wir befinden uns bereits seit geraumer Zeit mitten im Strudel einer zum Untergang verurteilten Welt“, weiß ein Endzeitreport im Internet. Und dieser Mahlstrom belebt die Konjunktur der Apokalyptiker.

Professionelle Untergeher wie Alexander Tollmann, ehedem Gründervater der Grünen, heute raumgreifender Esoteriker, haben schon vor Monaten ihre kleinen Horrorläden eröffnet, in denen der Big Bang zum Billigtarif losgeschlagen wird: „Anfang August beginnt der Weltkrieg“, sagt Tollmann, der „250 Propheten durchgecheckt“ und die 243 Verse des Nostradamus neu übersetzt hat. „Und im Oktober kommt dann der Komet. Auf der Erde sind 440 Atomkraftwerke in Betrieb. Der Impact aus dem All wird mit einer Geschwindigkeit von 75 Kilometer pro Sekunde erfolgen. Das wird ein weltweites Erdbeben auslösen, 50- bis 100-mal so stark wie alle herkömmlichen. Die Kühlsysteme bersten, alles explodiert, die Radioaktivität geht rund um die Erde.“ Trost und Rat hält Tollmann, der sich am Tag X in seinem Waldviertler Schloss verbarrikadieren wird, aber auch bereit: „Nicht alle Menschen werden sterben. Nur ungefähr zwei Drittel der Menschheit. Wir erreichen aber in diesem Jahr ohnehin die 7-Milliarden-Grenze. Da bleiben genug über. Die Lebenden werden die Toten beneiden.“

Wie ein tödlicher Infekt verbreitet sich das Untergangs-Virus kurz vor dem 11. August: TV-Astrotante Elisabeth Tessier ist irgendwo in Südostasien abgetaucht und für letzte Anfragen nicht mehr verfügbar: „Sie hat panische Angst“, erzählt eine Vertraute. Der Catwalk-Spiritist Paco Rabanne, der die Welt nebst schönen Modekollektionen mit zahlreichen gesponnenen Esoterik-Büchern beglückt hat, wird am Tag der Entscheidung seine Läden geschlossen halten. Seine aktuellen Mode-Kreationen hat er ultimativ „Last Collection“ genannt. Rabanne ist überzeugt davon, dass, punktgenau zum fraglichen Datum, die schrottreife Raumstation Mir über Paris abstürzen wird und die französische Hauptstadt in eine Flammenhölle verwandelt. Ein nicht einmal völlig abwegiges Szenario. Aber auch das gemeine Volk verspürt schon die Unlust am Untergang. Jüngste Meldung aus den vermischten Nachrichten: Eine 43-jährige Frau versuchte ihre Tochter zu töten, weil ihr eine Stimme vom drohenden Atomkrieg und vom nahen Weltuntergang erzählt hatte. Endzeit allüberall. Soll man den Gebrauchsanweisungen der Bindu-Gruppe folgen, die im Fall der Fälle empfiehlt: „Meiden Sie jegliche Küstengebiete“? Oder die Sache ein wenig in Perspektive rücken wie der Psychologe und Theologe Gerhard Schwarz von der Universität Klagenfurt, der meint: „Je unruhiger die Zeiten, desto wilder sind die Fantasien, und desto schrecklicher werden die Szenarien vom Untergang und vom Zeitenende. Wir werden ja mit Hiobsbotschaften geradezu überschwemmt: von der Bevölkerungsexplosion über das Chaos von unkontrollierbaren Migrationsbewegungen bis zu Aids und anderen Seuchen. Man muss sich aber bewusst machen, dass wir apokalyptische Vorstellungen für unsere Evolution brauchen: Apokalypsen kann man als eine Art Kulturkatalysatoren verstehen, die dem Individuum helfen, sich zu orientieren.“

Aufklärung und Wissenschaft, meint Schwarz, können die fatale Neigung zum Irrationalen nicht beseitigen, weil sie emotionale und „mythologische“ Bedürfnisse der Seele ausklammern. „Auch der aufgeklärte Verstand und die Astrophysik wissen nicht, wie die Welt entstanden ist. Und ebenso wenig, wie sie enden wird. Wie auch immer: Es ist die Botschaft der Apokalypse, dass es die Menschen in allen Epochen verstanden haben, unterzugehen und wieder gestärkt aufzuerstehen. Allerdings ist es noch nie gelungen, dass dabei nicht neue Probleme entstünden – die irgendwann zu neuen apokalyptischen Vorstellungen führen.“ Ins gleiche Horn stößt auch der Kornkreis-Deuter Wolfgang Wiedergut: „Denken Sie daran, dass die Ereignisse des 11. August in einem spirituellen

Kontext stehen. Danach folgt eine wunderbare Zeit, in der alle dabeisein können, wenn sie sich geistig darauf vorbereiten.“


Best of Weltuntergang – 2000 Jahre Endzeitstimmung

Das Jahr 992
Mariä Verkündigung und Karfreitag fielen zusammen: Geburt und Tod.

Das Jahr 1000
Damals hielten viele Bibelgläubige, die Apokalypse wörtlich nehmend, das Ende endgültig für gekommen: „Gemäß der Prophezeiung des heiligen Johannes wird Satan nun bald von seinen Ketten befreit, denn die tausend Jahre gehen zu Ende.“

Das Jahr 1169
Ein seltenes astronomisches Ereignis war Auslöser dieser Untergangsprophezeiung: alle Planeten im Sternbild der Waage vereinten sich. Angeblich ließ der Kaiser von Byzanz daraufhin die Fenster seines Palasts zumauern.

Das Jahr 1524
Diesmal trafen sich drei Planeten, Jupiter, Saturn und Mars, im Sternbild der Fische – das Zeichen für Sintflut. Auch kühle Köpfe wie Martin Luther sahen die Welt dem Untergang nahe.

Das Jahr 1666
Auslöser war die Summe der Zahlen 1000 und 666 (die aus der Apokalypse bekannte Zahl des Tieres).

Mitternacht, 21. März 1843
Dieser Zeitpunkt wurde von zahlreichen Theologen aufgrund des 8. und 9. Kapitels des biblischen Buches Daniel ermittelt; dort ist von „2300 Abenden und Morgen“ die Rede, die die Erde dauern werde (ein Abend und ein Morgen ist ein Jahr), sowie von siebzig Wochen alias 490 Jahren, die mit dem Tod des Erlösers schon vergangen waren. Damit verbleiben von der Geburt Jesu noch 2300-490+34=1844 Jahre. Der 21. März schließlich ergab sich durch den Frühlingsanfang, weil die Welt ja angeblich im Frühling angefangen hatte. Vor allem in Nordamerika wurde diese Prophezeiung geglaubt.

Das Jahr 1881
Geht auf die Wahrsagung einer gewissen „Mother Shipton“ zurück, die im England des 16. Jahrhunderts lebte: „The world to an end will come in eighteen-hundred-and-eighty-one.“

Der 4. Februar 1962
„Sybille von Prag“ sagte in der Mitte des 17. Jahrhunderts diesen Tag voraus. Die Dame soll übrigens auch das Auto („ein Wagen getrieben von seltsamem Wasser“) und die Eisenbahn („ein einziger dampfender Kessel wird hundert Postkutschen ziehen“) vorhergesehen haben.

Das Jahr 1998
Wieder einmal: 3×666=1998; außerdem wurde Jesus in der 1998ten Woche seines Erdendaseins ans Kreuz genagelt.

Der 13. November 2026
An diesem Tag werde sich die Bevölkerungsdichte auf der Erde dem Wert unendlich nähern, wie amerikanische Wissenschaftler des Club of Rome berechnet haben. Aber der hat sich schon des öfteren geirrt.