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Archiv 1999: Miss Peace

Jakob Stantejsky

ANA KARIC, MISS YUGOSLAVIA. WAHREND IN IHRER HEIMAT DIE BOMBEN FIELEN VERTRAT DIE SCHÖNE SERBIN IHR LAND BEI DER MISS UNIVERSE-WAHL IN DER KARIBIK. JETZT WILL DIE 19 JÄHRIGE IN LONDON MODEL-KARRIERE MACHEN. IM WINDSCHATTEN DER WELTPOLITIK IST IHR DIE AUFMERKSAMKEIT SICHER.

Story: Manfred Sax, Fotos: Carlos de Mello • Styling: John Ryans, Haare & Makeup: Claudia Steiner

Sie ist schön. Und sie weiß es. Sie zieht dieses weiße Etwas von einem Kleidchen über, streift sich gekonnt eine Locke aus dem Gesicht und klimpert mit den Wimpern. Geschöpfe wie Ana Karié, 19, lösen immer gewisse Reflexe aus in männlichen Gehirnen, und die haben garantiert nichts mit Mord und Zerstörung und Weltpolitik zu tun. Ganz im Gegenteil. Sieht sie nicht aus wie der Friedensengel persönlich? Kann ein Land wirklich schlecht sein, aus dem solche Frauen kommen? Ist es nicht die Liebe, die den Krieg besiegt? Genau, sagt Ana Karié, so ist das. Make love, not war. Oberflächlich betrachtet könnte alles so einfach sein.

Obwohl, es war die Geschichte ihrer Herkunft, die Ana in den vergangenen Monaten so interessant gemacht hat, die sie ihre Konkurrentinnen bei der Miss Universe-Wahl locker ausstechen ließ. Und es war dabei völlig gleichgültig, dass sie dort unter ferner liefen abschnitt. Ana Karié ist im Kosovo, in Peja, unweit von Pristina, auf die Welt gekommen. Und sie ist Serbin, eine stolze noch dazu. Super-Kontrastprogramm. In London, wo Ana derzeit internationales Management studiert, ist ihr Typ derzeit schwer gefragt. Die Story dazu ist es, die zieht.

Es wäre gelogen, wenn man behauptete, dass ihr das ungelegen käme. Ana Karié träumt von einer Model-Karriere, seit sie denken kann, und jetzt sogar von der Eröffnung einer eigenen Model-Agentur. Es stört dabei nicht weiter, dass sie den serbischen Alltag eigentlich nur vom Hörensagen kennt. Im zarten Alter von acht war Ana mit ihrer Familie nach Wien übersiedelt. Papa ist nämlich erfolgreicher Geschäftsmann, „Import/Export von Waren aller Art“, wie die Tochter erklärt. Seit ihrem 13. Lebensjahr lebt Ana Karié in London und bereitet von dort aus die spätere Übernahme des väterlichen Betriebs vor.

Als über Jugoslawien die NATO-Bomben fielen, hatte sie einen ungleich gemütlicheren Aufenthaltsort: Trinidad und Tobago, beim Miss Universe-Final-Bewerb. Gemischte Gefühle: „Auf der einen Seite war ich stolz, dabeizusein. Auf der anderen Seite war mir bewusst, dass mein Land brennt und dass die Menschen leiden.“ Sie habe sich schuldig gefühlt, es besser zu haben, irgendwie. Das habe sie aber für sich behalten.

Die Familie war in Belgrad, und „ich hatte furchtbare Angst um meine Eltern, meine vier Brüder, meine Schwester. Wir haben oft miteinander telefoniert. Sie haben gesagt, im Hotel Holiday Inn wären sie gut aufgehoben und dass man sich mit der Zeit an die Sirenen gewöhnt.“

Und an dieser Stelle zerreißt der Nebel der sympathischen Vision vom Friedensengel. Und wir werden in die Wirklichkeit gestoßen. Anas Wirklichkeit ist die der serbischen Propaganda. Slobodan Milosevic ist „unser Präsident, der macht nur das Beste, um die Wünsche des Volkes zu erfüllen“. Denn: „Er versucht doch nur zu behalten, was uns gehört.“ Außerdem: Ethnische Säuberungen hätte es doch nie gegeben. Alleine eine Erfindung von CNN. „Es gab auch genug albanische Terroristen, die Serben umgebracht haben – niemanden hat das interessiert.“

Gänsehaut, wenn Anas schönes Gesicht von den Ausläufern kalter Wut verzerrt wird: „Ich habe Tag für Tag die CNN-Nachrichten verfolgt“, sagt sie, „und ich war entsetzt, dass die Serben als die groben Bösen dargestellt wurden.“ Und alles nur wegen diesem Clinton, der „von seinen eigenen Problemen ja bestens abgelenkt hat“. Scheiß-Weltpolizei.

Aber jetzt ist doch Frieden, Ana. Ach ja, der Frieden. „Ich bin natürlich froh darüber“, sagt Miss Peace, „aber ich kann nicht glauben, dass ich nie mehr ohne Angst nach Hause zurückgehen kann. Ich fühle mich unruhig, unsicher. Aber mit der Zeit wird sich das schon bessern.“ Vielleicht. Aber man sollte sich vielleicht nicht allzu große Illusionen machen.